Der Papst ist kein Jeansboy

Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2011 | 74 Minuten

Regie: Sobo Swobodnik

Facettenreiches Porträt des österreichischen Schauspielers, Schriftstellers und Moderators Hermes Phettberg, der mehrere Schlaganfälle erlitt und mehr als 100 Kilogramm Gewicht verloren hat. Obwohl nur noch ein Schatten seiner selbst, zudem nach einer Hirnblutung artikulations- und sehbehindert, mischt Phettberg weiterhin als Kolumnist und Blogger in der kulturellen Öffentlichkeit Österreichs mit. Der Film beschönigt nichts, ist weder aufdringlich noch scheu, sondern zeigt sachlich die Schwierigkeiten des wortmächtigen Fernsehstars mit der Sprache und seinem hinfälligen Körper. Phettbergs Reflexionen werden in Anlehnung an den Kreuzweg in zwölf Stationen unterteilten Film von Josef Hader gesprochen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DER PAPST IST KEIN JEANSBOY
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Guerilla Film Koop./Athlon Prod.
Regie
Sobo Swobodnik
Buch
Sobo Swobodnik
Kamera
Sobo Swobodnik
Schnitt
Stefanie Kosik
Länge
74 Minuten
Kinostart
02.07.2015
Fsk
ab 16 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
W-film/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Facettenreiches Porträt über Hermes Phettberg

Diskussion
In den 1990er-Jahren, als Hermes Phettberg als schwergewichtiger Gastgeber der „Nette Leit Show“ kurzzeitig zur Kultfigur wurde, war es ihm ein Leichtes, durch schiere Präsenz den von ihm verehrten Thomas Bernhard zum Wechseln der Straßenseite zu veranlassen oder Harald Schmidt binnen weniger Minuten durch seinen verqueren Witz als zynischen Spießer zu entlarven. Zum Glück gibt es das Internet: auf YouTube liegen die Beweismittel zum Nachschauen bereit. Besonders empfehlenswert sind die „Nette Leit Shows“ mit Josef Hader und Tobias Moretti sowie Phettbergs Ausflug zu Harald Schmidt. Bei Sobo Swobodniks Dokumentation „Der Papst ist kein Jeansboy“ aus dem Jahr 2011, die jetzt glücklicherweise doch noch ins Kino kommt, muss man sich allerdings auf einiges gefasst machen. Denn der eigenwillige Fernsehstar, ein bekennender Homosexueller, Sadomasochist und Jeans-Boys-Fan, wurde seit 2007 Opfer mehrerer Schlaganfälle. Eine nicht diagnostizierte Hirnblutung führte dazu, dass Phettbergs Sprach- und Sehzentrum schwer geschädigt wurden. Zudem hat der Wiener, der seinen gewaltigen Körper zuvor stets provozierend in Szene zu setzen wusste, etwa 100 Kilo verloren und ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Wenn Phettberg sich jetzt durch das großzügige Treppenhaus gebückt zu seiner Wohnung im Obergeschoss schleppt, fühlt man sich an Szenen aus Murnaus „Nosferatu“ (fd 16 194) erinnert. Schon früher kokettierte Phettberg damit, dass seine vollgemüllte Wohnung eine Katastrophe sei. Daran hat sich nichts geändert. Heute lebt Phettberg von Sozialhilfe und den Zuwendungen diverser Unterstützer; er bekommt „Essen auf Rädern“ und tritt als „Mitleidsterrorist“ (Phettberg über Phettberg) in Erscheinung. Swobodniks Film beschönigt nichts. Die Inszenierung ist nicht aufdringlich, aber auch nicht scheu, sondern zeigt sachlich, welche Schwierigkeiten Phettberg mit der Sprache hat, wie er Sätze repetitiv durchkaut, wie er den Faden verliert und ihn durch anstrengende Konzentration wiederfindet. Die Kamera zeigt auch die Hinfälligkeit seines grotesken Körpers oder wie er im Halbdunkel misstrauisch hinter seinem Computer hervorlugt. Das ist zunächst quälend mitanzuschauen, doch mit der Zeit ändert sich das, weil der Film auch noch einen anderen Hermes Phettberg präsentieren kann, der mit Hilfe des Internets versucht, Verbindung zur Welt zu halten. Phettburg führt akribisch ein vielseitiges Blog und schreibt auch weiterhin regelmäßig seinen Kolumnen für das Wiener Stadtmagazin „Falter“. Es trifft also durchaus zu, wenn Phettberg von sich behauptet, er lebe in Wien als „Elender und Publizist“, der versuche, Spuren zu hinterlassen. Der Film zeigt die Artikulationsprobleme Phettbergs, entscheidet sich aber klugerweise, dessen Reflexionen auf dem Off von Josef Hader sprechen zu lassen, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Inspiriert vom Kreuzweg Christi hat Swobodniks den schwarz-weißen Film in zwölf Kapitel unterteilt; mit Phettberg ist aber keine Auferstehung zu haben. Jedem Kapitel ist wie einst bei Fassbinder als Insert ein Klo-Spruch aus öffentlichen Toiletten vorangestellt, wo Sexpartner und Sexpraktiken gehandelt werden. Für Phettberg, der sich durch seine Sammlung von Porno-Bildern blättert, ist das Geschichte, „alles vorbei“. Er geht kaum mehr auf die Straße, kann ohne fremde Hilfe keine Straße überqueren und wird beschimpft, wenn er – eine Blasenschwäche – zwischen die parkenden Autos urinieren muss. Einmal stöhnt Phettberg, „Nun steht Ableben an!“, ein andermal träumt er davon, 107 Jahre alt zu werden oder trauert um Christoph Schlingensief, zu dem eine gewisse Seelenverwandtschaft bestand. Die wenigen Begegnungen, die der Film zeigt, zeugen von der Verehrung, die Phettberg entgegengetragen wird und auch davon, wie sehr den ewigen Provokateur dies bei allem Selbstmitleid tief rührt.
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