Ein zwölfjähriges Mädchen erlebt während des norwegischen Sommers trotz seiner anfänglichen Skepsis gegenüber romantischen Gefühlen die erste Liebe. Während es ein Freund still, aber hartnäckig umwirbt, schwärmt es für einen wesentlich älteren Jungen, der ihm ein Rätsel aufgibt: Welche Farbe hat Milch in ihrem Inneren? Die stimmungsreiche, mal amüsante, mal leicht melancholische, nie aber verniedlichende Adaption eines Kinderbuchs, die sich offensiv und unverblümt dem kindlichen Umgang mit Gefühlen und essenziellen Themen wie Liebe, Sexualität und Tod widmet.
- Sehenswert ab 10.
Die Farbe der Milch
Jugendfilm | Norwegen/Schweden 2004 | 94 Minuten
Regie: Torun Lian
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Filmdaten
- Originaltitel
- IKKE NAKEN
- Produktionsland
- Norwegen/Schweden
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Painswick Films/Svensk Filmindustri
- Regie
- Torun Lian
- Buch
- Torun Lian
- Kamera
- John Christian Rosenlund
- Musik
- Øyvind Staveland · Odin Aarvik Staveland
- Schnitt
- Stian Johnson
- Darsteller
- Julia Krohn (Selma) · Bernhard Naglestad (Andy) · Andrine Sæther (Annelise, Selmas Stiefmutter) · Reidar Sørensen (Gaston, Selmas Vater) · Ane Dahl Torp (Nora, Selmas Tante)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 10.
- Genre
- Jugendfilm | Literaturverfilmung
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- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Aus allem, mag es auch noch so grausam unverständlich erscheinen, kann etwas Gutes und Starkes erwachsen, hatte ein Pfarrer der elfjährigen Maria in „Nur Wolken bewegen die Sterne“ (fd 34 273) erklärt, dem ersten selbstinszenierten Spielfilm der norwegischen Kinderbuchautorin Torun Lian (u.a. „Frida – Mit dem Herzen in der Hand“). So tröstlich diese metaphysische Wahrheit auch ist, so wenig würde sie wohl Selma bei der Lösung ihrer sehr handfesten Liebes- und Alltagsprobleme helfen, die sich während eines wunderschönen norwegischen Sommers wie unbezwingbare Berggipfel vor ihr aufhäufen. Dabei ist Selma eine Wesens- und Schicksalsverwandte der nur ein Jahr jüngeren Maria: Torun Lian stellt auch in ihrer zweiten Regiearbeit ein starkes, selbstbewusstes und in all seinen Zweifeln und Daseinsgrübeleien höchst leidenschaftliches Mädchen in den Mittelpunkt, das sich so seine weisen, oft auch altklugen Gedanken über das Leben und den Tod macht, die als Off-Kommentare die Geschehnisse kommentieren.
Selmas Mutter ist bei der Geburt gestorben, was für Selma irgendwie auch eine Folge der Liebe war; und so wie es ihr ihre aufgekratzte Tante, die sich lang Zeit nicht zur Heirat entscheiden kann, vorlebt, scheint die Liebe eine äußert komplizierte, ja sogar gefährliche Sache zu sein. Doch so sehr sich Selma in Rollenspielen mit ihren Freundinnen am Tod und an der Liebe auch abarbeitet – in diesem Sommer geht es nicht mehr allein um die Theorie: Plötzlich sind da Jungs, die sich für Selma und die anderen Märchen interessieren. Der etwa gleichaltrige blonde Andy macht Selma still, charmant und beharrlich „den Hof“, und Selma ist gern mit ihm zusammen, wenn es ums naturwissenschaftliche Forschen, ums Schwimmen und Radfahren, Streiten und Diskutieren geht – aber nicht um mehr, denn ihr Herz hat sie an einen weit älteren schwedischen Jungen gehängt, der im heimatlichen Dorf ein Praktikum absolviert. Er gibt ihr ein Rätsel auf, quasi ein sommerliches Koan, indem er sie fragt, welche Farbe die Milch in ihrem Innern habe. Daran arbeitet sich Selma nun ab, während sie sich mit ihren Grübeleien und ihrem Starrsein immer mehr in Schwierigkeiten bringt.
Offensiv und unverblümt spricht Torun Lian den essenziellen Umgang mit kindlichen Gefühlen angesichts der ersten Liebe an, wobei sie in ihrem turbulent-romantischen Sommerfilm stets den richtigen Ton findet und bei aller „Saltkrokan-Kulisse“ nie auch nur den Hauch von Realitätsferne, Verklärung oder gar Verniedlichung aufkommen lässt. Ihre zwölfjährige Selma arbeitet sich charmant und wortgewandt durch die in der Erwachsenenwelt bestehenden Vorstellungen von Liebe und Sexualität, bis sie am Ende des amüsanten, sensiblen und facettenreichen, mitunter melancholisch eingefärbten Sommerabenteuers ihr eigenes (positives) Verständnis von Verliebtsein und Liebe entdeckt. Das geschieht ausgerechnet in dem Moment, in dem sich Selma von jedem und allem verlassen fühlt und sie zudem das Geheimnis der Milch-Farbe erkennt. Einsam und enttäuscht verharrt sie in ihrem Zimmer, schweigt – und wächst dann doch über sich, ihre Sorgen und Ängste hinaus. Mag auch die Wissenschaft Recht damit haben, dass Milch in ihrem Innern schwarz ist, weil hierhin kein Licht dringt: Selma ist der schillernde Beweis dafür, dass alle Theorie grau ist. Da sitzt sie in einem weißen Festkleid, hell und leuchtend, angestrahlt von ihrem inneren (Lebens-)Licht, lässt endlich ihren Gefühlen freien Lauf und erkennt, dass Geburt und Tod nicht die einzigen wichtigen Eckpunkte des Lebens sind: „Von allen Naturkatastrophen ist die Liebe die größte – und die Beste.“ Dass sich solch „philosophische“ Weisheit so spielerisch, verständlich und auch Kindern angemessen vermittelt, ist das allergrößte Verdienst dieses schönen, im Kern gar nicht so kindlichen Kinderfilms, der sich formal ganz ambitioniert „erwachsen“ gibt und viel Wert auf Ausstattung , Komposition und sorgfältige Kameragestaltung legt.
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