In den ersten Szenen dieser stilvollen Graham-Greene-Verfilmung fallen die Schlagschatten so dicht, als könnte Harry Lime jeden Augenblick um die Ecke biegen. Stattdessen flieht ein gesetzter Gauner, beinahe ein distinguierter Herr, vor den Häschern einer konkurrierenden Bande durch die Nacht. Als sie ihn einholen, blitzen die Messer, es kommt zum Handgemenge. Schließlich liegt der Flüchtende tot im Rinnstein. Es war mehr ein Unfall als kaltblütiger Mord, doch ist allen Beteiligten klar, dass die andere Seite die „Sache“ nicht auf sich beruhen lassen kann. Rowan Joffe benötigt in seinem Regiedebüt nur wenige Minuten, um den Zuschauern das beklemmende Gefühl einer unausweichlichen Tragödie einzuimpfen. Selbst die Ganoven wirken wie betäubt und fügen sich bleich in ihr durch berufliche Notwendigkeit bestimmtes Schicksal. Der junge Pinkie zieht aus, den Toten zu rächen, und überwindet seine Furcht erst im zweiten Anlauf. Danach macht er sich an eine mögliche Zeugin heran, zieht das naive Mädchen auf seine Seite und heiratet es sogar, um sicher zu sein, dass es nicht gegen ihn aussagt. Beinahe nebenbei steigt er zum neuen Anführer der Bande auf und entwickelt ein erstaunliches Maß an Skrupellosigkeit.
1947 wurde Greenes „Brighton Rock“ zum ersten Mal verfilmt. Damals spielte der junge Richard Attenborough die Rolle Pinkies und wurde mit seiner Darstellung eines scheinbar gefühllosen Soziopathen über Nacht berühmt. Bei Joffe tritt Sam Riley in seine Fußstapfen und stattet die Hauptfigur mit einer weniger offensichtlichen Bosheit aus. Bei seinem Pinkie weiß man nie, woran man ist: Ist er treibende Kraft oder Getriebener, verführt er Rose allein aus Berechnung oder sieht er etwas in ihrer Unschuld, das er sich nur nicht einzugestehen wagt? Oder, um es à la Graham Greene zu sagen: Könnte Rose seine Rettung vor dem Fegefeuer sein? In seiner britischen Heimat hat sich Rowan Joffe mit der Neuverfilmung eines geehrten Kinoklassikers nicht nur Freunde gemacht. Insbesondere die Verlegung der Handlung ins Jahr 1964, die Zeit der bereits in „Quadrophenia“
(fd 22 242) verewigten Jugendunruhen, leuchtet auf der Insel nicht jedem ein. In einer geradezu parodistisch wirkenden Sequenz entkommt Pinkie seinen Verfolgern, indem er einen aufgemotzten Motorroller stiehlt und sich an die Spitze eines in der Stadt eintreffenden Mod-Pulks setzt.
Offenbar sieht Joffe im aufstrebenden Gangster die Speerspitze einer verlorenen, gewalttätigen Jugend – allerdings kommt er mit dieser etwas gewagten Verknüpfung dem rätselhaften Innenleben Pinkies nicht überzeugend nah. Letztlich ist „Brighton Rock“ weniger eine gelungene Aktualisierung des Romans als eine Bühne für die „ewigen“ Werte britischer Schauspielkunst. Helen Mirren und John Hurt geben ihren Nebenfiguren scharfe Konturen, Andy Serkis hat einen grandiosen Auftritt als in Samt und Seide gewickelter Pate, und die Gauner werden von jener Sorte vierschrötiger Arbeitertypen gespielt, die in England anscheinend auf den Bäumen wachsen. Sam Riley und Andrea Riseborough stehen den „Alten“ als dem Untergang geweihtes Paar zudem kaum nach. Während Riseborough der reinen Opferrolle entkommt, indem sie Rose im richtigen Moment mit passiv-aggressiven Krallen ausstattet, bringt Riley aus der tragischen Musikerbiografie „Control“
(fd 38 519) den düsteren Sinn fürs Selbstzerstörerische mit, der auch Pinkie über das Reich des Bösen erhebt.