Dokumentarfilm über die jüdische Germanistin Ruth Klüger, die 1931 in Wien geboren wurde, sich als US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin einen Namen machte und mit ihren nüchtern-schroffen Holocaust-Erinnerungen "weiter leben. Eine Jugend" (1992) einem größeren Publikum bekannt wurde. Der Film begleitet sie auf Reisen und Begegnungen, wobei er Klügers Credo, dass Wahrheit nur konkret, nie exemplarisch zu haben sei, umsetzt und die feministische Wissenschaftlerin nicht porträtiert, sondern zeigt, wie sie lebt: heimat- und ruhelos und zumeist auch im Konjunktiv.
- Ab 14.
Das Weiterleben der Ruth Klüger
Dokumentarfilm | Österreich 2011 | 83 Minuten
Regie: Renata Schmidtkunz
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Filmdaten
- Originaltitel
- DAS WEITERLEBEN DER RUTH KLÜGER
- Produktionsland
- Österreich
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Navigatorfilm
- Regie
- Renata Schmidtkunz
- Buch
- Renata Schmidtkunz
- Kamera
- Avner Shahaf · Heribert Senegacnik · Oliver Indra
- Musik
- Norbert Rusz · Gerhard Kuebel
- Schnitt
- Gernot Grassl
- Länge
- 83 Minuten
- Kinostart
- 09.05.2013
- Fsk
- ab 0; f (DVD: ungeprüft)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Eine späte Karriere. 1992 veröffentlichte die 1931 in Wien geborene und seit Jahren an der Universität von Kalifornien in Irvine als Germanistin lehrende Ruth Klüger ihre Kindheitserinnerungen unter dem Titel „weiter leben. Eine Jugend“. Das Buch, schroff, nüchtern und voller ungewöhnlicher, prägnanter Wendungen wurde überraschend ein Bestseller: „(W)ie ich jetzt bin ... Eine, die sich auf die Flucht begibt, nicht erst, wenn sie Gefahr wittert, sondern schon, wenn sie nervös wird. Denn Flucht war das Schönste, damals und immer noch.“ Als Kind überlebte Klüger die KZs Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Christianstadt, bevor ihr und ihrer Mutter auf dem Todesmarsch nach Bergen-Belsen die Flucht gelang. Ein paar Jahre nach Kriegsende emigrierte Klüger in die USA, studierte, promovierte und machte eine Wissenschaftskarriere in Princeton, Irvine und schließlich auch in Göttingen.
Seit „weiter leben“ hat Klüger, die als Feministin in der Lehre deutliche Spuren hinterlassen hat, zahlreiche Bücher auf Deutsch publiziert und wurde mit zahlreichen Preisen bedacht. Die Filmemacherin Renata Schmidtkunz hat die engagierte Wissenschaftlerin einige Zeit auf ihren Reisen zwischen den Kontinenten und Kulturen begleitet, bei privaten Treffen und öffentlichen Anlässen beobachtet und ergänzende Stimmen gesammelt. So wertet die Literaturkritikerin Sigrid Löffler Klügers Texte als explizite Offenbarungen, weil Klüger mit ihrer besonderen Sensibilität und Unerbittlichkeit in literarischen Texten offene Wunden entdeckte, wo andere nicht einmal Narben sahen. Klüger erscheint vor der Kamera unsentimental, auch in privatem Umgang distanziert; was Löffler mit unerbittlich meint, wird in einer Szene am kalifornischen Pazifik deutlich. Dort trifft sich Klüger mit dem befreundeten Germanisten Herbert Lehnert, der sie einst nach Irvine holte. Man zieht förmlich, wie sich Klüger innerlich zusammenzieht, als Lehnert plötzlich jovial wird und die gegenseitige Freundschaft zu einem Modell deutsch-jüdischer Freundschaft in großer Tradition erklärt, weil doch die Zeit der Nazi-Barbarei lediglich eine Episode der Geistesgeschichte gewesen sei. In der Freundschaft zu Klüger erkennt Lehnert fast so etwas wie einen nachträglichen Sieg über Hitler. Man sieht, wie schwer es Klüger fällt, jetzt nicht ausfallend zu werden, wenn sie cool auf Distanz zum Pathos geht und die gemeinsame Freundschaft als etwas ganz Persönliches charakterisiert.
Später, in Wien, Bergen-Belsen oder Jerusalem, wird sich Vergleichbares wiederholen: Ruth Klüger, die eingangs des Films erwähnte, dass sie gerne mit Kolleginnen tratsche, hat wirklich ein Gespür für Sprache, lässt sich nicht vereinnahmen, sondern wägt ihre klaren Worte sorgsam. Die Wahrheit ist konkret, nicht exemplarisch zu haben. Weshalb dieser Film auch kein Beispiel für das Weiterleben nach dem Holocaust ist, sondern Ruth Klüger zeigt, wie sie weiter lebt: heimatlos und auch ruhelos, zumeist wohl im Konjunktiv: hier hätte Heimat sein können. Es ist dies kein Film über etwas (über eine Kindheit im Schatten der Barbarei, über die Todeslager, über den Antisemitismus in Wien und anderswo, über Emigration, über den Literaturbetrieb, über eine Schriftstellerin), sondern es ist ein Film der Präsenz, der Anschauung einer Haltung, die immer etwas unberechenbar und mysteriös bleibt. Weshalb auch jene Passagen besonders im Gedächtnis bleiben, in denen Klüger mit ihren beiden Söhnen und deren Familien zu sehen ist: auch hier spürt man stets eine gewisse Distanz, eine Verweigerung von Zärtlichkeit, aber hier zeigt die alte Dame, die in Momenten der unverhohlenen (Vor-)Freude mit der Stimme von Sophie Rois zu sprechen scheint, eine große Empathie und auch einen eigenwilligen Humor. Der Film endet mit einer lyrischen Meditation über die Phrase „Es ist uns schon mal schlechter gegangen!“ Für Klüger ein ambivalenter Satz, der zwischen gegenwärtiger Unbefangenheit und dem Wissen, dass Verdrängen nicht Vergessen oder gar Überwinden sei, vermittle.
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