In einem Pariser Bus stolpert ein alter Mann. Eine junge Frau hilft ihm beim Aussteigen und besteht hartnäckig darauf, ihn nach Hause zu begleiten. Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Romanze. „I’m now officially girl scout material“, murmelt Matthew Morgan. Pauline, die junge Frau, ahnt nicht, dass er das zu seiner verstorbenen Gattin sagt. Das Kinopublikum schon. Schließlich hat Drehbuchautorin und Regisseurin Sandra Nettelbeck („Bella Martha“) ihren Film mit Bildern von deren Totenbett eröffnet. Die Ärzte mussten den Witwer gewaltsam von ihr wegzerren. Später sieht man, wie die beiden in Matthews Vorstellungswelt noch immer gemeinsam auf einer Bank sitzen oder händchenhaltend durch die Straßen flanieren. Doch dann begegnet Mr. Morgan, die amerikanische Filmvariante des französischen Romanhelden aus Francoise Dorners Bestseller „Die letzte Liebe des Monsieur Armand“, der gutherzigen und immer fröhlichen Tanzlehrerin Pauline, die sich das mädchenhaft niedliche Lächeln vielleicht bei der „fabelhaften Amélie“ abgeguckt hat und Mr. Morgan beibringt, wie man Cha-Cha-Cha tanzt.
Ein wenig zu sehr weidet sich „Mr. Morgan’s Last Love“ anfangs an solchen Szenen vom Feelgood-Reißbrett. In weichen, warmen Farben werden da die stimmungsvollen Totalen ausgebreitet, getragen von nostalgischen Hans-Zimmer-Klavierklängen und erfüllt vom schweren Duft parfümierter Sätze wie „Du bist das einzige Rätsel in meinem Leben, das ich noch nicht gelöst habe.“ Spätestens wenn der emeritierte Philosophieprofessor dann mit frischem Lebensmut die vernagelten Fenster in seinem Appartement öffnet und sich prompt ein Postkartenblick auf den Eiffelturm auftut, zielt das nicht mal mehr knapp am Klischee vorbei, sondern mitten hinein. Dass der Film trotzdem einigermaßen lebendig und glaubhaft bleibt, liegt vor allem an den beiden wunderbaren Hauptdarstellern: Michael Caine verbreitet einen ähnlich epischen Charme wie einst in „Gottes Werk & Teufels Beitrag“, aber Clémence Poésy lässt sich davon nicht einschüchtern, sondern hält mit vibrierender Energie dagegen. Wirklich interessant wird der Film, als nach einem missglückten Selbstmordversuch Matthews dessen Kinder aus den USA aufkreuzen. Die betuliche Atmosphäre weicht einer tragikomischen Verstimmung, bei der die von Gillian Anderson herrlich hemdsärmelig gespielte Tochter Karen vor allem für die komischen und der verbitterte Sohn Miles für die tragischen Momente zuständig ist. Während Karens Besuch ein Intermezzo bleibt, entwickelt sich Miles zur dritten Hauptfigur. Justin Kirk kauft man die Rolle des schönen Helden mit blutendem Herzen gerne ab, zumal er nicht zu dick aufträgt, wenn er mit bösem Sarkasmus gegen das Schicksal, ein ungeliebter Sohn zu sein, aufbegehrt. Vor allem aber rückt Mr. Morgan im Beisein seiner Kinder auch in den Augen Paulines in ein anderes Licht. Der liebenswerte, altersweise Herr, der sie an ihren verstorbenen Papa erinnert, verwandelt sich unversehens in einen sturen, unerbittlichen Vater. Zwischen den Fronten droht Paulines Sehnsucht nach der heilen Welt brutal zu zerbrechen. Dieser überraschende Richtungswechsel ist es, mit dem das warmherzige Wohlfühlfilmchen sich aus der Umarmung der Genreklischees löst und, ohne gleich alles auf den Kopf zu stellen, eigene, reizvolle Akzente setzt.