- | Kanada/Frankreich 2012 | 113 (24 B./sec.)/109 (25 B./sec.) Minuten

Regie: David Cronenberg

Ein reicher Broker lässt sich in seiner weißen Limousine durch Manhattan chauffieren. Kongeniale Adaption des Romans von Don DeLillo, dessen literarische Bildersprache in ein atmosphärisch aseptisches Kammerspiel transferiert wird. Dabei wird die raumschiffgleiche Limousine zur zentralen Metapher für den Niedergang der "i-Ökonomie". Eine kühl reflektierende, dabei sehr sinnliche Parabel über eine egoistische Midas-Figur, die sich in ihrer virtuellen Welt verloren hat. Auf einer Metaebene werden die vom Geist der Selbstvernichtung getragenen Rituale des "Kapitalismus als Religion" seziert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
COSMOPOLIS
Produktionsland
Kanada/Frankreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Prospero Pictures/Alfama Films Kinology/France 2 Cinéma/Talandracas/Téléfilm Canada
Regie
David Cronenberg
Buch
David Cronenberg
Kamera
Peter Suschitzky
Musik
Howard Shore
Schnitt
Ronald Sanders
Darsteller
Robert Pattinson (Eric Packer) · Juliette Binoche (Didi Fancher) · Sarah Gadon (Elise Shifrin) · Mathieu Amalric (André Petrescu) · Jay Baruchel (Shiner)
Länge
113 (24 B.
sec.)
109 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
05.07.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Falcom/Ascot Elite (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt., dts dt.)
Verleih Blu-ray
Falcom/Ascot Elite (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Die ganze Welt kondensiert in einem einzigen Tag, in einem einzigen Charakter und jenem Strom aus Gedanken und Gefühlen, der durch dessen Bewusstsein rinnt. David Cronenberg präsentiert in seinem neuesten Werk eine Geschichte, die sich wie ein Trip anfühlt. Die Vorlage stammt von Don DeLillo, einem der wichtigsten amerikanischen Gegenwartsautoren: „Cosmopolis“ (2003) handelt von einem Tag im Leben eines Börsenmilliardärs. Ein Börsencrash kommt vor, die universale Gier, mehrere Attentate, ein ungenannter US-Präsident, der allgemeine Sicherheitswahn der Gesellschaft, eine Protestbewegung, die der von „Occupy“ verblüffend ähnelt, der Cyberspace und vor allem viel, viel Geld. Aus heutiger Sicht ist „Cosmopolis“ ein prophetischer Roman, eine apokalyptische Reise ins finstere Herz der Gegenwart, aber vor der großen Krise. Trotzdem verlangt das Buch nicht automatisch nach einer Verfilmung; denn in Sprache und Bildern ist dies zwar ein Breitwandpanorama des Finanzkapitalismus, doch die Handlung gleicht eher einem Kammerspiel. Wie soll man verfilmen, was sich zu großen Teilen im Kopf eines einzigen Menschen abspielt, der sich mit einer Carrara-Marmor-getäfelten Stretch-Limo auf einer Odyssee durch Manhattan befindet, seinen Friseur aus Kindheitstagen trifft und dazwischen von seiner Geliebten besucht wird, einem Arzt und diversen Mitarbeitern, mit denen dieser merkwürdige Passagier Strategien diskutiert und ansonsten auf mehreren Bildschirmen im Auto das Welt- und Börsengeschehen verfolgt? Diese Hauptfigur heißt Eric Packer – ein Kannibale im Anzug. Ein reicher Mann; einer der reichsten der Welt, der Menschen gnadenlos über die Klinge springen lässt, der mit seinem und dem Leben der anderen spielt wie die Katze mit der Maus. In Manhattan residiert Packer in einem luxuriösen Apartment, das unter anderem ein Haifischbecken birgt und einen Spielsalon – symbolische Orte, repräsentativ für einen Finanzhai, der im Casino-Kapitalismus mit Milliarden jongliert. Räume sind in diesem Film zentral. Doch wer erwartet hätte, dass Cronenberg die Assoziationsströme der Vorlage in ein Bett aus reißerisch-grellen Bildern gießen würde, sieht sich getäuscht: Dies ist ein sinnlicher, dabei zugleich überaus reduzierter Film. Die im Roman ausführlich beschriebenen Wohnverhältnisse werden nur erwähnt, obwohl sie einen großartigen visuellen Hintergrund für das von Cronenberg intendierte Dekadenz-Porträt geliefert hätten. Cronenberg betont vielmehr den Kammerspielcharakter und konzentriert sich ganz auf den einen, zentralen Symbolraum der Story, jene weiße Limousine, in der Packer sich aufhält: Geborgen wie in einem metallischen Mutterbauch hat er hier alles, sogar eine Toilette. Das Auto trennt Packer von der Welt, schützt ihn vor den unmittelbaren sinnlichen Gewissheiten des Außen, hält ihn zu allem auf Distanz. Auch der Ton des Films ist dumpf, abgeschottet, trocken; die gesamte Atmosphäre wirkt seltsam aseptisch, was bei Cronenberg kein Zufall ist, sondern Beschreibung einer Lebensweise, die raumschiffgleich durch ihren eigenen Orbit kreist. Das riesige Auto wird zum treffenden Symbol des Kapitalismus in seiner egozentrischen Phase, der „i-Ökonomie“ des individuellen Fressen und Gefressenwerdens. Vor allem ist es das Entscheidungszentrum des Niedergangs. Unter den Cronenberg-Figuren ähnelt Packer daher am stärksten dem Protagonisten aus „Spider“ (fd 36 512), jenem merkwürdigen Albtraum-Reisenden, der sich im Netz eigener Obsessionen verheddert hat und zugleich seine Welt so gestaltet, wie sie ihm gefällt. Cronenbergs Packer ist solipsistisch und ich-fixiert. „Cosmopolis“ ist Cronenbergs „Der Fremde“, sein „American Psycho“, seine Version von „Shame“ (fd 40 933) – eine existenzialistische Parabel um einen sozial Gestörten, der sich in Fantasiewelten zurückzieht. Ein smarter Einfall war es, den Part des Eric Packer mit Robert Pattison zu besetzen, der in der Rolle eines Vampirs weltberühmt wurde. So wie Pattison in „Cosmopolis“ aussieht, dürften ihn seine „Twilight“-Fans kaum wiedererkennen: glatt, nichtssagend, so unschuldig wie ein Zombie. Daneben bleibt vor allem Samantha Morton im Gedächtnis, die sich als Marktstrategin mit Packer einen langen Schlagabtausch der Argumente liefert, die dem Film eine intellektuelle Basis geben. Sie und Sarah Gadon, die Idealbesetzung von Erics Frau Elise, bilden den Rahmen eines bitteren Abgesangs auf den modernen Kapitalismus und die (A-)Moral eines dekadenten Westens. Wie DeLillo ist Cronenberg als Künstler ein Postmodernist – überaus reflektiert und ungemein sinnlich zur gleichen Zeit, mit Stilen und Haltungen spielend, ein neobarocker Experimentalist. Durch „Cosmopolis“ zieht sich jenseits seiner Oberfläche ein Diskurs über Öffnungen, Löcher, Passagen zwischen Innen und Außen, sowie über (A-)Symmetrien und deren Interaktion. Dass die Märkte asymmetrisch sein können, ohne dass dies eine Fehlentwicklung wäre, die eine unsichtbare Hand schnell wieder korrigieren müsste, wird zu einer zentralen, auch ästhetischen Einsicht. Von einer „Ästhetik der Interaktion“ ist einmal die Rede. Es geht bei all dem letztlich um die Frage, ob eine Affinität oder Interaktion besteht zwischen dem „Leben“ des Marktes und den Bewegungen der übrigen Welt, und ob diese sich darstellen lässt. Sind die Börsenkurse seismografisch genaue Darstellungen oder ein Wahngebilde, das quasireligiös verabsolutiert wird? Die Antwort, die Cronenberg gibt, ist eindeutig: „Cosmopolis“ zeigt „Kapitalismus als Religion“, oder besser noch: als Sekte, deren Kulte und dunklen Rituale vom Geist der Selbstvernichtung getragen sind. Am Ende seiner Reise durch die Stadt und in die Nacht ist Packers Auto besudelt und beschmiert und voller Dellen. Wie ein zerstörter Tempel.
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