Werner Herzog meldet sich mit einem eigensinnigen Meisterwerk auf den deutschen Kinoleinwänden zurück. Für den wüst-existenzialistischen Gott- und Sinnsucher Abel Ferrara, der 1992 das Original „Bad Lieutenant“
(fd 30 227) ins Kino brachte, hat er dabei nur ein Lachen übrig. Nicht sonderlich klug gewählt ist der deutsche Untertitel „Cop ohne Gewissen“, der eine wertende Lesart vorgibt, während der englische Originaltitel lediglich eine konkrete Bestimmung des Handlungsorts meint: „Port of Call – New Orleans“. Das heruntergekommene Setting der von „Katrina“ gezeichneten Südstaaten-Metropole ist präzise gewählt, denn die Welt ist bei Herzog wirklich aus den Fugen, während bei Abel Ferrara seinerzeit noch die „Seelenpein“ und die Erlösung des Individuums im Mittelpunkt standen. Ferrara näherte sich der selbstzerstörerischen Egozentik seines von Harvey Keitel verkörperten „Bad Lieutenant“ gewissermaßen mimetisch und produzierte eine tiefkatholische Intensität, die den Film für viele Zuschauer wortwörtlich unerträglich machte. Werner Herzog, der nach eigenen Angaben Ferraras Film nicht gesehen hat, legt nun eine Neu-Interpretation des Stoffs vor, die fast wie eine menschenfeindliche Parodie auf Ferraras düstere Vision erscheint. Werner Herzog, der erklärte Verächter jeder Psychologie, interessiert sich überhaupt nicht für das Innenleben der Figur, weshalb auch die spirituellen Momente von dessen Drift schlicht unter den Tisch fallen.
Am Anfang steht ein Sprung ins kalte Wasser des Mississippi, als der Cop Terence McDonagh einen jungen Mann aus einer Gefängniszelle befreit, der sonst wahrscheinlich ertrunken wäre. Für diese samariterhafte Tat wird McDonagh zum Lieutenant befördert, aber er hat sich beim Sprung in das doch nicht so tiefe Wasser schwere Rückenverletzungen zugezogen, sodass er fortan permanent Schmerzmittel schlucken muss. Ein Jahr später ist McDonagh nicht nur schwerstens medikamenten-, sondern auch drogenabhängig; er läuft gewissermaßen auf Autopilot geschaltet durch sein eigenes Leben. Weil er über einen besonderen Instinkt verfügt, bekommt er trotz seines angeschlagenen körperlichen und psychischen Zustands die Leitung in einem spektakulären Mordfall im Drogenmilieu übertragen, bei dem eine ganze Familie illegaler Immigranten von Gangstern hingerichtet wurde. Tatsächlich ermittelt McDonagh im permanenten Drogenrausch erstaunlich effizient: Er durchschaut instinktiv die Zusammenhänge des Massakers, macht souverän die beiden Mittäter des mächtigen Drogendealers Big Fate (sic!) dingfest und findet sogar einen Augenzeugen des Massakers. Probleme erwachsen ihm allerdings daraus, dass er Berufliches und Privates nicht zu trennen versteht, insbesondere, wenn es um Drogenbeschaffung und Wettschulden geht. So ist er mit der Edel-Prostituierten Frankie liiert und nutzt manchmal die Gelegenheit, um Frankies Kunden um ihre Drogen zu erleichtern.
Wie Parzival, der reine Tor, bewegt sich der „Bad Lieutenant“ durch den Film, zwar unter permanenten Schmerzen, aber nicht angefochten durch moralische Skrupel. Fast scheint es, als sei Terence vor Schmerzen außer sich. Andererseits funktioniert er als Polizist vielleicht gerade deswegen so blendend, weil er dermaßen unbekümmert agieren kann und nur um sich selbst und seine elementaren Bedürfnisse kreist. Entsprechend scheint der Zuschauer im Kino viel eher als der Protagonist zu bemerken, dass sich hinter seinem Rücken dunkle Wolken aufzutürmen beginnen: Terence verliert in einem Moment der Unachtsamkeit den Augenzeugen im Mordfall, seine Wettschulden nehmen unbequeme Dimensionen an, kleine Dienstleistungen in Sachen Korruption bereiten plötzlich Schwierigkeiten, weil Kollegen nicht mehr mitspielen. Als er sich dann auch noch mit einem höchst einflussreichen Kunden von Frankie anlegt, bekommt er es mit bewaffneten Gangstern zu tun, die ihn erpressen und bedrohen. Jetzt braucht Terence dringend Bares – weshalb er ausgerechnet dem Gangsterboss, dem er auf den Fersen ist, die Zusammenarbeit anbietet: Insider-Informationen gegen Cash. Die Aufklärung des Mordfalls, erzählt der „Bad Lieutenant“ lachend, habe ihn nie wirklich interessiert. Später, ganz am Schluss, wird er in einem stillen Moment noch einmal loslachen. Über seine Situation, über die Geschichte, die ihm widerfahren ist, oder über sich selbst und sein unverschämtes Glück. Wer weiß das schon?
War „Rescue Dawn“
(fd 39 074) noch die Transformation eines Herzog-Dokumentarfilms in einen Herzog-Spielfim, ist „Bad Lieutenant“ nun eine echte Auftragsarbeit. Das Drehbuch stammt vom Fernsehprofi William M. Finkelstein, und hinter dem Stoff verbirgt sich viel Konventionelles, wenn man den Genre- und Erzählkonventionen folgt. Tatsächlich aber verhält sich Herzog dazu wie sein Protagonist zu seiner Arbeit: Der „Bad Lieutenant“ erledigt seinen Job, aber er gehorcht dabei seiner eigenen Logik und seinem eigenen Timing. Und: Herzog versieht den Stoff mit lauter Herzog-Signaturen, bis der fertige Film unverkennbar ein echter Herzog-Film geworden ist. Das fängt mit einer musikalischen Erinnerung an seinen frühen USA-Ausflug mit „Stroszek“
(fd 20 331) an, führt über Bilder eines überfahrenen Alligators auf der Schnellstraße und hört mit „Release Me“ singenden Leguanen noch lange nicht auf. Wenn Terence nach einem Shoot-out seine Gangsterfreunde auffordert, einen Toten noch einmal zu erschießen, weil seine Seele noch tanze, und man gleich darauf Zeuge einer erstaunlichen Breakdance-Performance wird, ist man endgültig im Werner-Herzog-Kosmos der ekstatischen Wahrheit angekommen. Zu diesem Kosmos gehören auch jene Szenen in „Echsen-Vision“, bei denen Herzog selbst die Kamera führte: Es sind Momente, die auf eine andere Realität jenseits des kriminellen menschlichen Treibens deuten. Die Tiere, Echsen und Fische, beobachten und ziehen ansonsten ihre Kreise. Dazu passt, dass der „Bad Lieutenant“ im Altersheim ein flammendes Plädoyer für die Endlichkeit der menschlichen Existenz hält und damit seltsam aus seiner Rolle zu fallen scheint. Spricht hier etwa der Filmemacher selbst?