Nach der Hartz-IV-Reform sah sich die Verwaltung der ostdeutschen Stadt Löbau gezwungen, den Wohnraum von Sozialhilfeempfängern zu reduzieren, indem sie in den betroffenen Plattenbauten jeweils ein Zimmer zusperren ließ. Der Dokumentarfilm zeigt das Leben in diesen "gestutzten" Behausungen, wobei die absurde Wohnsituation erstaunlich wenig Reibung verursacht. Ein um eine originelle Bildsprache bemühtes Langzeitporträt von Menschen mit wenig Perspektiven und gebrochenen Lebensläufen.
- Ab 14.
White Box
Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 65 Minuten
Regie: Susanne Schulz
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Neufilm
- Regie
- Susanne Schulz
- Buch
- Susanne Schulz
- Kamera
- Kirsten Weingarten
- Musik
- Alexander Schubert
- Schnitt
- Halina Daugird · Eli Cortiñas
- Länge
- 65 Minuten
- Kinostart
- 05.05.2011
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
Diskussion
Eigentlich mutet das Ganze wie eine Geschichte aus dem Reich Absurdistan an. Als in Deutschland die Hartz-IV-Gesetze in Kraft traten, bestimmten sie unter anderem, dass den Empfängern staatlicher Unterhaltszahlungen nur noch eine bestimmte Quadratmeterzahl an Wohnfläche zusteht. Diese Verordnung stellt die Behörden im ostsächsischen Löbau vor massive Probleme. Denn die meisten Wohnungen in einer Plattenbau-Siedlung am Stadtrand, in denen viele Sozialhilfe-Empfänger leben, waren nach der neuen Regelung schlicht zu groß. In ihrer Not kam die Löbauer Verwaltung auf die Idee, die Wohnungen zu verkleinern, indem sie jeweils ein Zimmer von Amts wegen zusperrten und die Bewohner mit neuen Mietverträgen ausstatteten. Womit dem neuen Gesetz durch eine pragmatische Lösung Genüge getan war. Aber wie lebt es sich in einer vertrauten Wohnung, in der eines von mehreren Zimmern plötzlich nicht mehr genutzt werden darf?
In der Erwartung, dass der wiehernde Amtsschimmel bei den Betroffenen in Löbau für kuriose Reaktionen gesorgt haben müsste, mietete sich die Filmemacherin Susanne Schulz in der Siedlung ein, um das Lebensgefühl in Wohnungen mit einer verschlossenen Tür zu dokumentieren. Doch in ihrem Film spielt das Surreale dieser Lebensumstände kaum noch eine Rolle, da sich die Bewohner mit der neuen Situation offenbar arrangiert hatten. Es gibt zwar noch Jugendliche, die über die neuen Wohnverhältnisse klagen, weil in vielen Fällen das Kinderzimmer der neuen Verordnung geopfert wurde; doch weit mehr als die räumliche Enge beschäftigt sie ihre Perspektivlosigkeit in dem Landstrich. Zwischen Disco-Abenden im tristen Jugendclub träumen sie von einem besseren Leben, die 16-jährige Lena etwa von einer Gesangskarriere. Dass es sich bei vielen von ihnen um Kinder russischer Spätaussiedler handelt, erschwert ihre Aussichten. „In Russland waren wir die Deutschen“, sagt ein Junge, „in Deutschland sind wir die Russen.“ Außerdem richtet der Film sein Augenmerk auf klassische Wende-Verlierer, einen ehemaligen Professor an einer NVA-Hochschule etwa, der nun von Hartz IV lebt, ehrenamtlich Deutschkurse gibt und noch immer Lehrbücher verfasst, weil er von seinem früheren Leben nicht lassen kann. „Es ist lächerlich, aber es ist so“, sagt er. So ist die 60-minütige, erkennbar um eine originelle Bildsprache bemühte Dokumentation, die mit spärlichem Off-Kommentar auskommt, eine klassische Langzeitbeobachtung von Menschen mit gebrochenen Lebensläufen im Osten Deutschlands. Vor diesem Hintergrund hat der Film fraglos seine Qualitäten, ist andererseits aber auch nicht der erste, der sich dieses Sujets annimmt. Wobei man der Produktion zwischendurch immer wieder anmerkt, dass der Film im Hinblick auf das Kuriosum der verschlossenen Zimmertüren ursprünglich ganz anders gedacht war.
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