Drei betagte Mitarbeiterinnen der St. Petersburger Eremitage sowie ein vom Trauma des Krieges in Aserbaidschan gezeichneter Ex-Soldat geben Auskünfte über ihr Leben und reflektieren die Bedeutung der Kunstsammlung für ihren Alltag. Der lebenskluge Dokumentarfilm verdichtet in einer souveränen Montage intime Gespräche, prosaische Alltagbegebenheiten und Impressionen des Museumsbetriebs zum warmherzigen, visuell eindrucksvollen Porträt einer Institution zwischen Musentempel, Arbeitsplatz und Heimat. Dabei verliert er nie den Blick auf die russische Realität aus den Augen. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Die Bewohner der Eremitage
- | Niederlande 2003 | 73 Minuten
Regie: Aliona Van der Horst
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE HERMITAGE DWELLERS
- Produktionsland
- Niederlande
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Viewpoint Prod./AVRO
- Regie
- Aliona Van der Horst
- Buch
- Aliona Van der Horst
- Kamera
- Maasja Ooms
- Musik
- Harry de Wit
- Schnitt
- Teun Pfeil
Diskussion
Das Gebäude, das die meisten Protagonisten dieses Dokumentarfilms liebevoll ihr Zuhause nennen, hat rund 1000 Räume und auch sonst mehr als stattliche Ausmaße. Schließlich gilt die Eremitage in St. Petersburg sowohl architektonisch als auch hinsichtlich ihrer Kunstschätze weltweit als ein Museum, mit dem es allenfalls noch der Pariser Louvre aufnehmen kann. Doch Gemälde und Gemäuer selbst taugen in diesen imposanten Dimensionen nur bedingt als Sujet für einen sehenswerten Film. Die niederländische Filmemacherin Aliona Van der Horst konzentriert sich deshalb auf einige jener 2500 Angestellten, die in der Eremitage ihrer Arbeit nachgehen und sich stolz „Eremitageniks“ nennen. Diese Auserwählten entpuppen sich einigermaßen überraschend als Club der alten Damen. Da ist Olga, die mit 76 Jahren als guter Geist des Hauses noch immer darüber wacht, dass alles seinen geregelten Gang geht. Alexandra wacht als Kuratorin über die Ikonen der Sammlung und wischt die Frage nach der Rente mit „Wieso? Ich bin doch erst 82“ vom Tisch. Bei Valentina, gerade mal 70, liegen die Dinge etwas anders. Als ausgebildete Atom-Ingenieurin verlor sie beim Zusammenbruch der Sowjetunion ihren Job, und ihre knappe Rente reicht hinten und vorne nicht zum Leben. Aber auch sie ist stolz darauf, in der Eremitage als Saalwärterin zu arbeiten, wo sie über die Jahre eine ganz persönliche Beziehung zu einem jungen Mann auf einem Gemälde entwickelt hat, dem sie täglich gegenüber sitzt. Ungemein viel haben diese Damen, eindeutig ein Vorzug ihres Alters, zu erzählen über sich und „ihre“ Eremitage: von der Bombardierung des Gebäudes durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg, der Blockade des damaligen Leningrad, vom Kunst-Frevel des Stalinismus bis zu den Umbrüchen der Perestroika. Ereignisse, die mit wenigen, aber aussagekräftigen Archivbildern zum Leben erweckt werden und dabei stets den Bezug zu den Erinnerungen der Protagonisten bewahren. Ähnliches gilt für die Kunstschätze, die in dem Film natürlich nicht fehlen. Auch hier erliegt die Autorin nicht der Versuchung einer möglichst umfassenden Bestandsaufnahme, vielmehr rückt sie vorwiegend jene Werke ins Bild, die ihren „Hauptdarstellern“ besonders am Herzen liegen: hier antike Uhren, da ein paar Ikonen, die Kuratorin Alexandra noch immer zu Tränen rühren, oder Rembrandts Gemälde „Der verlorene Sohn“, das es als Sinnbild der Vergebung dem Angestellten Vadim besonders angetan hat. Für den Mann mit modischem Bärtchen und Piercings, der Youngster im Film, ist die Eremitage eine Art Therapie gegen jene Kriegstraumata, die er seit seiner Militärzeit in Aserbaidschan mit sich herumschleppt.
Was den Film jenseits dieser persönlichen, bewegenden Geschichten überaus sehenswert macht, ist die souveräne Montage. Dank dieser gelingt zwischen intimen Gesprächen, prosaischen Begebenheiten des Arbeitsalltags und Impressionen des Museumsbetriebs mit seinen jährlich drei bis vier Millionen Besuchern ein warmherziges, atmosphärisch ungemein dichtes Porträt einer Institution zwischen Musentempel, Firma und Heimat. All das ohne Off-Kommentar, mit einer ebenso stimmigen wie unaufdringlichen Musik unterlegt, und mit viel Gespür für dezidiert filmische Bilder in Szene gesetzt, wenn sich die Kamera im Labyrinth der kafkaesken, endlosen unterirdischen Gängen des Museums bewegt. Wenn am 1. Mai eine Schar von Demonstranten mit roten Fahnen vor dem Gebäude ein Loblied auf die Sowjetunion anstimmt, weht auch die Aktualität durch die Fenster der Eremitage, was deutlich macht, dass es sich hier bei aller Liebe nicht um ein Biotop der Glückseligen handelt.
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