Der Dokumentarfilm zeichnet die politische Karriere des amerikanischen Ex-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld (geb. 1932) nach und versucht, ihm Erklärungen zu den Folterskandalen im Militärgefängnis von Abu Ghraib oder der falschen Begründung für den Krieg im Irak zu entlocken. Dabei lässt der Fim seinen sturen Gesprächspartner sich selbst durch martialische Rhetorik entlarven und inszeniert Interviews als fundiert recherchierte Duelle. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
The Unknown Known
Dokumentarfilm | USA 2013 | 109 Minuten
Regie: Errol Morris
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE UNKNOWN KNOWN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- History Films/Moxie Pic./Participant Media/The Weinstein Company
- Regie
- Errol Morris
- Buch
- Errol Morris
- Kamera
- Robert Chappell
- Musik
- Danny Elfman
- Schnitt
- Steven Hathaway
- Länge
- 109 Minuten
- Kinostart
- 03.07.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Der Dokumentarfilmer Errol Morris sagte in einem Interview, dass der amerikanische Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld für seine Frau wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ sei: Am Ende bleibt nur das Lächeln übrig. Und Morris selbst wartet, wartet, wartet mit dem Schnitt, auch wenn Rumsfeld längst ausgesprochen hat, nur um auf dieses Lächeln zu hoffen, das manchmal kommt, oft aber auch nicht. Noch viel seltener als das Lächeln kommen allerdings Anflüge von Zweifel oder Unsicherheit vor. Da ist einer mit sich im Reinen.
Dies ist eine Erkenntnis, die sich aus diesem Film ziehen ließe; eine weitere wäre, mit welch einem Faktenhuber man es hier zu tun hat. Rumsfeld ist berüchtigt für seine Memos und Diktierwut; 20.000 Nachrichten sollen es in den sechs Jahren unter Bush gewesen sein, Millionen über seine jahrzehntelange politische Karriere hinweg. So saust die Kamera immer wieder über die Schriftstücke, die Rumsfeld für den Film noch einmal vorliest; das Bild rahmt Satzfetzen ein, hebt hervor. Denn häufig ging es bei den Memos eben auch um „Definitionen“: Was soll ein Guerillakrieg sein, was unkonventionelle Kriegsführung? Einmal ließ Rumsfeld seine Mitarbeiter die exakte Bedeutung des Begriffs „several“ nachschlagen, was so viel wie „einige“ oder „mehrere“ bedeutet. Bei der Anhörung durch den Senat vor seinem Amtsantritt unter George W. Bush wurde er gefragt, woran er denke, wenn er sich schlafen lege. „Geheimdienstinformationen“, antwortete Rumsfeld. Nie wolle er verantwortlich sein für eine Katastrophe, die man habe geschehen lassen aus „Mangel an Vorstellungsvermögen“. Dann kam der 11. September 2001.
Die tiefe Wunde, die die Anschläge einem solchen Kontrollfreak zufügen mussten, wäre eine mögliche Antwort auf die Frage, die der Film unweigerlich aufwirft: Wie konnte einer, dem es immer ums Belegen, Archivieren, Wissen gegangen war, sich in einen Krieg wie den im Irak stürzen? Morris hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung der Person Rumsfeld, aber auch die Verhärtung einer Ideologie zu skizzieren, die sich der Politiker seit den 1970er-Jahren zugelegt hat, als er zum ersten Mal Verteidigungsminister wurde, damals noch unter Präsident Ford.
In allen seinen Filmen zeigte sich Errol Morris immer wieder gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert vom Missbrauch der Macht. Für „The Fog of War“ (fd 36 709) mit Robert McNamara hat er 2004 den „Oscar“ für den besten Dokumentarfilm gewonnen, für „Standard Operating Procedure“ (fd 38 735) über die Folter in Abu Ghraib wurde er heftig gescholten, weil er einzelne Gesten dramatisierend nachgestellt hat. Für seine aktuelle Arbeit bedient er sich aus dem großen Fundus, den die Bilder- und Nachrichtenmaschine Washingtons ohnehin ausspuckt, fügt Aufnahmen aus Kriegen hinzu, und immer, immer wieder die Memos – und natürlich das Gesicht seines Gesprächspartners.
Grundkenntnisse über die historischen Abläufe, von der Präsidentschaft Nixons bis hin zum zweiten Irakkrieg unter Bush, erleichtern das Verständnis des ambitionierten Films. Die Suche nach Erklärungen aber misslingt, wenngleich auf produktive Weise. Waterboarding in Guantanamo? Nie passiert. Abu Ghraib? Widerlich, Ekel erregend. „Ich glaube an das Rechenschaftsprinzip“, daher habe er seinen Rücktritt angeboten. Dieser Bursche ist im Dialog nicht zu entlarven. Morris tut deshalb das einzig Richtige: Er lässt ihn sprechen und seine martialische Weltsicht ausbreiten, während der Film die Statistiken dagegen montiert: mehr als 100.000 tote Irakis, dreistellige Milliardenkosten.
Am Ende verhaspelt sich der Definitionsmächtige in seinem eigenen Wörtergarn: „The unknown known“. War das jetzt das, was man nur zu wissen glaubte, oder das, von dem man nicht wusste, dass man es weiß? Morris bietet keine Auflösung, aber er lässt Rumsfeld und sich selbst beim Argumentieren zuschauen.
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