Es ist nicht von dieser Welt: ein kleines Etwas, das sich scheu, aber doch mit dem festen Willen, Abenteuer zu erleben, aus der Sicherheit der Kinderstube hinaus ins offene Meer wagt. Eigentlich müsste es ein Goldfisch sein, hat aber schon jetzt etwas von einem kleinen „Meermädchen“ mit pummeligem Gesicht und rotem Haar; was daran liegen mag, dass sein Vater ein Zauberer und seine Mutter eine mächtige Meergöttin ist. Doch Brunhilde zieht es weg vom Meer, zum Land und zu seinen Bewohnern, den Menschen. So mag es eine glückliche Fügung sein, als Brunhilde, gefangen in einem Marmeladenglas, ohnmächtig an die Küste eines kleinen japanischen Fischerdorfs treibt, wo sich der fünfjährige Sosuke die Zeit zwischen Frühstück und der Fahrt zum Kindergarten mit seiner Mutter vertreibt. Gleich nach der Wiederbelebung scheint sich eine besondere Bindung zwischen dem winzigen Fischmädchen und dem aufgeweckten Jungen zu entwickeln. Sosuke nennt seinen Fund Ponyo; als dieser durchs Glas hindurch seine blutende Fingerwunde des Jungen heilt, weiß man, dass da kein normaler Fisch schwimmt. Auch das Meer benimmt sich plötzlich seltsam und fordert wie von Geisterhand das Mädchen zurück in seine Obhut. Als es durch eine unheimliche Welle von den Fluten verschluckt wird, ist Sosukes Trauer groß; er möchte seine „Freundin“ zurück – und Ponyo beschließt, Mensch zu werden. Dafür nutzt sie im Unterwasserschloss des Vaters heimlich ein wundersames Elixier, ohne zu ahnen, dass sie damit das magische Gleichgewicht der Natur durcheinander wirbelt. Als ein Sturm das Dorf zu überfluten droht, steht plötzlich ein kleines, Ponyo sehr ähnlich sehendes Menschenkind vor Sosuke und seiner Mutter. Die retten sich gerade noch ins Haus auf der Klippe, doch die Fluten haben ihr zerstörerisches Werk schon getan. Auf eigene Faust machen sich die Kinder mit einem Boot auf den Weg, um das Flutchaos wieder in Ordnung zu bringen.
Hayao Miyazaki ist ein Phänomen: Wann immer ein Werk des renommierten Trickfilm-Regisseurs in die japanischen Kinos kommt, beginnt dort aufs Neue eine große „Pilgerreise“. So lockte „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“ 2008 mehr Zuschauer in die Kinos, als alle anderen Filme des Jahrgangs zusammen – und das trotz „The Dark Knight“
(fd 38 851) und „Wall*E“
(fd 38 914). Dass sein „aktueller“ Film erst zwei Jahre nach der Japan-Premiere in die hiesigen Kinos kommt, ist ein Indiz dafür, wie schwer man sich hierzulande tut, sich auf die Welten des 69-jährigen Anime-Veteranen einzulassen. Das liegt weniger an den Geschichten, die sich Miyazaki zumeist selbst ausdenkt, als vielmehr an ihrer formalen Umsetzung: Miyazaki ist ein Traditionalist, der unbeirrbar an die Kraft des (scheinbar) schlicht gezeichneten, zweidimensionalen Cartoons glaubt. Während sich andere längst in der dreidimensionalen Computerwelt austoben, wird Miyazakis Stil dagegen sogar noch minimalistischer. Verglichen mit dem schon fast naturalistisch anmutenden 2D-Kosmos seines Films „Chihiros Reise ins Zauberland“
(fd 36 002) erinnern die Figuren in „Ponyo“ eher an unbeholfene Kinderzeichnungen als an lebensechte Animationen. Solch formale Vereinfachung steht freilich im deutlichen Gegensatz zu den Inhalten seiner überbordenden Geschichten, die neben Spannung und Abenteuer wie selbstverständlich auch ernste Botschaften vermitteln. Auch über Miyazakis sehr freier Adaption von Hans Christian Andersens Märchenklassiker „Die kleine Meerjungfrau“ steht die Mahnung, in Einklang mit den unzähmbaren Kräften der Natur zu leben und die Schöpfung zu respektieren. Ganz nebenbei werden auch andere Probleme thematisiert, etwa die Trennung der Familie durch den alltäglichen Broterwerb (Sosukes Vater ist Seemann und wochenlang nicht daheim). Ein wichtiger und sehr realistischer Nebenstrang der ansonsten betont märchenhaften Fantasy-Fabel widmet sich zudem dem Zusammenleben der Generationen: Sosukes Mutter ist Altenpflegerin; das Heim, in dem sie arbeitet, liegt unmittelbar neben dem Kindergarten des Dorfes, was eine rege Interaktion von Jung und Alt möglich macht. Dies ist eine wunderbare Idee in einem wunderbaren Film, der dezidiert dem jüngsten Kinopublikum einen abenteuerlichen und spannenden, zugleich spielerisch lehrreichen Filmspaß beschert. Das ältere Publikum muss mitunter einige allzu „bunte“ Momente hinnehmen, wird aber nicht minder auf eine wundersame Reise mitgenommen, die alle Zuschauer weit über den Kinobesuch hinaus beschäftigen wird.