Irgendetwas stimmt nicht mit der Welt. Die üppigen Maisfelder, die Farmer-Idylle, das Haus am Rande des Feldes: Alles fault unter der Oberfläche. Denn der Mehltau ist dabei, die letzte Ernte zu vernichten und den Menschen den Sauerstoff zu rauben. Machtlos wehrt sich die Gesellschaft gegen den Sturz in den Abgrund, indem sie rigorose Prioritäten setzt.
„Wir brauchen keine Studenten, wir brauchen Farmer, die den Menschen Nahrung geben“, sagen die Lehrer zu dem einstigen Piloten Cooper (Matthew McConaughey), als sie seinem Sohn den Zugang zur Universität verwehren. Zudem solle er aufhören, seiner kleinen Tochter Murph von den Errungenschaften der US-Raumfahrt zu erzählen. Der Traum von der Erforschung des Weltraums erscheint der Lehrerin geradezu als Hybris angesichts der irdischen Probleme. Doch Cooper hält dagegen: „Wir waren schon immer Pioniere, Entdecker.“
Die Geister des Binären
In „Interstellar“ befindet man sich in einer Zukunft, die undenkbar und trotzdem sehr greifbar erscheint. Während draußen Endzeitstimmung herrscht, beschäftigen im Inneren des Hauses seltsame Erscheinungen die aufgeweckte Murph: rätselhafte Bewegungen im Bücherregal des Kinderzimmers, so als ob Geister mit binären Codes oder Morsezeichen Warnungen aussprechen würden.
Zusammen mit seiner Tochter folgt Cooper einem dieser geisterhaften Hinweise und stößt auf ein abgeriegeltes Areal und die Überreste der NASA. Dort weihen ihn der leitende Wissenschaftler und sein Team in ein Projekt ein, das es der bedrohten Menschheit ermöglichen soll, die Erde zu verlassen und ein neues Zuhause in den Tiefen des Weltalls zu finden.
Einer der Astronauten, die schließlich auf diese Mission geschickt werden, wird Cooper sein. Er wird seine Familie verlassen, seine untröstliche Tochter Murph zurücklassen und durch ein Wurmloch beim Saturn in eine andere Galaxis reisen. Dort könnten möglicherweise bewohnbare Planeten existieren, wie die Forscher einer früheren Mission herausgefunden haben.
„Interstellar“ ist eine „Major Tom“-Elegie um einen Protagonisten, der bei seiner Reise ins All nicht nur räumliche Grenzen ins Unbekannte überschreiten muss, sondern auch an existenzielle Grenzen stößt: zwischen Leben und Tod, Physik und Metaphysik. „Ground Control“ ist dabei kein Hort der Sicherheit.
Über Raum und Zeit hinweg
In Christopher Nolans grimmiger Endzeit-Dystopie ist Science-Fiction-Romantik völlig fehl am Platz. Und doch ist „Interstellar“ von ihr beseelt: in der Bildgewalt, mit der Nolan die von Cooper und seinem Team erkundete Welten auf die Leinwand bannt. Aber auch in den Figuren. Es gibt den klassischen Mentor in Gestalt des NASA-Programmleiters; es gibt dessen Tochter Brand (Anne Hathaway), die den impulsiven Cooper ins All begleitet und gleichsam erdet; und es gibt Coopers Tochter Murph, die einer Lichtgestalt gleich den Geschicken der Menschheit auf der Erde einen entscheidenden Impuls gibt.
Nolan gibt den Figuren viel Zeit, um Loyalitäten zu testen oder um im All oder im irdischen Elend ums Überleben zu kämpfen und am Rand von Schwarzen Löchern die erzählte und erlebte Zeit zu dehnen oder zu verdichten, während die Montage über Zeit und Raum hinweg die Schicksale und Erzählfäden zusammenhält.
Man kann „Interstellar“ getrost in eine Reihe mit „2001: Odyssee im Weltraum“ stellen. Doch im Gegensatz zu Stanley Kubrick bleibt Nolan in seinen wissenschaftlichen und philosophischen Konzepten nicht andeutungsvoll vage. Angesichts der Thesen, die hier vertreten werden, ist das äußerst mutig. Doch so virtuos-verwegen und auch angreifbar das „schreckliche Märchen“ bis zum abenteuerlichen Finale erzählt wird: Das Kino von Nolan macht uns glauben.
Eine große kleine Sternen-Oper
„Interstellar“ lebt von den präzise beobachteten zwischenmenschlichen Kleinigkeiten, die dem Film eine seltene Emotionalität verleiht, gegenüber denen die die gigantischen Weltraum-Tableaus fast verblassen. Sie korrespondiert auf phänomenale Weise mit der Botschaft des Films, die einen Schulterschluss zwischen Emotion und Kognition als Geheimnis wissenschaftlichen Fortschritts postuliert. Wenn am Ende alle wissen, dass keine Geister, sondern stets nur die Menschen ihre Geschicke lenken, dann ist die große Sternen-Oper plötzlich ganz klein, intim und fassbar.