Ein Boot hängt in den Ästen der Bäume auf einer der unbewohnten Inseln mitten im Mississippi, vermutlich zurückgeblieben nach einer Hochwasserkatastrophe. Für die 14-Jährigen Ellis und Neckbone ist es ein Symbol der Träume und Abenteuer, die sie auf die entlegene Insel getrieben haben. Der unrasierte, ungewaschene Mann mit der halb zerkauten Zigarette zwischen den Zähnen, dem sie zu ihrem Erstaunen am Ufer begegnen, passt nicht in ihre Pläne, wird aber bald ihr ganzes Tun und Denken bestimmen. Mud sollen sie ihn nennen, und als Mud ist er auch in der Welt der Erwachsenen bekannt. Den beiden fantasiebegabten Streunern bleibt nicht lange verborgen, dass sich Mud auf der Insel versteckt und dass er wohl etwas auf dem Kerbholz haben muss. Er verkörpert geradezu das Abenteuer, das sie suchen; und als sie herausfinden, dass Mud einzig und allein aus Liebe zum Gejagten wurde, dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als auch noch aus seiner trostlosen Isolation heraus das geliebte Mädchen zu beschützen, schlägt vor allem Ellis’ Herz hoch für den Ausgestoßenen.
Das Drama, das sich daraus entwickelt, dass Ellis und Neckbone für Mud zu willigen Mittlern zwischen ihm und der Außenwelt werden, dass sie ihm Konserven bringen und Informationen, dass sie schließlich sogar seine Flucht unterstützen: Alles das braucht Zeit in Jeff Nichols’ wunderschönem Film. Wie schon in „Shotgun Stories“ und „Take Shelter“ ist es Nichols wichtiger, Lebensräume zu schaffen, in denen sich der Zuschauer einrichten kann, als ihn gleich mit dramatischen Ereignissen zu überfallen. Die kommen gegen Schluss des Films immer noch früh genug. In einem Rhythmus, der dem trägen Fließen des Mississippi gleich kommt, erzählt Nichols die Geschichte der beiden Jungen und entwirft gleichzeitig ein Bild der vom Wohlstand ausgesparten, aber von einer üppigen Natur begünstigten Landschaft am Rand des Mississippi, jener Gegend, in der er selbst aufgewachsen ist. Nichols hat die Figur des Renegaten Mud für Matthew McConaughey geschrieben. Und McConaughey macht sie sich auf eine Weise zu eigen, die vergessen lässt, dass hier ein Schauspieler am Werk ist. Auch die anderen Stars – von Reese Witherspoon bis Michael Shannon, Joe Don Baker und Sam Shepard – verschwinden in ihren Rollen, als gehörten sie ihr Leben lang zu den Einwohnern dieser gottverlassenen Gegend, die Ellis und Neckbone vermutlich für nichts in der Welt mit einer anderen Heimat vertauschen möchten. Nicht nur die atmosphärische, nie sentimentale Inszenierung macht „Mud“ zu einem herausragenden Film, sondern vielleicht mehr noch das Drehbuch, das so viel Sympathie für seine Figuren aufbringt und genau den richtigen Erzählton trifft – auch dann noch, wenn im letzten Drittel die Realität der Erwachsenen die Fantasiewelt der Kinder zerbricht. Hätte Mark Twain in unserer Zeit gelebt, er würde wohl ähnlich schreiben.