Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie wunderbar „Appaloosa“ ist, bietet sich ein Vergleich mit den beiden anderen Filmen an, die zuletzt Western-Sujets reanimierten. „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“
(fd 38390) variierte einen zentralen Mythos des Genres mit so delikaten Mitteln, dass der Arthouse-Film mit der Dutzendware, die einst Hollywoods Western-Output prägte, nichts mehr gemein hatte. „Todeszug nach Yuma“
(fd 38486) dagegen war ein Remake, dem man ständig die Sorge anmerkte, dass die einfachen Qualitäten des Originals dem heutigen Geschmack nicht mehr genügen könnten. Solche Schizophrenie ist nicht verwunderlich, denn Jahrzehnte nach dem Tod dieses Genres ist die Existenz jedes neuen Westerns legitimationsbedürftig. Eben deshalb ist es umso wunderbarer, wie selbstverständlich „Appaloosa“ mit sich und den altmodischen Grundelementen der Filmgattung im Reinen ist. 1955 polemisierte André Bazin in einem Essay gegen ambitionierte „Über-Western“, deren Verhältnis zum Genre schon damals gespalten war, und hoffte, dass die Zukunft in jenen Western liegen würde, die sich „ehrlich“ zu den Grenzen des Genres bekennen, um es von innen heraus, vor allem durch originelle Figuren, zu bereichern. Seit einer halben Ewigkeit, mindestens seit „Erbarmungslos“
(fd 29800), ist Ed Harris’ zweite Regiearbeit wohl der erste Film, der diese Kriterien wieder erfüllt. Nachdem der autokratische Rancher Bragg einen Marshall samt Stellvertretern ermordet hat, rekrutieren die Bürger des Kaffs Appaloosa mit Virgil und Everett zwei, wenn man so will, mobile private Sicherheitsdienstler als Sheriffs. Die stoischen Revolverhelden sorgen bald mit drakonischen Mitteln für Ordnung und nutzen die erste Gelegenheit zu Braggs Verhaftung. Danach muss bis zur Anreise eines Richters die gewaltsame Befreiung des Gefangenen verhindert werden, bevor dessen Transport ein Problem aufwirft.
Das erinnert an alle möglichen Genrevorbilder, vor allem an „Rio Bravo“ (fd 8394), doch ohne je wie postmodernes Zitatenkino zu wirken. Trotz deutlicher Anklänge an „Erbarmungslos“ ist der Film, anders als der von Eastwood, auch nicht auf die Historisierung des Genres fixiert. Während die Bilder vom seitlich einfallenden Herbstlicht geprägt sind, das für Spätwestern typisch ist, inszeniert Harris so klassisch schlicht, dass selbst John Ford seine Freude daran hätte. Aber der Klassizismus ist nicht altertümelnd, lässt vielmehr erahnen, wie ein zeitgenössischer Westernstil aussehen könnte, wenn das Genre noch lebendig wäre. Eine wahre Innovation bietet die Frauenfigur des Films: Warum eine Witwe mittellos in den wilden Westen ziehen sollte, ist dem grobklotzigen Virgil so schleierhaft, dass er Allison bei ihrer Ankunft prompt fragt, ob sie eine Hure sei. Dieser arglose Affront dient zwar ebenso der Belustigung wie Virgils anschließende Verliebtheit; aber der heitere, gelassene Film reflektiert durchaus ernst den engen Handlungsspielraum, der sich alleinstehenden Frauen – jenseits der Genre-Klischees von Hure oder Lehrerin – im Westen bot. Dabei setzt er Allisons pragmatische Flatterhaftigkeit subtil zur Gefühlskälte in Beziehung, die Virgil für die Bedingung seines Berufs hält. Das größte Vergnügen bieten freilich simplere Aspekte: die amüsant-spröde Vertrautheit zwischen den wortkargen Männern in Momenten, in denen eigentlich nichts passiert. So etwas muss Bazin im Sinn gehabt haben, als er vor einem halben Jahrhundert seinen Text mit dem Wunsch schloss, dass noch seinen Enkeln Western vergönnt sein mögen, die sich treu sind.