Fanni - Oder: Wie rettet man ein Wirtshaus?
Dokumentarfilm | Deutschland 2024 | 98 Minuten
Regie: Hubert Neufeld
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2024
- Produktionsfirma
- HTN Films/Hubert Neufeld
- Regie
- Hubert Neufeld
- Buch
- Hubert Neufeld
- Kamera
- Hubert Neufeld
- Musik
- Ruben Hein · Gijs Batelaan · Katrin Czerny
- Schnitt
- Hubert Neufeld · Felix Berlet
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 24.04.2025
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Doku über die Wiederinbetriebnahme einer lange verwaisten Dorfwirtschaft in Oberbayern, was den ganzen Ort mit neuem Leben erfüllt.
In dem 500-Seelen-Dorf Pischelsdorf soll ein neuer Treffpunkt entstehen. Und zwar in dem Wirtshaus, das seit über 40 Jahren leer steht. Die „Tafernwirtschaft Anton Riedmair“ war von der Tochter des Gründers, Fanni, bis in die 1980er-Jahre geführt worden. Dann aber ging nichts mehr. Am Totenbett hatte Fanni ihrer Erbin gedroht, dass sie sie „im Traum heimsuchen“ werden, wenn sie daran etwas ändern sollte. So verfiel der einstige Dorftreffpunkt in den Dornröschenschlaf. Damit teilte Pischelsdorf das Schicksal vieler anderer Gemeinden in Bayern, in denen es keine Gaststätten mehr gibt.
Brache oder pralles Leben
Doch irgendwann merkten die Pischelsdorfer, dass ihrem Ort die soziale Mitte abhandengekommen und das Dorf zu einer Siedlung geworden war. Der Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, Rudolf Neumaier, spricht sogar von einer neuen „Sehnsucht nach dem Alten“. Man merke wieder, dass etwas verloren gegangen ist. Und zwar nicht falsche Projektionen auf eine Zeit, wo alles besser war, sondern vielmehr das „Wohnzimmer der Gemeinde“, wie es der Kabarettist Gerhard Polt nennt. Für Polt ist das bayerische Wirtshaus ein „Marktplatz, überdacht, ein Katalysator von Meinungen, Wissen, Illusionen“. Wenn der fehlt, tut sich eine Leerstelle mitten im Dorf auf. Solche Gebäude stehen zunächst leer und verfallen dann langsam, ehe sie abgerissen werden, damit kein Unfall passiert. Am Ende ist das Ortszentrum einer Brache, statt ein Ort prallen Lebens zu sein.
Davor hatte man in Pischelsdorf Angst. 2019 initiierte eine Handvoll Menschen ein Treffen zur Rettung des Wirtshauses, was auf überwältigendes Interesse stieß. Es fand sich eine Gruppe Gleichgesinnter, die anpackten. Erwartungsgemäß sind es vor allem Männer im mittleren und etwas höheren Alter, die sich hier zusammengetan haben. Heute finden sich in der Dorfheim Fanni e.G., die kurz darauf zum Wiederaufbau und der Inbetriebnahme der Gaststätte gegründet wurde, auch viele Frauen.
Gemeinsam auf der Bierbank
Hubert Neufeld beobachtet in „Fanni - Oder: Wie rettet man ein Wirtshaus“ die Mühen der Ebene, von der Sanierung morscher Deckenbalken bis zum Vollwärmeschutz, vom Nachbau der handgeschnitzten Biertische bis zur kleinteiligen Restaurierung des historischen Gaststättenschilds. Ein gemeinsamer Prozess, der die beteiligten Menschen zusammengeschweißt hat. Das merkt man, wenn die Initiatoren des Projekts kurz nach der (Wieder-)Eröffnung gemeinsam auf der Bierbank sitzen: in trauter Gemeinsamkeit, glücklich und tiefenentspannt.
Neben der Chronologie eines gelungenen bürgerschaftlichen Engagements geht es immer wieder um Alltagskultur und Kulturverlust. Und um eine Gegend, in der man sich im Abseits einer mobilitätsverliebten Gesellschaft auf die Suche nach der verlorenen kollektiven Seele macht. Weil ICE und Flugverkehr einen großen Bogen um die Dörfer und Kleinstädte machen und die berufstätige Pendlerschaft nur zum Schlafen herkommt, ist man gezwungen, die soziale Mitte neu zu erfinden, um sich nicht im zwischenmenschlichen Nirwana zu verlieren. Polt spricht von einer „vollkommen sterilen Atmosphäre“ in vielen Dörfern, wo Geschäfte fehlen, es keinen kleinen Austausch mehr gibt, keine Gespräche zwischen Miteinander und Streit, die den Alltag lebenswert machen. Die kleinen Dinge, die „Menschen ein Gefühl geben, dass sie daheim sind“.
Eine vierschrötige Charakterfrau
In Pischelsdorf hat das Projekt, das Wirtshaus wiederaufzubauen, Zugezogene und Alteingesessene zusammengebracht. Dennoch gibt sich niemand der Illusion hin, dass hier alles wieder so wird, wie es früher einmal war. Richard Loibl, der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, das 2022 die Ausstellung „Wirthaussterben? Wirtshausleben!“ zusammenstellte, zählt mit feinem Sarkasmus Trachten-, Lederhosen- und Blasmusikklischees auf, die so oft wiederholt wurden, „bis es die Bayern selbst geglaubt haben“. Seine Position zum Wirtshaus ist klar: „Wenn es das Wirtshaus nicht mehr gibt, gibt es Bayern nicht mehr.“
Doch vielleicht geht es auch um die Institution des Wirts. Franziska Riedmair, die letzte Wirtin in Pischelsdorf, wird von ihren früheren Gästen als vierschrötige Charakterfrau beschrieben, die einen Gast schon mal ignorieren konnte, wenn sie ihn nicht mochte. Für die anderen war sie eine Integrationsfigur: Kümmererin, Seelsorgerin, Ansprechpartnerin. Als Wirtinnen wurde auch Frauen in der ansonsten männlichkeitsbetonten Wirtshausrealität als Autorität respektiert.
Dass die Zeiten des „Vollblutwirts“, der nicht in Urlaub fuhr, weil ja jemand sterben könnte und die Familie dann keinen Ort für die Trauerfeier hat, vorbei sind, weiß man in Pischelsdorf. Heute hat das „Fanni“ nur jeden Freitag auf. Insgesamt 36 Frauen und Männer teilen sich die Dienste als Wirt; wahrscheinlich ist gerade deshalb ein Treffpunkt für Konzerte und Kino, Firmenfeiern und Nähkurse, Feuerwehrstammtisch und Geburtstagsfeiern entstanden.
Ein Mut machender Anfang
Filmisch solide und nur mit gelegentlichen Ausflügen in „Kein schöner Land“-Stereotypen von äsendem Rotwild und morgennebelverhangenen Auen schafft es der Film, am Beispiel der Lokalgeschichte den großen Alltag im Kleinen zu diskutieren. Denn nicht nur in Bayern stellt man sich die Frage: Warum fühlt man sich in der Provinz abgehängt und was kann man dagegen tun? Ein Wirtshaus ist kein Allheilmittel gegen die Isolation, aber ein Mut machender Anfang, um den Alltag wiederzubeleben und neuen kollektiven Selbstwert zu schöpfen. Dann muss man diese Selbstwertschöpfung vielleicht auch nicht populistischen Aasgeiern überlassen.