4K UHD | USA/Großbritannien 2010 | 142 Minuten

Regie: Christopher Nolan

Ein Meisterdieb, der schlafenden Menschen ihre innersten Geheimnisse entwenden kann, soll während eines Flugs von Sydney nach Los Angeles das Umgekehrte versuchen und dem Erben eines Industrie-Imperiums die Idee einpflanzen, dass er aus eigenem Antrieb sein Unternehmen verkaufen wolle. Ein brillant konstruierter, streckenweise sehr actionbetonter Science-Fiction-Film voller komplexer Doppelbödigkeiten, der die Grenzen zwischen Träumen und Wünschen, Manipulation und Wirklichkeit aufhebt. Im Kern ein Melodram reinsten Wassers, gelingt dem Film ein spektakulärer, von grandiosen Bildeinfällen befeuerter Spagat zwischen Kunst- und Kommerzkino. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
INCEPTION
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Warner Bros./Syncopy
Regie
Christopher Nolan
Buch
Christopher Nolan
Kamera
Wally Pfister
Musik
Hans Zimmer
Schnitt
Lee Smith
Darsteller
Leonardo DiCaprio (Cobb) · Ken Watanabe (Saito) · Joseph Gordon-Levitt (Arthur) · Marion Cotillard (Mal) · Ellen Page (Ariadne)
Länge
142 Minuten
Kinostart
14.08.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
4K UHD | Action | Melodram | Science-Fiction
Externe Links
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Heimkino

Die DVD enthält keine erwähnenswerten Extras. Die Leih-BD enthält zumindest den sog. "Extraktions Modus", der es ermöglicht, zum laufenden Film etwa 40 Minuten clipartige Info-Einspieler zu besonderen Szenen abzurufen. Die 2 Disk-Blu-Ray Edition enthält indes zudem die Dokumentation "Träume: Kino des Unterbewusstseins" (44 Min.) über die Wissenschaft vom Träumen, den Comic-Kurzfilm "Inception: The Cobold-Job" (15 Min.), ein Feature mit Konzeptskizzen sowie zehn Tracks aus der Filmmusik von Komponist Hans Zimmer (39 Min.). Nur die 2 Disk-Blu-Ray Edition ist mit dem Silberling 2010 ausgezeichnet. Die 4K UHD ist in Bild und Ton referenzwürdig. Gegenüber der BD (DD5.1-Ton) ist die deutsche Tonspur auf 4K UHD nämlich nun auch im unkomprimierten dts-HDMA verfügbar und damit der BD-Tonspur überlegen. Die 4K UHD ist mit dem Silberling 2018 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
BD: Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl., DD5.1 dt.) 4K UHD: Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Ein spektakulärer, von grandiosen Bildeinfällen befeuerter Spagat zwischen Kunst- und Kommerzkino.

Diskussion

„Inception“ erzählt eine recht einfache Geschichte auf derart komplizierte und eindrucksvolle Art und Weise, dass wiederholtes Sehen dringend angeraten ist. Im Grunde handelt es sich um ein „Heist-Movie“: Es geht um den perfekten Diebstahl, nämlich den von immateriellen Dingen.

Aufgrund einer speziellen Eignung (oder der Kombination von Spezialisierung und Apparatur) ist Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) mit seinem Team in der Lage, ins Unterbewusstsein von schlafenden Menschen einzudringen und dort mit Hilfe simulierter Traumlandschaften an Informationen zu gelangen. Eine moderne Form der Industriespionage, die allerdings dazu führt, dass Cobb nicht mehr in seine Heimat zurückkehren kann, worunter er sehr leidet.

Nach einem spektakulär gescheiterten Einsatz erhält er einen neuen Auftrag: Cobb und sein Team sollen diesmal keine Ideen rauben, sondern vielmehr umgekehrt Informationen so geschickt in ein Hirn schleusen, dass sie dort wie dem eigenen Ich entsprungen scheinen. Inception statt Extraction. Ziel der Aktion ist, den Erben eines mächtigen Industrie-Imperiums dazu zu veranlassen, sein Unternehmen aufzulösen, um so Platz für die Konkurrenz zu schaffen.

Eigene Träume und die anderer Menschen

Es ist also etwas vergleichsweise Banales, für das hier ein gewaltiger Aufwand getrieben wird. In einer ausgedehnten Exposition wird man mit wichtigen Grundregeln vertraut gemacht: Wenn man eigene Träume in fremde Träume implantieren will, muss man sich vorsehen. Woran merkt man etwa, dass man noch Herr der Inszenierung ist? Was ist mit Träumen in Träumen in Träumen? Welche Paradoxien gilt es zu vermeiden, welche zu nutzen? Wie sieht es aus, wenn ein Traum platzt? Wie viele Ebenen besitzt das Unterbewusstsein des „Opfers“? Wie sind diese Ebenen miteinander vernetzt? Wie funktionieren die Scharniere zwischen den Ebenen? Wie kommt man wieder heraus? Wie kann man sicher sein, dass man aufgewacht ist und nicht nur den Traum gewechselt hat?

Genussvoll und unterstützt von teilweise spektakulären Bildeinfällen – Paris wird zu einem Karton zusammengefaltet, aber der Verkehr fließt weiter; man wird Zeuge des wohl langsamsten Autounfalls der Filmgeschichte –, breitet Regisseur Christopher Nolan sein Szenario aus – und hält doch entscheidende Informationen zurück. Dann beginnt der Raubzug, der diesmal ein Geben ist. Ort der Handlung ist ein zehnstündiger Flug von Sydney nach Los Angeles. Die Dramaturgie des Films entwirft dabei einen mehrdimensionalen, vielfach verschränkten Raum mit unterschiedlichen Zeitlichkeiten.

Der Filmemacher wird zum Architekten, zum Taschenspieler, zum M.C. Escher-Epigonen, zum zuverlässig Unzuverlässigen, auf den man besser nicht bauen sollte. Nolan spielt zentrale Momente seiner früheren Filme mit einem Riesenbudget noch einmal durch und variiert sie. Hatte der Dieb in „Following“ nicht auch Dinge in der Wohnung seiner Opfer zurückgelassen, um neue, fiktive Erzählungen zu stiften? Hatte „Memento“ nicht auch mit fragmentarisch-repetitivem Erzählen experimentiert? Ging es in „Prestige – Meister der Magie“ nicht darum, das Wissen um die Manipulation zu einer Art von Meta-Manipulation zu nutzen? Tatsächlich ringt der visionäre Entwurf von „Inception“ mehr Respekt ab als dessen Realisierung, deren Trivialität auf hohem Niveau doch etwas enttäuscht. Denn die Traumlandschaften, die hier erkundet werden, bieten bekannte Bilder: Das Unterbewusste des betäubten Firmenerben ist wie konventionelles Actionkino strukturiert, dessen Handlungsfolgen linear und plausibel verlaufen, wenngleich sich Nolan manchen „Butterfly“-Kalauer erlaubt: Was auf einer Ebene bloß ein Crash ist, kann auf der anderen Ebene eine Lawine auslösen.

Ein Angebot und ein Kommentar

So wird ein komplexes Handlungskonstrukt geradezu aufreizend mit Actionsequenzen angefüllt, von denen jede als Exposition eines beliebigen James-Bond-Films durchginge. Man kann das als Angebot ans Blockbuster-Publikum und seine Unterhaltungserwartungen sehen; man kann es aber auch als bösen Kommentar lesen, welche Wirkungen dieses Blockbuster-Kino im menschlichen Unterbewussten zeitigt.

Interessanter ist eine weitere Doppelbödigkeit, die „Inception“ nutzt, ohne deren Potenzial voll auszuschöpfen: Wer sich in fremde Träume begibt, nimmt seine ganze Persönlichkeit dorthin mit, inklusive der eigenen Träume, Wünsche, Sehnsüchte, aber auch Traumatisierungen. Denn Cobb ist traumatisiert, weshalb er die Situation nicht unter Kontrolle hat. Er vermischt Auftrag und Privates, schließlich soll der „Inception“-Job ihn in die Lage versetzen, etwas wieder zu bekommen, was er verloren glaubt: seine Liebe und seine Familie.

In bester Absicht

Der Grundpfeiler des Films ist damit ein Melodram reinsten Wassers, eine große Liebesgeschichte, die in Misstrauen und Depression mündet, weil ein Liebender in seiner Hybris zum Mittel der Manipulation greift; aus bester Absicht, aber mit zerstörerischer Konsequenz. Man stelle sich vor, was für ein unübersichtlich-bizarres Gewusel aus Spiel und Gegenspiel entstanden wäre, wenn Nolan die Privilegien des Protagonisten in dieser Hinsicht aufgegeben hätte.

So aber enttäuscht der Film an diesem Punkt, weil er sein Potenzial zwar andeutet, aber nicht einlöst. Andererseits sind es genau diese Zugeständnisse, die Nolan den eigenwilligen Spagat zwischen Arthouse- und Blockbuster-Kino erlauben: Man kann sich den Regisseur sehr gut als Filmwissenschaftler vorstellen, dem es um Optimierung des Verhältnisses von Konvention und Experiment geht, ohne den Kontakt zum Publikum zu verlieren. Immerhin ist ein Film über die Arbeit von Traumarchitekten stets auch ein Film über das Kino – und wenn am Schluss die Handlungsebenen des Films wieder „eingerollt“ werden, streicht sich „Inception“ gewissermaßen selbst aus und ironisiert das ganze Geballer. Wie jeder Film von Christopher Nolan ist „Inception“ spannendes Genrekino und Experimentallabor, in dem geforscht wird, wie weit sich die kausallogischen Sollbruchstellen des Erzählens treiben lassen.

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