Ein junger Mann und eine junge Frau begegnen sich auf einer Party in Madrid. Er umwirbt sie heftig, sie weist ihn ab, doch während eines langen Fußwegs durch die nächtliche Großstadt kann er ihre Sympathie gewinnen und sie mit in seine Wohnung nehmen. Das dicht inszenierte romantische Drama beginnt wie eine vorhersehbare Liebesgeschichte, wechselt im weiteren Verlauf jedoch immer wieder überzeugend die Tonart zwischen Leichtigkeit und Schwere. Vor allem dank der vorzüglichen Hauptdarsteller entsteht ein faszinierendes psychologisches Spiel um Liebe und Lüge, Verzauberung und Ernüchterung.
- Ab 16.
Stockholm
Drama | Spanien 2013 | 90 Minuten
Regie: Rodrigo Sorogoyen
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Filmdaten
- Originaltitel
- STOCKHOLM
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Caballo Films/Tourmalet Films
- Regie
- Rodrigo Sorogoyen
- Buch
- Isabel Peña · Rodrigo Sorogoyen
- Kamera
- Álex de Pablo
- Schnitt
- Alberto del Campo
- Darsteller
- Javier Pereira (Er) · Aura Garrido (Sie) · Jesús Caba (Freund) · Susana Abaitua (Freundin) · Lorena Mateo (Freundin)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 16.04.2015
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Dicht inszenierte spanische „Boy meets Girl“-Geschichte jenseits ausgetretener Pfade
Diskussion
Junge Leute trinken, tanzen und plaudern auf einer Party in einer exzentrisch durchgestylten Altbauwohnung in Madrid. Junge Männer unterhalten sich über Frauen, Frauen schlendern umher, Männer und Frauen taxieren sich, hungrige oder kühle Blicke werden ausgetauscht. Die beiden jungen Protagonisten bleiben bis zum Ende des Films namenlos. Er wird sich einmal Bartolo nennen, aber das ist nicht wichtig, ist eine Lüge, wie so vieles in diesem auf wunderbare Weise eigenartigen Film, der doch eigentlich nichts anderes erzählt als die alte Geschichte vom „Boy meets Girl“, auf dem angeblich 80 Prozent aller Filmgeschichten basieren.
Er ist genervt vom betrunkenen Geschwätz seines Kumpels über die Freundin, die nach Stockholm gegangen ist. Sie ist mit Freundinnen gekommen, langweilt sich und schwebt an ihm mit mattroten langen Haaren im ärmellosen weißen Kleid vorbei. Er stürzt ihr nach, ein Impuls, später wird er ihr sagen, er habe sich im ersten Augenblick in sie verliebt. Er ist charmant, macht glühende Komplimente, umschwirrt hübsche Frauen. Sie ist seinem Charme nicht zugänglich, weist seine Annäherung ab, ist ihm gegenüber spröde. Er lässt nicht locker, begleitet sie, als sie die Party längst hinter sich gelassen hat, durch das nächtliche Madrid. Sie schickt ihn mehrere Male weg, er kommt immer wieder. Das wirkt auf Dauer etwas ermüdend, aber man sollte den Film auf keinen Fall vorzeitig verlassen. Schließlich hat der Mann Erfolg mit seiner Hartnäckigkeit: In seiner Wohnung plaudern sie, verstehen sich glänzend. Als sie am nächsten Tag in seinem Bett aufwacht, ist er ganz anders, distanzierter, möchte seine nächtliche Eroberung schnell loswerden. Am Ende ist sie es, die dem Film die entscheidende und überraschende Wendung gibt.
„Stockholm“ ist ein faszinierendes psychologisches Spiel um Liebe und Lüge, um Vertrauen und Misstrauen, um Verzauberung und Ernüchterung. Regisseur Rodrigo Sorogoyen und den brillanten Hauptdarstellern Aura Garrido und Javier Pereira gelingt die facettenreiche Evolution vom vorhersehbar wirkenden Teenager-Drama über eine nächtliche Odyssee à la „Before Sunrise“ durch die nächtliche Stadt bis zur Liebesgeschichte und zum Krieg der Geschlechter mit Spannungselementen und düsteren Vorahnungen – ein großartiges Wechselspiel, von der Leichtigkeit zur Schwere und wieder zurück. Alles ganz vertraut und doch unheimlich. Dabei lebt der Film auch von der ganz eigenen Atmosphäre der Handlungsräume: der nächtlichen Straßen Madrids, anonym und menschenleer, der leeren Altbauwohnung, die nachts viel Geborgenheit vermittelt und im gleißenden Licht des Morgens kalt und abweisend wirkt, der Dachterrasse unter dem wolkenverhangenen, hellweißen Himmel. Das Zusammenspiel der Handlungsorte und der psychologischen Spannung ist in starkem Maße der wunderbaren Kameraarbeit von Álex de Pablo zu verdanken. „Stockholm“ ist ein elegantes Beispiel für einen neuen unabhängigen Film in Spanien, der in den letzten Jahren im Zeichen der Wirtschaftskrise entstand, geprägt von der Arbeit junger Filmemacher, die das vermeintlich Alltägliche und Altbekannte auf faszinierende Weise neu in Szene setzen. Mit Spannung und Bewegung, mit einem eigenen Rhythmus, realistisch und gleichzeitig irreal.
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