Ein jugendlicher Gewalttäter soll in einem Erziehungscamp ein friedlicheres Miteinander lernen. Als er in einer Betreuerin eines seiner Opfer erkennt, weiß es nicht, wie er sich verhalten soll. Ein hintergründiges, herausragend gespieltes Drama, das konsequent seine sozialrealistische, psychologische Perspektive bis zum Schluss beibehält. Einfache Lösungen für den Konflikt zwischen Tätern und Opfern, Verzeihen und Vergeltung bietet das ebenso temporeiche wie nuancierte Drehbuch dabei nicht, wobei gerade der Mut zur Unklarheit dazu zwingt, das packende Drama weiterzudenken.
- Sehenswert ab 14.
Schuld sind immer die anderen
Drama | Deutschland 2012 | 93 Minuten
Regie: Lars-Gunnar Lotz
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2012
- Produktionsfirma
- FFL Film- und Fernseh-Labor/SWR/ARTE/Filmakademie Baden-Württemberg
- Regie
- Lars-Gunnar Lotz
- Buch
- Anna Maria Praßler
- Kamera
- Jan Prahl
- Musik
- SEA + AIR
- Schnitt
- Julia Böhm
- Darsteller
- Edin Hasanovic (Ben) · Julia Brendler (Eva) · Marc Ben Puch (Niklas) · Pit Bukowski (Tobias) · Natalia Rudziewicz (Mariana)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 28.02.2013
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Veröffentlicht am
01.02.2013 - 13:32:16
Diskussion
Fast zeitgleich laufen mit Sebastian Kutzlis „Puppe“ (vgl. FD 4/2013) und Lars-Gunnar Lotz’ „Schuld sind immer die Anderen“ zwei Dramen über Erziehungscamps für jugendliche Straftäter an. Zwei Regiedebüts von Filmhochschülern. Kutzli besuchte die HFF in München, Lotz studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg. Die Parallelen sind frappierend. Das Resozialisierungsprogramm bietet für Anna („Puppe“) und Ben („Schuld sind immer die Anderen“) jeweils eine zweite Chance, doch beide wollen anfangs davon nichts wissen. „Mit Sozialarbeitern red’ ich nicht“, blafft Ben. Reue empfindet er als Schwäche.Gefühle tut er als „Schwuchtelkram“ ab. Dabei ist er randvoll davon; geladen bis zum Anschlag mit Wut und Angst und Selbsthass. Seine Wangen pulsieren unter den angestauten Emotionen, ein Körper kurz vor dem Ausbruch. Aber beide verändern sich, sie lernen, über ihre Empfindungen zu reden, ihren Zorn zu kontrollieren, nachzudenken. Die Spielfilmdramaturgie will es, dass sie in den Camps von der Vergangenheit eingeholt werden. Beide Male ist dabei zuviel Zufall im Spiel. Beide Filme orientieren sich zudem unverkennbar am Fernsehformat: Durchschnittsbilder, schön übersichtlich, grundsolide. Die Jungdarsteller agieren überzeugend und glaubwürdig. Edin Hasanovics Ben ist eine Wucht; überwältigend, kraftvoll und zugleich authentisch, unprätentiös: vom abstoßend egoistischen Gewalttäter bis zum verstörten, schuldbewussten Jungen. Charakteristischer als die Gemeinsamkeiten aber sind die Unterschiede zwischen den beiden Filmen. Das fängt damit an, dass „Puppe“ aus der Vergangenheit Annas ein Geheimnis macht und die ganze Dramaturgie auf den Zufall, der diese mit der Gegenwart verknüpft, zuläuft. Bei „Schuld sind immer die Anderen“ bildet der Zufall dagegen die Grundlage der filmischen Versuchsanordnung. In der Eingangssequenz wird gezeigt, wie Ben und sein Komplize eine junge Frau überfallen. Sie drücken ihr ein Messer an die Kehle und zwingen sie, an einem Bankautomaten Geld abzuheben. Ben tritt ihr mehrfach in den Bauch, als sie schon am Boden liegt. Später begegnet Ben seinem Opfer wieder: Eva arbeitet als Sozialarbeiterin ausgerechnet in der Einrichtung, in der Ben geläutert werden soll. Weil Ben bei dem Überfall aber eine Maske trug (im Knast landete er wegen anderer Vergehen), ahnt sie nichts davon. Ben dagegen weiß sofort, wen er da vor sich hat. Der innere Konflikt setzt ihm zu, aber er schweigt, bis Eva eines Tages seine Stimme wiedererkennt. Anders als in „Puppe“, wo der dramaturgische Wendepunkt auch einen Wechsel im Erzählmodus Richtung Krimigenre markiert, behält „Schuld sind immer die Anderen“ die sozialrealistische, psychologische Perspektive bis zum Schluss bei. Die Stelle des Bösewichts bleibt vakant. Statt dessen verleiht Eva den Opfern ein Gesicht. Julia Brendler gelingt es dabei, sich von Edin Hasanovic nicht an die Wand spielen zu lassen. Sie hält dagegen mit einer eindringlich-schmerzlichen Performance, die unter die Haut geht. Einfache Lösungen für den Konflikt zwischen Tätern und Opfern, Verzeihen und Vergeltung hat das ebenso temporeiche wie nuancierte Drehbuch von Anna Maria Praßler nicht parat. Als Zuschauer fühlt man sich permanent hin- und hergerissen. Oft genug weiß man nicht, ob man Ben hassen oder bemitleiden soll. Auch über den Sinn und Zweck von Erziehungscamps fällt kein abschließendes Urteil. Es ist dieser Mut zur Unklarheit, der förmlich zwingt, das packende, hintergründige und herausragend gespielte Drama weiterzudenken.
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