Seitdem ihr Mann am Tag der Geburt ihres Sohnes auf tragische Weise ums Leben kam, vegetiert Amelia mehr schlecht als recht durchs Leben. Tief in ihr drinnen rumoren immer noch Schuldkomplexe, denn sie ist bei dem Unfall nur durch ein Wunder mit dem Leben davon gekommen. Ihr Sohn Samuel ist inzwischen sechs Jahre alt und das, was man einen Außenseiter nennt. Er hat kaum Freunde, lebt er in seiner eigenen Welt und ist so hyperaktiv, dass er nicht nur seiner Mutter alle Nerven raubt.
„Einfach nur mal wieder Ruhe“, wünscht sich Krankenpflegerin jeden Abend insgeheim, wenn sie ihrem Sohn eine Gutenachtgeschichte vorliest, wohl wissend, dass die Stille nicht von langer Dauer ist. Woher nun dieses dicke rote Buch mit den Titel „Mister Babadook“ kommt, dass Sam aus seinem Regal gefischt hat? Keiner weiß es!
„If it’s in a word or it’s in a look, you can’t get rid of the Babadook!“, heißt es dort. Was zunächst ein verschmitztes Versprechen zu sein scheint, wird schnell unheilvolle Gewissheit. Denn die mit schwarzer Kohle gezeichnete Gestalt mit dem langen Umhang und dem übergroßen Hut ist kein netter Zeitgenosse, sondern hat Krallenhände, starre Augen und messerscharfe Zähne. Er lauert im Schrank oder hinter der Tür, und wenn man ihn erst einmal gehört, dann bleibt er für immer: „Baba. Dook. Dook. Dook!“
Der Film ist mehr ein Kammerspiel denn ein Horrorfilm, mehr Sozialdrama denn Genrefilm. „Babadook“ lässt sich nur schwer in eine Schublade pressen, obwohl die Zeichen zunächst eindeutig sind. Ein Buch, wahrscheinlich aus der Hölle, entfesselt einen Unhold. Geräusche knarzen durch Haus, wenn die Nacht alle Zimmer in Dunkelheit taucht. Ist alles nur eine Illusion? Der Schlaflosigkeit geschuldet? Oder doch ein fleischgewordener Albtraum?
Die Musik von Jed Kurzel mit ihrer sinistren Spieldosen-Attitüde weist den Weg zu einem unangenehmen, angsteinflößenden Film, in dem nichts von dieser Welt ist. Der Subtext ist vielfach anschlussfähig. Eine alleinerziehende Mutter der unteren Mittelschicht kämpft um Akzeptanz. Ein hyperaktives Kind wird zur Gefahr für seine Mitschüler. Die Gesellschaft glaubt nicht an ein geordnetes Familienleben. Deprivation, Krankheit und Pech. Mutter und Kind igeln sich immer mehr in ihrem Haus ein. Mord und Selbstmord als letzte Konsequenz?
Ganz ähnlich, wie sich die deprimierende Knetanimation „Mary und Max“
(fd 40 026) konsequent den Klischees, Schubladen und Kategorisierungsversuchen verweigert, geschieht dies auch in „Babadook“. Beide Filme kommen aus Australien. Mag sein, dass dort der Genrefilm schon immer mehr bedeutete als nur kurzweilige Unterhaltung.
Unter der spannend-fesselnden, den Schrecken transportierenden Oberfläche funkelt noch ein anderer Horror, nämlich der des ganz normalen Alltagswahnsinns. Doch Jennifer Kent versteht es in ihrem Debütfilm, der Trockenheit dieses Subtextes zu begegnen. Nicht nur durch virtuose Kabinettstückchen in Kamera- und Tongestaltung sowie den großartigen (Buch-)Illustrationen von Alex Juhasz führt sie immer wieder von der Tristesse in eine Welt, die größer ist als das Leben.
Immerhin ist Kino mehr als nur Kopf, nämlich vor allem ein aberwitziges Fest der Emotionen. Daher passt auch der recht ungewöhnliche Schluss des Films wieder ins Bild, wenn nach einem vielleicht etwas überzogenen Effektspektakel erneut der Alltag in die australische Kleinstadt einzieht. Der Wahnsinn ist domestiziert!