Ein frustrierter Punk-Gitarrist kehrt der norddeutschen Provinz den Rücken und versucht in Hamburg sein Glück. Gemeinsam mit einem alten Freund und dessen schöner Mitbewohnerin gerät er ins Fadenkreuz der Wilhelmsburger Unterwelt. Mit wenig Geld und Laiendarstellern digital inszenierte Liebeserklärung an Hamburg, die trotz Mängeln in Schnitt und Bildqualität mit lakonischem Humor und ironisch gebrochenen Genre-Klischees angenehm unterhält. Dabei wird der Film unterschwellig auch zu einem Feldversuch, wie man abseits von Filmindustrie, Fördergremien und Verleih überhaupt noch Filme realisieren und aufführen kann.
- Ab 16.
Madboy
- | Deutschland 2007 | 75 Minuten
Regie: Henrik Peschel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- HPF-Prod.
- Regie
- Henrik Peschel
- Buch
- Henrik Peschel
- Kamera
- Henrik Peschel
- Musik
- St. Thomas · Tocotronic · Nils Koppruch
- Schnitt
- Axel Jansen
- Darsteller
- Nina Schwabe · Jakobus Siebels · Hector Kirschtal · Helge Thomsen
- Länge
- 75 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Schäffke, Gitarrist von „Madboy“, ist frustriert. Die aktuelle CD des Punkrock-Trios hat sich sage und schreibe ein einziges Mal verkauft. Als auch noch der Manager die ersten zehn Konzerttermine einer geplanten „Madboy“-Tournee durch die norddeutsche Provinz an eine Nachwuchsband vergibt, platzt Schäffke der Kragen. Er schultert seine Gitarre und haut ab nach Hamburg, um endlich ein Star zu werden. Unterschlupf findet er bei seinem alten Freund Jakobus, der in Wilhelmsburg, einem Stadtteil südlich der Elbe, am Rand des Freihafens wohnt. Jakobus ist Künstler und darum pleite. Mit kleinen Gaunereien bessert er die Haushaltskasse auf, die BWL-Studentin Nina trägt als Untermieterin dazu bei, dass es gelegentlich Frühstück gibt. Da hat sich Schäffke längst in das hübsche Mädchen verliebt. Dann geraten die drei Freunde, nicht ganz unschuldig, ins Fadenkreuz zweier Familienclans. Ein zufällig geknackter Geldtransporter und in einem Tiefkühlfach versteckte Rolex-Uhren wecken Begehrlichkeiten, denen man mit Prügel, dem Bau von Rohrbomben und erpresserischer Brandstiftung Nachdruck verleiht.
Es gibt sie noch, diese kleinen, hingeworfenen Filme, die von der Sehnsucht nach dem großen Kino und der Leidenschaft ihrer Macher zeugen. Henrik „Henna“ Peschel, in Wilhelmsburg aufgewachsen und mit seiner „Rollo Aller!“-Trilogie unter Hamburger Cineasten zur Kultgröße avanciert, hat „Madboy“ im Sommer 2005 ohne nennenswertes Budget mit Freunden und Bekannten digital inszeniert. Dabei treibt er als Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Eigenverleiher den Begriff des Autoren, der allein für seinen Film verantwortlich ist, fast schon ironisch auf die Spitze. Mitmachen durfte, wer Zeit genug hatte oder seinen Jahresurlaub nahm, gedreht wurde dort, wo die Pächter von Imbisstuben oder Tankstellen es unentgeltlich erlaubten, so der Regisseur im persönlichen Gespräch. Peschel gibt sich nicht nur mit Vorgefundenem zufrieden, er sucht geradezu das Zufällige und Unvorhergesehene. Seine Schauspieler, Laien und wenige Profis, lässt er improvisieren. Folge: Die Dialoge werden lebendiger und natürlicher. Das verleiht seinem Film eine Spontaneität und Unmittelbarkeit, die häufig in lakonischen Humor umschlägt. Peschel bewegt sich mit „Madboy“ außerhalb der Filmindustrie und der Fördergremien; trotzdem schwingt die Faszination für das Hollywood-Kino mit: Da gibt es eine spröde Schöne, die dem Mann hilft, einen gebrochenen Helden, dessen Pflaster im Gesicht größer ist als das von Jack Nicholson in „Chinatown“ (fd 19 120), brutale Gangster, die in perfekter Choreografie die Fäuste fliegen lassen. Peschel nimmt sich nonchalant, was er vom Genrekino gebrauchen kann, und bricht die Klischees ironisch. Zwischendurch zeugt ein langer Blick auf den Hafen, entweder im Abendlicht oder mit der Köhlbrandbrücke im Hintergrund, von der Liebe zu Hamburg. „Madboy“ ist die Hommage an eine Metropole und ihren ruppigen Stadtteil. „Der Preis für Hamburg, einer muss ihn bezahlen“, singt Schäffke darum am Schluss.
Nicht immer führt Peschel die unterschiedlichen Erzählstränge schlüssig zusammen, manchmal agieren die Darsteller zu steif, die digitalen Bilder haben jene unnatürliche Tiefenschärfe, die jedes Objekt gleich wahrnimmt und Lampen oder Scheinwerfer in diffuses Licht taucht. „Madboy“ hat den Charme des Unperfekten. Peschel geht einfach auf die Straße und macht Kino. Dabei gehört Klappern zum Handwerk: Beim Hamburger Filmfest fuhr er mit dem Panzerwagen vor, bei den Vorführungen im Abaton-Kino wird Hauptdarsteller Hector Kirschtal zur Gitarre greifen. Kino ist für Peschel vor allem eins: ein Ereignis.
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