- | Türkei/Frankreich/Italien 2008 | 109 Minuten

Regie: Nuri Bilge Ceylan

Drama um die Familie eines Chauffeurs, der für seinen Chef die Schuld an einem Unfall auf sich nimmt und ins Gefängnis geht. Nach Verbüßung der Haft werden im Zusammenleben mit Frau und Sohn zunehmend Risse und Brüche sichtbar. Beklemmende Studie über die Zersetzung einer Familie innerhalb eines desolaten patriarchalen Systems, wobei vor allem männliche Rollenbilder auf den Prüfstand gestellt werden. In den betont ästhetisierten Bildern dominieren Stillstand und Sprachlosigkeit, die auch auf die Dramaturgie übergreifen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ÜÇ MAYMUN
Produktionsland
Türkei/Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Zeynofilm/Pyramide Prod.
Regie
Nuri Bilge Ceylan
Buch
Ebru Ceylan · Nuri Bilge Ceylan · Ercan Kesal
Kamera
Gökhan Tiryaki
Schnitt
Nuri Bilge Ceylan · Bora Göksingöl · Ayhan Ergürsel
Darsteller
Yavuz Bingöl (Eyüp) · Hatice Aslan (Hacer) · Ahmet Rifat Sungar (Ismail) · Ercan Kesal (Servet) · Cafer Köse (Bayram)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD2.0 türk./dt.)
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Diskussion
Seine Augen sagen mehr als tausend Manifeste. Es ist der Blick dieses Mannes, der einen noch begleitet, wenn man das Kino schon lange verlassen hat: Ein Blick auf die ungetreue Ehefrau, kurz bevor diese sich vom Balkon stürzen will; als er sie zurückhält, kann man nicht sicher sein, ob er das nicht nur deshalb tut, weil der Selbstmord für sie die einfachste Ausflucht wäre. Weil sie noch mehr leiden wird, wenn sie weiterlebt und seinen Blick über Jahre hin aushalten muss. Nuri Bilge Ceylans beziehungsreicher Gefühlsthriller „Drei Affen“ beginnt wie ein Krimi von Simenon oder Chabrol: Mit Regen und einem Auto, das durch die Nacht rast. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, ein Unfall. Am nächsten Morgen bezahlt der Verursacher Servet, ein erfolgreicher Politiker, der gerade um seine Wiederwahl kämpft, seinem Fahrer Eyüp viel Geld dafür, dass dieser an seiner Stelle die Verantwortung für den Unfall mit Fahrerflucht übernimmt und eine Gefängnisstrafe absitzt. Doch nicht Verdorbenheit der Bourgoisie oder die Klassengesellschaft stehen, wie dies bei Chabrol der Fall wäre, dann im Zentrum des Films, sondern das, was die vermeintliche Schuld mit der Familie des Fahrers macht, wie sie sich Stück für Stück in tatsächliche Schuld verwandelt. Während Eyüp in der Haft sitzt, blühen seine ihm längst entfremdete Frau Hacer und Sohn Ismail, ein Tunichtgut, befreit durch die Abwesenheit des Patriarchen, spürbar auf. Hacer lässt sich zu einer Affäre mit dem Chef ihres Mannes hinreißen; der desorientierte Sohn kommt bald hinter das Geheimnis der Mutter. Als der Vater nach verbüßter Haft zurückkehrt und die Mutter sich scheinbar vom Liebhaber nicht lösen kann, bringt der Sohn diesen um. Zugrunde liegt dieser Tat eine nichtbewältigte ältere Schuld. Es liegt nahe, dass Ceylan hier auch von einer verdrängten Schuld der türkischen Gesellschaft spricht. Mit erlesenen, manchmal fast zu wohlgestalteten Bildern inszeniert Ceylan, momentan einer der führenden türkischen Filmemacher und international der erfolgreichste, sein trostloses Familiendrama. Die Wolken ziehen hier nicht vorüber, sie hängen vielmehr am ausgewaschenen, variantenreich bleichen Himmel, malerisch über kontrastverschärften, digital gefilmten und nachcolorierten Meeresansichten. Das steht für die Düsternis, die hier auch zwischen den Menschen herrscht. Der Titel spielt auf die japanische Fabel von den drei Affen an, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Während dies in Japan großzügig als Ausdruck der Weisheit, des klugen Übersehens von Schlechtem interpretiert wird, gilt das Motiv im Westen als Schwäche: Die Unfähigkeit, mit der Wahrheit umzugehen und sie mitzuteilen. Auch hier dominiert diese Auffassung, im Zentrum stehen Unausgesprochenes und die tiefen Abgründe der Kommunikationslosigkeit. Immer wieder entwirft Ceylan stilisierte Momente zäh und bedeutungsträchtig in die Länge gezogener, spannungsvoller Stille, in denen sich die drei Familienmitglieder minutenlang wortlos in einem Raum aufhalten, sich an die Wand drücken oder auf einem Stuhl stumpf vor sich hinbrüten und einander anschweigen. Wenn die Spannung sich doch einmal entlädt, dann in Form häuslicher Gewalt, eines kurzen Schimpfworts oder des hastigen Hinausstürzens auf die Straße an die frische Luft. „Drei Affen“ ist vor allem eine Auseinandersetzung mit den sich wandelnden Vorstellungen von Männlichkeit in der Türkei, die das dortige Kino stellvertretend für den Rest der Gesellschaft gerade austrägt. Eine ganze Welle von Filmen fokussiert derzeit auf die Rolle der türkischen Männer und den Abschied von altgewohnten Verhaltensweisen. Ceylan vertritt dabei keineswegs eine entschiedene oder gar progressive Position, im Gegenteil: Seinem Fahrer und Familienvater Eyüp, einem angepassten, zuhause gewalttätigen Untertan und im Grunde sadomasochistischen Charakter, wie ihn Fassbinder nicht boshafter hätte erfinden können, bringt der Regisseur überraschend viel Sympathie entgegen. Er zeigt anhand dieser zugleich frustrierten wie selbstgerechten Figur, der sich nur durch böse Blicke oder Schläge mitteilen kann, aber auch sehr genau die Grenzen des männlichen Selbstmitleids auf und entlarvt Männergewalt als verkappte Ohnmacht. Der Auftraggeber Servet ist ein Politiker mit opportunistischen Zügen, aber klar im alten Establishment der Atatürk-Nachfolgeparteien verortet. Der Sohn ist ein Repräsentant jener jungen Männer, deren traditionelle soziale Position unrettbar in Frage gestellt ist. Faul, aber um große Worte nie verlegen, auch von der Gesellschaft nicht mit vielen Chancen umworben, leben sie zuhause bei ihren Eltern in den Tag hinein, zutiefst frustrierte Paschas, längst erwachsene Kinder. Alle drei sind Männerfiguren, die in ihren angestammten Rollen erschüttert werden, allen drei bleiben nur die Fetische „Anstand“, „Sitte“ und „Ehre“ – ein pessimistischer Einblick in eine autoritäre Gesellschaft. Nuri Bilge Ceylan findet dafür eine künstlerische Form, die naheliegende Tendenzen zum Thesenfilm unterläuft. Hierin ähneln seine Filme genauso wie die seiner Kollegen Semi Kaplanoglu und vor allem Reha Erdem dem, was die Deutschen aus dem Kino der 1960er-Jahre kennen: eine zögerliche, fast schüchterne, aber oft berührende Entdeckung der Welt, das Finden einer Sprache für Gefühle und Erfahrungen, die bis dahin noch keine Namen hatten. Zugleich macht Ceylan sich aber selbst der Sprachlosigkeit und Monotonie schuldig, die er seinen Figuren zuschreibt. Sie sind ausgedachte, symbolische, passive Wesen, in die der Betrachter viel, manchmal alles hineininterpretieren kann. Aber sie sprechen nie zurück.
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