Unter Dir die Stadt

Drama | Deutschland/Frankreich 2010 | 105 Minuten

Regie: Christoph Hochhäusler

Ein mächtiger Banker versetzt einen Angestellten nach Indonesien, weil er mit dessen Freundin eine Affäre beginnen will. Das lose an die biblische Geschichte von David und Batseba angelehnte Drama porträtiert im Umfeld der Frankfurter Hochfinanz Menschen, deren Selbstkonstruktion von der Macht über die eigene Biografie bis zur Liebe sämtliche Lebensbereiche umfasst. Detailreich und realitätsnah in seiner Milieuzeichnung, entwirft der Film das intensive Bild einer Sphäre, deren Bewohnern im Zuge ihrer permanenten "Selbst-Performance" der Bezug zur Wirklichkeit entglitten ist. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Heimatfilm/Gloria Film
Regie
Christoph Hochhäusler
Buch
Christoph Hochhäusler · Ulrich Peltzer
Kamera
Bernhard Keller
Musik
Benedikt Schiefer
Schnitt
Stefan Stabenow
Darsteller
Robert Hunger-Bühler (Roland Cordes) · Nicolette Krebitz (Svenja Steve) · Mark Waschke (Oliver Steve) · Wolfgang Böck (Werner Löbau) · Corinna Kirchhoff (Claudia Cordes)
Länge
105 Minuten
Kinostart
31.03.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein umfangreiches Booklet.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Ein Film über Macht und Langeweile? Oder über die Langeweile der Macht? Eine Amour fou? Ein Tanz mit dem Teufel? Ein Systemvergleich über die Gesetze der Leidenschaft und des Business? Von allem etwas bietet der sehr präzise, reichhaltige und realitätsgesättigte Film von Christoph Hochhäusler – und ist doch auch eine Mentalitäts- und Habitusstudie vor dem Hintergrund der Welt der Hochfinanz. „Unter Dir die Stadt“ ist kein Film über die Finanzkrise, hält aber durchaus Momente bereit, die zeigen, wie die Arroganz der Macht in Selbstzerstörungsfantasien umschlagen kann. Die grundlegende Struktur wird durch die biblische Geschichte von König David und Batseba vorgegeben: Ein Mann begehrt eine Frau und schafft deren Mann als Konkurrenten aus dem Weg, indem er ihn in den Krieg schickt. Eine einfache Geschichte, die interessant wird, wenn man sie in die Gegenwart verlegt, soziologisch verdichtet und um die Perspektive der Frau ergänzt, die nicht notwendig nur Objekt der Begierde ist. Was geschieht mit dem Begehren, wenn Macht und Abenteuerlust hinzukommen und sich in einer Sphäre begegnen, in der bestimmte Verhaltensmaßregeln gelten? Auf mehreren Ebenen des Films geht es fortwährend um Maskenspiele, um die hohe Kunst des Performens. Darum, einerseits strategisch immer zwei Züge des Gegners zu antizipieren und eigene Geschäfts- und Handlungsentscheidungen darauf zu gründen; andererseits aber auch darum, sich ständig neu zu entwerfen, gewissermaßen auch biografisch flexibel zu bleiben – wie Svenja, die weibliche Hauptfigur, die sich ständig neu und durchaus auch provokant entwirft. Im Presseheft erklärt Christoph Hochhäusler: „Es geht (...) nicht mehr so stark um die Wirklichkeit einer Person, sondern um ihre Wirkung und um ihre Wirkungsmöglichkeit.“ Das klingt anspruchsvoll, doch „Unter Dir die Stadt“ ist gleichzeitig auch sehr konkret. Svenja und Oliver sind gerade nach Frankfurt gezogen, wo Oliver einen guten Job bei einer Großbank angenommen hat. Svenja hat sich eine Distanz zu Olivers Welt bewahrt, was ihr eine Stärke verleiht, die sie, gepaart mit mädchenhafter Unberechenbarkeit, ungeheuer attraktiv macht. Auch für Roland Cordes, Olivers Chef und aktuell der „Banker des Jahres“. Svenja weckt Rolands Jagdinstinkt (in mancher Einstellung erinnert das Spiel von Robert Hunger-Bühler an das von Klaus Kinski in „Nosferatu – Phantom der Nacht“, fd 21 118). Er lässt Oliver nach Indonesien versetzen – ein Karrieresprung voller Tücke, denn Olivers Vorgänger wurde entführt und in Einzelteilen zurückgesandt. Hochhäusler, der das Drehbuch gemeinsam mit dem Schriftsteller Ulrich Peltzer verfasste, gelingt die ebenso intensive wie detaillierte Beschreibung einer Welt, in der Macht, Biografien und auch Liebe performt werden. Manchmal bietet die Idee, Schicksal spielen zu können, den ultimativen Kick, angetrieben auch von der Lust an Selbstzerstörung. Hochhäusler gelingen Szenen, die man bislang eher in Filmen von Harun Farocki oder Christian Petzold vermutet hätte: wenn beispielsweise Stellenbesetzungen einerseits dem Kalkül der Intrige folgen, andererseits aber streng nach Kompetenz rationalisiert werden müssen – und selbst eine forcierte Kritik am Gegenüber einem gegensätzlichen, abstrakteren Plan folgt. Die diversen Sitzungen in den Führungsgremien zählen zu den Höhepunkten des Films, sind rhetorisch brillant, perfide und amüsant zugleich. Während es auf einer Ebene also recht archaisch zugeht, wird auf einer anderen das Leben mit Hochkultur „aufgehübscht“: Man sammelt zeitgenössische Kunst, auf Hauskonzerten hört man Neue Musik, und für die Ehefrauen in dieser Männerwelt gibt es Selbstverwirklichungsräume im Charity-Wesen. Obwohl der Film reich an Einzelheiten ist, verweigert er sich glücklicherweise einer thesenhaften Zuspitzung. Einige Details fügen sich nicht ins Bild, bleiben rätselhaft, etwa wenn der Banker Cordes offenbar einen Kick daraus bezieht, Junkies beim Drogenkonsum zu beobachten. Oder wenn er sich beklagt, dass sein Londoner Büro genauso aussehe wie das in Frankfurt, und Svenja dazu die Anekdote einfällt, dass eine Pop-Band einmal das Hamburger Publikum mit einem herzlichen „Hello Munich!“ begrüßt habe. In einer der nächsten Szenen sieht man Cordes dann, wie er sich eine CD eben dieser Band anhört. In immer neuen Variationen zeigt der Film Menschen, die mittels unterschiedlichster Strategien versuchen, Kontakt zu so etwas wie Realität herzustellen. Man kann deshalb durchaus sagen, ohne den Film überzustrapazieren, dass „Unter Dir die Stadt“ (auch!) eine faszinierende, weil erstaunlich tragfähige filmische Spurensuche in Sachen „zu Guttenberg“ ist – und zudem ein veritabler Vampirfilm.
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