The Wolf of Wall Street

Biopic | USA 2013 | 180 Minuten

Regie: Martin Scorsese

In den 1990er-Jahren steigt ein kleiner US-Börsenmakler mit Geschick und Gewissenlosigkeit zum meisterhaften Manipulator von Menschen und Millionen auf. Die auf einer realen Figur basierende Geschichte inszeniert Martin Scorsese als überbordende, streckenweise entwaffnend komische Satire auf eine maßlose Gesellschaft. Die elektrisierende Darstellung hemmungslosen Exzesses gerät durch die Anhäufung orgiastischer Karikaturen allerdings bei einer Laufzeit von drei Stunden mitunter auch an den Rand der Monotonie. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WOLF OF WALL STREET
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Red Granite Pictures/Sikelia Prod./Appian Way/EMJAG Prod.
Regie
Martin Scorsese
Buch
Terence Winter
Kamera
Rodrigo Prieto
Schnitt
Thelma Schoonmaker
Darsteller
Leonardo DiCaprio (Jordan Belfort) · Jonah Hill (Donnie Azoff) · Margot Robbie (Naomi Lapaglia) · Matthew McConaughey (Mark Hanna) · Kyle Chandler (Patrick Denham)
Länge
180 Minuten
Kinostart
16.01.2014
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Komödie | Krimi
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe (DVD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die umfangreichere BD enthält indes die - wenn auch nicht sonderlich ergiebigen - "Making of"-Feature "Das Wolfsrudel" (17 Min.) und "Verwilderung" (11 Min.) sowie die Diskussionsrunde "Runder Tisch" (11 Min.) u.a. mit Leonardo DiCaprio und Martin Scorsese.

Verleih DVD
Universal (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Universal (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl., dts dt.)
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Diskussion
Nach den Gangstern von „Good Fellas“ (fd 28 549) und den Spielbank-Haien von „Casino“ (fd 31 816) stürzt sich Martin Scorsese in vorgerücktem Alter noch einmal in die Welt der Superreichen und Gewissenlosen, die den Sohn streng katholischer Einwanderer aus Italien sein Leben lang fasziniert haben. Diesmal vertauscht er die schussfreudigen Ganoven und leichtfertigen Spielernaturen mit ehrgeizigen Börsenmaklern, wobei er vollkommen zu Recht unterstellt, dass sich zwar die Methoden der amerikanischen Emporkömmlinge verändert haben, ihre Amoralität darunter aber nicht gelitten hat. Bernie Madoff und Genossen lassen grüßen. Sagt Scorsese mit dem drei Stunden langen Film etwas Neues? Nein. Bringt er es mit seinem in jeder Beziehung hemmungslosen Sittengemälde fertig, den Zuschauer aus der Lethargie gleichförmiger Hollywood-Filme in eine Art Fieberwahn grenzenloser Gesellschaftskarikatur zu katapultieren? Keine Frage. Gleich von der ersten Szene an ist man mittendrin in einer orgiastischen Darstellung des Exzesses, in einem Adrenalin-Trip voller Kokain und Nutten, in einer vulgären und gleichzeitig erschreckenden Screwball-Komödie über den moralischen Niedergang Amerikas. Wie es heute in Hollywood üblich ist, hat auch Scorseses seinen Helden dem wahren Leben entliehen. Hinter der Filmstory steht der Börsenmakler Jordan Belfort, dessen Autobiografie dem Drehbuchautor Terence Winter in die Hände fiel. Der hatte schon bei den Fernsehserien „The Sopranos“ und „Boardwalk Empire“ dafür gesorgt, dass aus dem übergroßen Ich der realen Helden mythische Figuren wurden. Auch bei „The Wolf of Wall Street“ tut er sich nicht schwer, aus Belfort einen von Moral und Gewissen unbeleckten Beherrscher der Klaviatur menschlicher Gier zu machen. Binnen kürzester Zeit steigt der Protagonist vom Penny-Stocks-Händler zu einem mit Millionen um sich werfenden Börsenmakler auf. Die Inszenierung suhlt sich in den Ausschweifungen dieser Blitzkarriere, die oft eher wie ein modernes Sodom und Gomorra aussehen, als dass sie einen Blick hinter die ehrwürdigen Mauern von Wall Street werfen würden. Egal, ob Belfort seine Opfer mit wortgewandter Überredungskunst in sein Lügengespinst angeblich unfehlbarer Investitionen lockt, ob er hoffnungslose Makler einer heruntergekommenen Strip Mall in Long Island in fiebernde Abbilder seiner eigenen Hemmungslosigkeit verwandelt oder seine etwas farblose Ehefrau gegen ein weibliches Aushängeschild des eigenen Erfolgs eintauscht – alles, was er anfasst, wird zu Geld. Jordan Belfort ist eine Inkarnation der 1990er-Jahre, in denen in Amerika alles ging, solange man sämtliche illegalen Tricks beherrschte. In Konflikte gerät Belfort erst, als sich ein unbestechlicher FBI-Agent an seine Fersen heftet. Aber auch die dritte Stunde von „The Wolf of Wall Street“, die man den Absturz nennen könnte, hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit den moralischen Implikationen der Gangsterfilme eines Edward G. Robinson oder Robert Stack. Auch im Niedergang bleibt Belfort ein von vielen bewundertes Sinnbild des Größenwahns und der Egozentrik, denen Amerika seinen Ansehensverlust in der Welt zu verdanken hat. Obwohl Belfort verurteilt wird, bekommen sein listenreicher Schweizer Bankier und seine bereitwilligen Helfershelfer den Zorn des Gesetzes weit mehr zu spüren als er, der in einem „Minimum Security Prison“, wo für Geld alles zu haben ist, nach wie vor die Vorteile seines Luxuslebens genießt. Scorsese hat sich auf diese Story geworfen, als wollte er dem Publikum mit einem Übermaß an Exzess und Sarkasmus einhämmern, wie verworfen doch die Welt der Jordan Belforts ist. Er lässt eine wahre Sturzflut von Amoralität auf den Zuschauer los, in der Regeln gebrochen, Träume zerstört und egoistische Selbstbefriedigung gefeiert werden. Der Film wirkt wie ein total überdrehter Fiebertraum, beständig zu neuen Höhepunkten getrieben durch die fulminante technische Perfektion und die elektrisierende, alle Vorsicht fahren lassende Darstellung der Hauptperson. Auch komplizierte Massenszenen und hautnah am Eingriff der Zensur vorbeimanövrierte Sequenzen beherrscht Scorsese inzwischen mit einem Geschick, das andere Hollywood-Regisseure vor Neid erblassen lassen müsste. Die Missachtung aller konventionellen Grenzen und die überbordende Energie, mit der die Inszenierung lustvoll gegen sie verstößt, machen bisweilen sprachlos, schlagen aber auch in eine sehr bewusst kalkulierte Satire um, die „The Wolf of Wall Street“ zu einem der komischsten und in seiner Komik entlarvendsten Filme der jüngeren amerikanischen Produktionsgeschichte werden lässt. Dabei geht allerdings die Empathie, die Scorsese früher nicht einmal dem niederträchtigsten Schurken verweigerte und die seinen Figuren stets einen menschlichen Akzent verlieh, weitgehend verloren und weicht einem alles überschattenden Zynismus. Formal gerät dem Film zum Nachteil, dass große Regisseure heute oftmals ihre eigenen Produzenten sind und es keinen David O. Selznick mehr gibt, der auch einen Alfred Hitchcock in die Grenzen zu weisen vermochte. Trotz aller Vitalität, die „The Wolf of Wall Street“ bis zum Schluss nicht abzusprechen ist, bewirken auch die spektakulärsten Szenen in ihrer jedes übliche Zeitmaß sprengenden Häufung nämlich auf Dauer ein Gefühl der Monotonie, das sogar Leonardo DiCaprios mimische und physische Kunststücke nicht gänzlich überspielen können.
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