Eine schüchterne Hausfrau, die von ihrem Mann unterdrückt wird, hofft, als Fotomodell ihren Depressionen zu entkommen, gerät aber an einen Prostituierten-Ring im Rotlichtviertel von Tokio. Dort lernt sie eine Literaturdozentin kennen, die nachts als Callgirl arbeitet, und begegnet einer Kommissarin, die einen Mordfall aufklären will, ihrerseits aber in einem komplizierten Doppelleben gefangen ist. Der dritte Teil einer Trilogie der Leidenschaften von Sion Sono ist ein furioser Mix aus wüster Trash-Exploitation, Melodram und theoretischem Essay, der auf den Spuren von Georges Bataille die Überschreitung gesellschaftlicher Grenzen als subversiv-befreienden Akt feiert. Eine schrille weibliche "education sentimentale" als abgründiger Exkurs in obsessive Bereiche menschlichen Empfindens. (O.m.d.U.)
Guilty of Romance
- | Japan 2011 | 150 (24 B./sec.)/145 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Sion Sono
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Filmdaten
- Originaltitel
- KOI NO TSUMI
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Nikkatsu/Django Film
- Regie
- Sion Sono
- Buch
- Sion Sono
- Kamera
- Sôhei Tanikawa
- Musik
- Yasuhiro Morinaga
- Schnitt
- Junichi Ito
- Darsteller
- Megumi Kagurazaka (Izumi) · Miki Mizuno (Kazuko) · Makoto Togashi (Mitsuko) · Kanji Tsuda (Izumis Ehemann) · Ryo Iwamatsu (Supermarktleiter)
- Länge
- 150
(24 B.
sec.)
145 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 19.07.2012
- Fsk
- ab 18; f
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Enthalten ist hier die in Deutschland vertriebene japanische, sprich nationale Fassung des Films. Für den internationalen Markt ist eigentlich eine gut 30 Minuten kürzere Fassung angefertigt worden, die u.a. in England erschienen ist. Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches "Making of" (53 Min.) sowie ein 16-seitiges Booklet.
Diskussion
Drei Frauen: Yoshida, eine Polizeidetektivin, die Literatur-Professorin Mitsuko und Izumi, der Prototyp einer „Desperate Housewife“. Gemeinsam ist ihnen eine Aufspaltung ihres Daseins in zwei getrennte Bereiche, in ein „bürgerlich“-normales, den gesellschaftlichen Normen angepasstes Leben sowie in eine abgründige „Nachtexistenz“, die sie in Grenzbereiche der Sexualität und Gewalt führt. Alle drei stehen, wenn auch mit verschiedener Gewichtung, im Zentrum von „Guilty of Romance“ und einer Geschichte, die ihre Schicksale verbinden wird. Vor die eigentliche Handlung hat Regisseur Sion Sion zwei einleitende Schrifttafeln gesetzt, die Hinweise auf den Code liefern, mit dem dieser Film zu dechiffrieren ist. Der erste beschreibt einen wesentlichen Ort der Handlung: „Love Hotels“ und das Rotlichtviertel „Maruyama-sho“ im Tokioter Stadtteil Shibuya. Der zweite ist ein ähnlich direkter Verweis auf Franz Kafkas „Das Schloss“.
Die Handlung startet mit der Kommissarin Yoshida, die sich gerade mit ihrem Liebhaber zum Sadomaso-Spiel im Hotel treffen will, als sie zu einem Tatort gerufen wird. Entdeckt wurde eine Frauenleiche, der Kopf und Geschlechtsteile fehlen. Die restlichen Gliedmaßen wurden zerteilt und mit Einzelteilen von Schaufensterpuppen und Frauenkleidern zu einer bizarr-schockierenden Konstellation drapiert: Zwei vollständige Frauenpuppen, die zur Hälfte aus Leichenteilen, zur anderen aus Kunststoff bestehen. Die erste trägt eine Schuluniform, die zweite ein verführerisches rotes Kleid. Wenig später setzt jene Rückblende ein, mit der die lange Vorgeschichte des Vorfalls aufgerollt wird, unterbrochen von Einblicken in den Stand der Ermittlung und Yoshidas Privatleben zwischen Ehemann, Tochter und Liebhaber. Im Rückblick lernt man zunächst Izumi kennen, die Ehefrau eines Schriftstellers, der schlüpfrige Geschichten schreibt, seine Frau aber zur unterwürfigen Hausangestellten degradiert hat. Doch die angepasste, intellektuell wie sexuell extrem frustrierte Frau beginnt sich zu emanzipieren. Sie findet eine Arbeit im Supermarkt und wird dort von einer Agentin angesprochen, wobei sich der angebliche Model-Job kaum überraschend als Porno-Dreh entpuppt. Schnell gewinnt die schüchterne Frau Selbstbewusstsein und Spaß an ihrem zweiten Leben; sie geht fremd, nimmt dafür Geld und gerät an einen Prostitutionsring. Dabei lernt sie Mitsuko kennen, die tagsüber an der Uni lehrt, nachts aber als Callgirl arbeitet. Die charismatische Professorin wird zu Izumis Mentor. Sie erteilt ihr auch Lektionen über die Bedeutung der Worte, etwa darüber, dass jedes Wort einen Körper habe und Fleisch werden müsse, um seine Bedeutung einzuholen.
Diese Passagen einer Schule der Frauen, die auf de Sades „Philosophie des Boudoir“ anspielen, sind zwar vergleichsweise unspektakulär, gehören aber zu den eindrucksvollsten des Films. Die Handlung indes steigert und beschleunigt sich: Erster Höhepunkt ist eine grandios geschriebene und gespielte Essensszene bei Mitsukos Mutter, einer auf die Traditionen bedachten Frau, die einen tiefen Hass gegen ihre Tochter hegt; hinter ihren Höflichkeitsfloskeln verbirgt sich nackte Gewalt, die schließlich in Wort und Tat ausbricht. Es folgt eine Nacht, in der Izumi gemeinsam mit Mitsuko einen Freier besucht – der sich als Izumis Ehemann entpuppt. Schließlich der rasante Showdown, der alle Figuren zusammenführt und auch Aufklärung über den Mordfall verschafft.
Seit einem knappen Jahrzehnt zählt Sion Sono (Jahrgang 1961) zusammen mit Takashi Miike und Hirokazu Kore-eda zu den wichtigsten Vertreter seiner Generation sowie des aktuellen japanischen Autorenkinos. Sonos Filme sind extrem, in Ästhetik wie Inhalt. Sein generelles Interesse gilt dem virtuos-ironischen Spiel mit Traditionen und sozialen Zwängen, sowie dem Ausloten eines Kinos der Transgression. Wie kann ein Filmemacher die Konventionen in Darstellung und Narration überschreiten, ohne in die Falle billiger und leerer Provokation zu tappen? „Guilty of Romance“ (im Original „Koi no Tsumi“) wird nach „Love Exposure“ (fd 39 429) und „Cold Fish“ (2010) als Schlussstein von Sonos „Hass“-Trilogie annonciert. Treffender wäre, von einer Trilogie der Leidenschaften zu sprechen; denn es geht nicht allein um Hass, sondern ebenso auch um Liebe, in all ihren Facetten, Passionen und Obsessionen. Der im Titel signalisierte Anschluss an die Romantik erscheint angemessen: Zusammen genommen, entfaltet „Guilty of Romance“ Stadien und Varianten eines erotisch-philosophischen Bildungsromans, einer weiblichen „education sentimentale“, deren Ziel die Befreiung aus der Diktatur des Patriarchats ist, die „Überschreitung“ im Sinne Batailles durch sexuelle Abenteuer und das Auskosten einer Lust am Verbotenen. Sonos Absicht ist dabei nicht ein „épater le bourgois“, vielmehr eine zärtliche, humane Annäherung an weibliche Befindlichkeiten. Trotz der offenkundigen Nähe zu Jeasn-Luc Godards „Die Geschichte der Nana S.“ (fd 11 446) und Luis Buñuels „Belle de Jour“ (fd 15 004) denkt man eher an die Frauenfiguren Rainer Werner Fassbinders. Wie dieser versucht auch Sono immer wieder, mit den Stilmitteln des Melodramas und des Psychothrillers, zwischen theoretischem Essay und Trash-Exploitation, sowie mit seinem sehr eigensinnigen, ebenso schrillen wie hochgebildeten Stil, die geheimnisvollen Seiten der Frauen herauszuarbeiten.
Nachteilig ins Gewicht fällt zwar die Asymmetrie zwischen den drei Figuren, die zu Lasten der Detektivin Yoshida geht. Auch hat „Guilty of Romance“ kleinere Längen. Insgesamt aber ist dies ein ungemein vielfältiges, spannendes, hochästhetisches Kino-Werk, das keine einfache Deutung zulässt und eingehendere Betrachtung lohnt. Ein Film, dem es jederzeit ernst ist, auch wenn er Spaß macht.
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