Eishockey war in der Sowjetunion nicht nur äußerst populär, sondern auch eine Prestigesportart von (inter-)nationalem Rang. Mir ihr sollte während des Kalten Kriegs die Überlegenheit des Sowjetsystems demonstriert werden. Deshalb förderte man Talente von Kindesbeinen an mit wissenschaftlicher Akribie und eiserner Disziplin. Ab Mitte der 1950er-Jahre dominierte das sowjetische Team von „Staatsamateuren“ die internationale Eishockey-Welt; Olympiasiege und Weltmeistertitel gab es quasi im Abonnement. Ihr Coach Anatoli Tarassow, der für sein knochenhartes Training berüchtigt war, kombinierte den Sport mit Erkenntnissen aus Schach und Ballett. Legendär wurde auch der erste Block der sowjetischen Nationalmannschaft „Sbornaja“ um den Verteidiger Wjatscheslaw „Slava“ Fetissow; alle Spieler kamen vom Armeesportclub ZSKA Moskau, den Tarassow von 1950 bis 1974 trainierte.
Der amerikanische Filmemacher Gabe Polsky hatte allerdings viel mehr als eine Sportdokumentation im Sinn, als er mit der Recherche für „Red Army“ begann: anhand der Biografien einzelner Eishockey-Stars wollte er die Geschichte der UdSSR und Russlands zwischen 1979 und 2002 rekonstruieren. Rückgrat des Projekts ist ein langes Interview mit Fetissow, der ein junges Talent war, als die „Sbornaja“ bei den Olympischen Winterspielen 1980 sensationell dem Team der USA unterlag, was als „Miracle on Ice“ in die Annalen des Sports einging. Diese Niederlage war schmerzhaft und zudem hoch politisch, weil die Sowjetunion nur wenige Wochen zuvor in Afghanistan einmarschiert war. Den Sieg von College-Boys über als unbesiegbar geltende Staatsamateure schlachteten die Amerikaner umgehend propagandistisch aus. Zurück in Moskau widerfuhr den sowjetischen Sportlern eine harte Bestrafung: elf Monate im Jahr wurden sie künftig kaserniert, um täglich bis zur Erschöpfung zu trainieren. Solcherart zu einer Einheit zusammengeschweißt, spielte der erste Block als Kollektiv Eishockey wie von einem anderen Stern, der andere Mannschaften geradezu hilflos erschienen ließ. Was hier vom körperlosen Kurzpassspiel des Quintetts erzählt wird, erinnert immer wieder an den glanzvollen Fußball des FC Barcelona in seinen besten Jahren.
Als die kollabierende Sowjetunion sich das kostspielige Sportsystem nicht mehr leisten kann, werden die Eishockeystars als Devisenbringer interessant. Die Frage, wer ausreisen durfte, um in der amerikanischen National Hockey League (NHL) anzuheuern, öffnete politischen Ränkespielen Tür und Tor. Manche Spieler setzten sich bei Auslandsspielen ab; manche erhielten offiziell eine Ausreiseerlaubnis; der Fall Fetissows wurde sogar zum Politikum, der schließlich als Musterbeispiel von Zivilcourage an höchster Stelle ausgefochten wurde.
Ironischerweise war der Traum von Freiheit nur um den Preis des relativen Misserfolgs zu haben, denn das Spielniveau der NHL wusste mit den Qualitäten der sowjetischen Spieler nichts anzufangen; Mannschaftsdienliches war nicht gefragt. Zudem sahen die US-Spieler die Konkurrenz der „Kommunisten auf dem Eis“ mit äußerst reservierten Gefühlen. Als allerdings die Detroit Red Wings 1997 auf die Idee kamen, einen kompletten Block mit gealterten, aber unterforderten russischen Spielern ins Rennen zu schicken, wurde das sogleich mit dem Gewinn des „Stanley Cups“ belohnt.
Es war Wladimir Putin, der Fetissow schließlich mit einem Posten in der Sportbürokratie nach Russland zurücklockte; auch für die anderen Heimkehrer fanden sich Posten als Trainer oder Agenten.
Mit den Veränderungen in Russland geht Fetissow im Interview hart ins Gericht: Alles drehe sich nur noch ums Geld, für die Seele, den Patriotismus und die Idee des Kollektivs sei heute kein Platz mehr. So mischt sich rückblickend und vielleicht insgesamt etwas zu oberflächlich eine Spur Nostalgie in den Film, der es meisterhaft versteht, durch die Kombination vorzüglich ausgewähltem Archivmaterials aus dem sowjetischen wie amerikanischen Fernsehen sowie mit Interviews mit Sportlern, Angehörigen und Zeitzeugen von der Politisierung des Sports diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs zu erzählen. Und nebenbei erlaubt sich Gabe Polsky noch ein paar Späße auf eigene Kosten, die nicht nur zeigen, was für ein cooler Typ dieser Slava Fetissow ist, der gegen alle Widerstände sein Ding gemacht hat. Sondern auch, dass Polsky von seinem Executive Producer Werner Herzog in Sachen „ekstatische Wahrheit“ des Dokumentarischen ein paar grundsätzliche Dinge gelernt hat.