- | Deutschland 2008 | 98 Minuten

Regie: Christian Schwochow

Eine bei den Großeltern aufgewachsene junge Frau aus Mecklenburg macht sich auf die Suche nach ihrer toten Mutter, die angeblich am Bodensee leben soll. Ein undurchsichtiger Literaturprofessor aus Konstanz behauptet dies jedenfalls. Ein verhaltenes, gewagt konstruiertes Melodrama über eine deutsch-deutsche Tragödie, getragen von einer überzeugenden Hauptdarstellerin und einer anspruchsvollen Dramaturgie, die verschiedene Handlungs- und Zeitebenen zu einer intellektuell herausfordernden Geschichte verknüpft, in der immer wieder der Wahrheitsgehalt von Erinnerungen hinterfragt wird. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Sommerhaus Filmprod./SWR/Filmakademie Baden-Württemberg/Cineplus/Filmemacher Prod.
Regie
Christian Schwochow
Buch
Heide Schwochow · Christian Schwochow
Kamera
Frank Lamm
Musik
Daniel Sus
Schnitt
Christoph Wermke
Darsteller
Anna Maria Mühe (Inga / Anne) · Ulrich Matthes (Robert) · Christine Schorn (Oma Christa) · Hermann Beyer (Opa Heinrich) · Jevgenij Sitochin (Juri)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
SchwarzWeiss (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Sie ist fremd geworden, die Zeit um 1980; die dort angesiedelten Eingangssequenzen von „Novemberkind“, später auch einige Rückblicke, sind in grobkörnigeren Bildern und etwas kühleren Farbtönen als der Rest gehalten – so, wie es Fernsehbilder aus jener Zeit nahelegen. Die Handlung spielt in der DDR; in wenigen Skizzen sieht man Eltern und eine heranwachsende Tochter, man sieht auch Soldaten der UdSSR; die Regie sucht unbeschwerten Alltag sichtbar zu machen, zugleich aber eine gewisse latente Unruhe zu signalisieren. Dann kommt es zu einem Vorfall, der sich erst später ganz entschlüsselt: Ein Sowjetsoldat desertiert, und es ist Anne, das junge Mädchen, das ihn versteckt und bald liebt. Dann ein Zeitsprung in die Gegenwart. Die Eltern sind alt geworden, aber bei ihnen lebt ein junges Mädchen, kaum älter als seinerzeit die Tochter, und der wie aus dem Gesicht geschnitten. Inga, das Kind der angeblich früh verstorbenen Anna, wuchs bei ihren Großeltern auf. Das fröhliche Mädchen arbeitet in der örtlichen Bibliothek. Hier lernt sie Robert kennen, einen weitaus älteren Literaturprofessor, der hier angeblich in Ruhe arbeiten will. Doch bald ist klar, dass er noch andere Pläne verfolgt, mehr über Inga und ihre Mutter weiß, als er verrät. Er sucht das Gespräch mit Inga, und es legt sich ein Schatten über deren Leben. Sie spürt ein Lügengeflecht in ihrer eigenen Vergangenheit auf. Weil die Mutter noch leben könnte, beschließt sie, sie zu suchen. Es ist eine gewagte Konstruktion, die Christian Schwochow in seinem Debüt präsentiert – auch deshalb, weil man als Zuschauer allzuschnell die Umstände von Ingas Geburt erraten kann und früh ahnt, warum sie bei ihren Großeltern aufwuchs. So weiß man bis zum Ende fast immer etwas mehr als die Hauptfigur. Dass das Ganze trotzdem halbwegs glaubwürdig bleibt, ist vor allem Anna Maria Mühe geschuldet, die als Hauptdarstellerin die Doppelrolle von Anne und Inga spielt. Im Kontrast zu ihrem Gegenüber Ulrich Matthes macht Mühe deutlich, worin der Unterschied zwischen dem Spiel in Kino und Theater liegt: Während Matthes oft eine Spur zu dick aufträgt, sich ein, zwei Manierismen zu viel gönnt, findet Mühe die richtige Mitte zwischen Ausdruck und Zurückhaltung. Der Reiz von „Novemberkind“ liegt aber auch in der Dramaturgie, in der anspruchsvollen Verbindung mehrerer Handlungs- und Zeitebenen, und im Mut des Regisseurs, sein Publikum auch intellektuell herauszufordern. Viele Bilder sind schön komponiert, das Drehbuch ist klug und reif – anspruchsvolles Autorenkino; eine ungewöhnliche Reflexion über das deutsch-deutsche Verhältnis. Um allerdings rundum zu überzeugen, hätte es noch etwas mehr sein müssen. Manchmal flüchtet sich der Film ins Melodram und in die lauwarme „Emotionalität“ bekannter Fernsehware. Zwischen beiden Extremen schwankt „Novemberkind“; ein Hauch von Kolportage steckt auch in der Geschichte. Die Erinnerung, schrieb Jean Paul, sei „das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Ihr Fehlen, so darf man im Umkehrschluss folgern, kann daher wie die Hölle sein, es kann einem Menschen die Gegenwart vergällen. Zugleich verweist das Zitat auf die imaginäre Natur aller Erinnerung. Beides ist ein Schlüssel zum Verständnis des Films: „Sie haben nie nach ihrer Mutter gesucht?“, fragt Robert einmal Inga. Erst jetzt vermisst sie etwas, dessen Fehlen sie zuvor nie bemerkte. Die Lüge der Großeltern war für sie eine durchaus heilsame, die Wahrheit des Professors entpuppt sich dagegen als Mittel zu ganz anderen Zwecken. Denn der macht Inga zum Spielball seiner eigenen Ambition. So hat die Story eine letzte Pointe: Wahrheit um jeden Preis, auch um den des Glücks, ist eine teuflische Formel. Denn auch die Wahrheit könnte eine Illusion sein.
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