Das Pogrom gegen die griechische Minderheit in Istanbul 1955 wird am Beispiel eines nationalistischen Jura-Studenten geschildert, der durch seine Liebe zu einer Griechin und den politisch motivierten Mord an seinem besten Freund in Gewissensnöte gerät. Dramaturgisch eher einer psychologisch wenig motivierten Schilderung der politischen Ereignisse verpflichtet, überzeugt der Film durch die Darstellung seines Helden als Mitläufer wider Willen. Dessen Mutlosigkeit beschreibt den Schwebezustand seines Landes zwischen nationalistischer Mythologie und politischer Manipulierbarkeit.
- Ab 14.
Güz Sancisi - Herbstleid
- | Türkei 2002 | 112 Minuten
Regie: Tomris Giritlioglu
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Filmdaten
- Originaltitel
- GÜZ SANCISI
- Produktionsland
- Türkei
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Ciner Prod.
- Regie
- Tomris Giritlioglu
- Buch
- Etiyen Mahcupyan · Nilgün Önes
- Kamera
- Ercan Yilmaz
- Musik
- Tamer Çiray
- Schnitt
- Ulas Cihan Simsek
- Darsteller
- Beren Saat (Elena) · Murat Yildirim (Behçet) · Zeliha Berksoy (Babaanne) · Tunçel Kurtiz (Kamil Efendi) · Belçim Bilgin Erdogan (Nemika)
- Länge
- 112 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
In der Nacht vom 6. zum 7. September 1955 fand in Istanbul ein Pogrom gegen die griechische Minderheit statt, in dessen Verlauf 3500 Wohnhäuser, unzählige Geschäfte sowie christliche Friedhöfe, Schulen und Kirchen verwüstet wurden und 15 Menschen den Tod fanden. Danach verließen der größte Teil der griechischen Minderheit, aber auch Armenier und Juden das Land. Die Ereignisse, hinter denen die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Adnan Menderes vermutet wird, fanden bis heute nur wenig Eingang in die internationale Politikforschung. Mit „Herbstleid“ widmet sich nun ein türkisches Drama dem Thema und fand damit in der Türkei, wo der 1960 von den Militärs entmachtete und anschließend zum Tode verurteile Menderes seit den 1980er-Jahren zunehmend wieder an Popularität gewinnt, über eine halbe Million Zuschauer. Damit zählt der Film der Regisseurin Tomris Giritlioglu zum politischen Kulturkampf in der Türkei; es geht nicht nur um die Enttabuisierung vergessener Ereignisse, sondern auch um den Umgang mit dem Erbe des Politikers, der die Türkei in die NATO führte und in den 1950er-Jahren mit seiner Politik der Re-Islamisierung die Laizisten gegen sich aufbrachte.
Im Zentrum des Films steht der Jurastudent Behçet, Sohn eines einflussreichen konservativen Großgrundbesitzers in Antalya, der durch seine Herkunft in Kontakt mit den Strippenziehern von Menderes’ „Demokratischer Partei“ kommt. In der Zentrale der nationalistischen Vereinigung „Kibris Türktür Cemiyet“ („Zypern gehört dem türkischen Volk“) – Mitte der 1950er-Jahre kochte die Zypern-Frage, angeheizt von Türken, Griechen und britischer Kolonialmacht, auf – wird er Zeuge des Mordes an einem gemäßigten Zeitungsverleger und den Vorbereitungen der antigriechischen Ausschreitungen. Zwar regt sich sein Gewissen, doch die erzwungene Loyalität zu Vater und Staat ist größer. Gegen sein Willen wird Behçet sogar zum Verräter, kreuzt auf einer Liste die Namen von Personen an, die als illoyal gelten. Der politische Mord an seinem besten Freund, dem kritischen Journalisten Suat, und die Liebe zu der griechischen Prostituierten Elena führen zu weiteren Gewissenskonflikten. Behçet empfindet die Qual des unfreiwilligen Verräters, der nicht den Mut findet, gegen sein inneres autoritäres Über-Ich aufzubegehren. In dieser Personenzeichnung liegt die Stärke des Films. Alles andere als ein Held, spiegelt die introvertierte Mutlosigkeit des Mitläufers wider Willen den Schwebezustand seines Landes zwischen nationalistischer Mythologie und politischer Manipulierbarkeit wieder.
Der Film zeigt eindrücklich die Genese des Pogroms: die Kreuze, die in der Vornacht an Häuser von christlichen Griechen gemalt werden, die Radikalen, die mit Fahnen und Schlagstöcken durch die Straßen marschieren, den Mob, der schließlich zum eigenen Nutzen die Geschäfte plündert. Die Originalfotos im Abspann erinnern daran, dass es sich hier nicht um pure Fiktion handelt. „Herbstleid“ verschenkt seine politische Message zwar mituner in einem reichlich kalkuliert wirkenden Gefühlsplot, bleibt aber dem Forschungsstand zur Faktenlage weitgehend verpflichtet. Ende April kam der Film mit 15 Kopien in die griechischen Kinos, als einer der wenigen türkischen Filme, die hier in den letzten Jahren gestartet wurden. Immerhin plant Cagan Irmak, dessen Single-Drama „Issiz Adam – Einsam“ (fd 39 187) vor Kurzem in Griechenland anlief, eine türkisch-griechische Co-Produktion, und ein weiteres gemeinsames Filmvorhaben will den 1923 im Vertrag von Lausanne beschlossenen Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland in den Mittelpunkt stellen.
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