Dass eine deutschsprachige Filmemacherin nach Afghanistan geht, um sich dort dezidiert mit den Folgen des Krieges und dem Verhältnis von ISAF-Soldaten zur einheimischen Bevölkerung zu beschäftigen, verdient Bewunderung und Respekt. Feo Aladag, die auch als Produzentin und Drehbuchautorin fungiert, hat um der Authentizität willen in Kunduz und Mazar-i-Sharif gedreht, wo andere Regisseure aus Logistik- und Sicherheitsgründen nach Marokko ausgewichen wären. Doch die abenteuerlichen Dreharbeiten, über die Aladag in Interviews und bei der Pressekonferenz anlässlich der „Berlinale“ ausführlich berichtet hat, verstellen den Blick auf den Film. Die gesuchte Authentizität hat den Druck vielmehr noch erhöht, den die Regisseurin sich selbst auferlegt hat: Bloß in kein Fettnäpfchen treten, möglichst allen Seiten gerecht werden und bitte nicht missverstanden werden. Das Resultat sind eine Ausgewogenheit und Eindeutigkeit, die dem Drehbuch schwer zusetzen.
Im Mittelpunkt steht der Bundeswehrsoldat Jesper, der sich zum erneuten Einsatz nach Afghanistan meldet, obwohl sein Bruder dort gefallen ist. Gemeinsam mit seiner Einheit soll er, unterstützt von einer sogenannten Arbaki-Miliz unter Führung von Haroon, ein abgelegenes Dorf vor den Taliban beschützen. Ein junger Afghane namens Tarik vermittelt mit seinen Englisch-Kenntnissen zwischen deutschen Soldaten, Dorfbewohnern und der Miliz. Man ahnt, dass es dabei nicht nur ums Übersetzen von Wörtern, sondern um Diplomatie geht, darum, unbequeme Wahrheiten zu verschweigen oder unhaltbare Zustände zu beschönigen. Der Transfer in eine andere Sprache dient mehr als einmal dazu, Misstrauen abzufedern oder wenigstens einen kleinsten gemeinsamen Nenner herzustellen.
Von Beginn an stellt der Film, nicht immer subtil, die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Afghanen heraus: Pünktlichkeit, Befehlshierarchien, Ehrenkodexe. Mehr als einmal liegen die Nerven blank; Jesper wirkt wegen der ihm auferlegten Verantwortung, aber auch angesichts der Gefahr durch die Taliban, immer unsicherer, manchmal sogar überfordert. Tarik hingegen muss aufgrund seiner Zusammenarbeit mit den Deutschen sogar um sein Leben fürchten. Aber Jespers Vorgesetzter weigert sich, dem Jungen Schutz zu gewähren, was Jesper in einen unlösbaren Gewissenskonflikt stürzt. Als Tariks Schwester von den Taliban niedergeschossen wird, weil sie an der Universität studiert, darf Jesper sie nicht einmal auf der Krankenstation behandeln lassen.
Zwischen Welten, zwischen Stühlen: Aladag stellt am Beispiel eines brisanten politischen Konflikts wichtige, ernsthafte Fragen: nach Nähe und Fremdheit bei Auslandseinsätzen, nach Vertrauen und Verantwortung, nach Humanität und Überleben. Wie kann man in einer streng hierarchischen Militärbürokratie eigenverantwortlich handeln? Wie kann man im Krieg die Menschenwürde bewahren? Bei der Suche nach Antworten greift die Inszenierung allerdings zu Klischees, Genre-Konventionen und Vereinfachungen, die das Konzept der Authentizität hintertreiben. So wird die eklatante Kluft zwischen Deutschen und Afghanen bei einem Essen mit Lagerfeuerromantik wundersam überbrückt, als sei nichts gewesen. Ein anderes Mal vergleichen die Männer ihre Traumata, als ginge es um eine Schulhofwette: „Ich habe einen Bruder im Krieg verloren!“, sagt Jesper. „Ich zwei“, kontert Haroon.
Die Ambivalenz, mit der zu Beginn die unterschiedlichen Figuren und Perspektiven eingeführt wurden, um der verfahrenen Situation in Afghanistan gerecht zu werden, weicht einer bedeutungsschweren Eindeutigkeit, die sich häufig in Allgemeinplätzen äußert: „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit.“ Stilistisch hingegen findet Aladag immer wieder überzeugende Bilder. Die Kamera von Judith Kaufmann scheint das unbarmherzige Sonnenlicht noch zu verstärken und taucht die karge Landschaft in gleißende Helligkeit, die Jesper die Schweißtropfen auf die Stirn treibt. Stets scheint irgendwo eine Gefahr zu lauern, und diese Unsicherheit spiegelt sich im nervösen Spiel von Ronald Zehrfeld. So muss es sich anfühlen, wenn man zwischen strenger Befehlskette und unsichtbarer Bedrohung in einem Kriegsgebiet versucht, das Richtige zu tun.