„Ich und Orson Welles“ erzählt zwei Geschichten. Die eine variiert einen typischen „Coming of Age“-Stoff: Ein Teenager, der naives Draufgängertum und jugendlichen Ernst vereint, erlebt ein turbulentes Abenteuer. Er macht faszinierende Bekanntschaften und verliebt sich, bevor er einige ernüchternde Lektionen über sich, die Welt und die Menschen lernen muss. Die andere Geschichte ist ein Stück Theaterhistorie: Sie handelt von den Proben und der Aufführung des „Julius Caesar“, den der 22-jährige Orson Welles 1937 auf die Bühne des Mercury Theatre in New York brachte, das er mit seinem Kompagnon John Houseman gerade gegründet hatte. Wer sich ein bisschen für Filmgeschichte oder die amerikanische Kultur des 20. Jahrhunderts interessiert, wird diesen Film alleine schon deshalb schätzen, weil Richard Linklater die zweite Geschichte mit Akribie und Elan nachinszeniert. Man erhält einen guten Eindruck vom modernistischen Ansatz, mit dem Welles die Shakespeare-Tragödie einem breiteren Publikum zugänglich machte, indem er sie als Parabel auf zeitgenössische Ereignisse anlegte. Der Clou bestand nämlich in der Idee, das Bühnendekor auf den tiefroten Anstrich der Wände sowie ein paar Rampen zu beschränken, hinter denen gelegentlich Riefenstahl’sche Lichtsäulen emporragten, während die Darsteller in Nadelstreifen und faschistoiden Uniformen auftraten. Welles erscheint darin so energisch, charmant und egomanisch, wie er wohl tatsächlich war. Wie es die Legende will, sieht man ihn einen Krankenwagen als Taxi missbrauchen, um zu einem der Radiosender zu rasen, die in jener Zeit seine wichtigsten Auftraggeber waren. Natürlich hat er regelmäßig eine Zigarre im Mund und führt gelegentlich ein Zauberstückchen vor. Der britische Schauspieler Christian McKay, der Welles in einem Ein-Mann-Stück schon auf der Bühne gespielt hat, vermag die überlebensgroße Legende nicht zuletzt deshalb zu verkörpern, weil er sich selbst zurück nimmt. In „Ich und Orson Welles“ überstrahlt Welles also alle anderen, ohne dass McKay bemüht schiene, seine Kollegen zu übertrumpfen. So gewähren die Filmemacher dem Zuschauer die nötige Distanz, um auch die unsympathischen Seiten der späteren Hollywood-Legende kritisch sehen zu können.
Problematisch ist es indessen, dass Linklater beziehungsweise der Autor der Romanvorlage, Robert Kaplow, dem notorischen Schürzenjäger Welles eine sexuelle Nötigung andichtet. Allerdings ist es gerade der Gleichmut, mit dem das Opfer, die Produktionsassistentin Sonja, reagiert, der diese Frauenfigur zu einer der interessantesten des Films macht: Als souveräne Schönheit zieht sie die Aufmerksamkeit der männlichen Ensemblemitglieder auf sich, deren aufgeblasene Egos aber nur niedere Handlangerdienste erlauben. Also scheint es ziemlich rational, dass sie ihre Hollywoodambitionen zu verwirklichen sucht, indem sie zielstrebig auf eine nächtliche Verabredung mit (dem unsichtbar bleibenden) David O. Selznick hinarbeitet und etwaige Avancen von Vorgesetzten schulterzuckend als Teil des Geschäfts hinnimmt – ohne dass Linklater oder die Darstellerin Claire Danes diese Pragmatik in irgendeiner Weise diskreditieren würden.
Sonja ist es auch, in die sich der fiktive Schuljunge Richard verliebt, nachdem er überraschend eine kleine Rolle in der Aufführung ergattert hat. Durch seine Augen verfolgt man das Geschehen. Es ist anzunehmen, dass sich Linklater, der sich in „Slacker“ (1991) und anderen frühen Filmen immer wieder mit Heranwachsenden und ihrer Suche nach einem Platz im Leben beschäftigt hat, von Richards harmloser „education sentimentale“ im Roman angesprochen fühlte. Jedenfalls scheint die unschuldige Heiterkeit des Erzähltons von der Nostalgie der mittleren Jahre gefärbt, die Linklater, der gerade 50 geworden ist, inzwischen erreicht hat. Das gilt für die dezente Betulichkeit, mit der erster Sex durch einen an der Wand hängenden Akt angedeutet wird, ebenso wie für die aufgekratzte Bekräftigung des jugendlichen Optimismus, mit dem der Film aus dem Off endet. Je mehr Richards Geschichte in den Vordergrund tritt, desto mehr wünscht man sich allerdings, dass jene andere Geschichte, die den historischen Hintergrund abgibt, noch stärker akzentuiert würde. Bis man endlich merkt, dass das eine das andere sehr wohl befruchtet. Teenie-Schwarm Zac Efron war während der Dreharbeiten nämlich kaum jünger als Welles, der sich bei einer der renommiertesten Bühnen Dublins ins Ensemble schwindelte. Je läppischer und banaler Richards Herzensnöte erscheinen, desto mehr wird einem bewusst, dass an den jungen, prägenden Jahren des frühreifen Multitalents Welles nichts läppisch und banal war. Und dass genau darin im Falle des letztlich gescheiterten Tausendsassas womöglich etwas zutiefst Tragisches lag.