Babel
Drama | USA/Mexiko 2006 | 144 Minuten
Regie: Alejandro González Iñárritu
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Dritter Teil von Alejandro Gonzáles Iñárritus Trilogie, die mit "Amores Perros" und "21 Gramm" begonnen hat. Mehrere ineinander verzahnte Geschichten aus vier Ländern beschreiben die Kommunikationsstörungen und Missverständnisse von Menschen verschiedener Kulturen. Zwischen den USA, Mexiko, Marokko und Japan gelingen dem Regisseur exemplarische Szenen von überwältigender Bildkraft und Authentizität, die manche Fragwürdigkeiten formaler und gedanklicher Art überdecken. In seiner Lebensphilosophie ein von Fatalismus bestimmter Film, über dessen tragische Schicksale nachzudenken sich jedoch sehr lohnen kann. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 16.
Filmdaten
- Originaltitel
- BABEL
- Produktionsland
- USA/Mexiko
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Anonymous Content/Central Films/Dune Films/Zeta Film
- Regie
- Alejandro González Iñárritu
- Buch
- Guillermo Arriaga
- Kamera
- Rodrigo Prieto
- Musik
- Gustavo Santaolalla
- Schnitt
- Douglas Crise · Stephen Mirrione
- Darsteller
- Brad Pitt (Richard) · Cate Blanchett (Susan) · Said Tarchani (Ahmed) · Boubker Ait El Caid (Yussef) · Gael García Bernal (Santiago)
- Länge
- 144 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Standardausgabe hat keine erwähnenswerten Extras. Die Special Edition (2 DVDs) besticht vor allem durch die außergewöhnlich umfangreiche und hintergründige Dokumentation zum Film "Common Ground: Under Construction Notes" (88 Min.). Die Special Edition ist mit dem "Silberling 2007" ausgezeichnet.
Diskussion
Alejandro Gonzáles Iñárritu will hoch hinaus mit diesem Film, aber auf ganz andere Weise als die Menschen, von deren Hybris die Bibel erzählt, sie hätten den Turm von Babel bis in den Himmel bauen wollen. Iñárritu richtet seinen Blick vielmehr auf den Scherbenhaufen, der nach Gottes Zorn übriggeblieben ist. Auch im Zeitalter der weltumspannenden Kommunikationsmittel entdeckt er allenthalben die Unfähigkeit des Menschen, kulturelle und gesellschaftliche Barrieren zu überspringen, Worte zu finden, die den Menschen neben ihm ansprechen könnten, Urteile und Vorurteile über Bord zu werfen, um den anderen in seiner individuellen Eigenart zu erkennen und zu tolerieren. Ob das hohe analytische Ziel, das Iñárritu mit seinem Film wohl vorschwebte, von ihm erreicht worden ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Bemühung allein aber, das Verlassen ausgetretener Pfade und das unverkennbare Ringen um eine filmische Gestalt, die die Universalität der allen seinen Figuren gemeinsamen existenziellen Einsamkeit spürbar macht, verdienen Bewunderung. „Babel“ ist die abschließende Geschichte in einer Trilogie, die mit „Amores Perros“ (fd 35 104)) und „21 Gramm“ (fd 36 365) begonnen hat. Ging es in dem ersten der Filme um die Entmenschlichung in einem Iñárritu sehr geläufigen geografischen und sozialen Umfeld, der Mammutstadt Mexico City, und in dem zweiten um eine als Psychothriller getarnte Konfrontation mit dem Tod, so weiten sich Handlungsort und Anspruch in „Babel“ zu einer weltumspannenden, unverkennbar fatalistischen Darstellung von mehreren, zunächst scheinbar unzusammenhängenden Geschichten in vier Ländern und fünf Sprachen. In einem entlegenen marokkanischen Bergdorf erwirbt ein Ziegenhüter ein Gewehr und gibt es seinen beiden jungen Söhnen, damit sie mit dessen Hilfe die Schakale vertreiben. Doch in jugendlicher Unbedachtheit zielen die Kinder auf einen aus der Ferne näherkommenden Touristenbus und verletzen eine amerikanische Reisende schwer. Noch bevor man von den Schwierigkeiten erfährt, die sich ihrer Rettung in dem wüstenähnlichen Landstrich entgegenstellen, springt der Film nach Kalifornien, wo sich eine ältere mexikanische Haushälterin um die Kinder eines abwesenden Ehepaars kümmert. Weil ihr eigener Sohn auf der anderen Seite der mexikanischen Grenze am nächsten Tag heiraten wird, überredet sie ihren Neffen, sie und die Kinder, für die sie keinen Babysitter finden kann, zu der Feierlichkeit zu fahren. Ein weiterer Sprung führt den Zuschauer nach Tokio, wo eine taubstumme japanische Schülerin mit dem Freitod ihrer Mutter, ihrem Gefühl der Vereinsamung und ihrer erwachenden Sexualität zurechtzukommen versucht. Im Lauf des Films verzahnen sich diese Geschichten immer mehr ineinander. Doch was sie zu einen beginnt, ist weniger die lose (und etwas forciert wirkende) Verknüpfung der Personen als die deterministische Zielgerichtetheit, mit der sie alle in die Katastrophe steuern.
Iñárritu beherrscht sein Handwerk wie nur wenige Filmemacher. Gleichgültig, ob es sich um die endlosen Weiten der marokkanischen Felslandschaft handelt, um die lebenspralle Farbenpracht einer mexikanischen Dorfhochzeit oder um die Teen-Kultur der von kaltem Neonlicht durchfluteten japanischen Disco-Welt, die Bilder und Szenen des Films sind von überwältigender Authentizität. Dieses Gespür für die Umwelt verleiht auch den Personen, über deren Vergangenheit man wenig erfährt, eine sich spontan auf das Empfinden des Zuschauers übertragende Ursprünglichkeit, die alle Zweifel an deren Verhaltensweisen mit der Kraft der filmischen Realisation überspielt. Einmal eingefangen in den Circulus vitiosus dieser optisch fesselnden und mehr und mehr faszinierenden Geschichten, wird das Publikum zum Freiwild für die Lebensphilosophie der Autoren, die von zutiefst alttestamentarischer Rigidität bestimmt ist. Aufgezwungene oder angelernte Präkonzeptionen bestimmen das Schicksal der Menschen in diesem Film und führen zu einer Kettenreaktion von Missverständnissen und Fehlverhalten zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Regierungen und Individuen, aus der Iñárritu nicht einmal den Trost einer spirituellen Orientierung anbietet. Die Konsequenzen des Turmbaus zu Babel wirken fort: eine Menschheit, die aller einigenden Wurzeln beraubt ist, unfähig, sich dem anderen gegenüber verständlich zu machen, jeder auf sich selbst zurückgeworfen. Das Bild der nackt auf einem Balkon hoch über dem eiskalten Lichtermeer Tokios stehenden jungen Japanerin, das den Film beschließt, fasst die Ideologie des Regisseurs treffend zusammen. Dass sich die Hände von Vater und Tochter berühren, ist mehr Appell als Lösung – ein schwacher, eher wie ein Hilferuf wirkender Hoffnungsstrahl in einer von Hoffnungslosigkeit bestimmten Geschichte.
So sehr „Babel“ einen im Kino zu überwältigen vermag, so viele Zweifel schleichen sich bei kritischem Überdenken ein. Iñárritu erzählt seine Geschichten in ganz konkreten politischen und gesellschaftlichen Kontexten. Die von (nicht gezeigten, nur verbal angedeuteten) Auseinandersetzungen zwischen der amerikanischen Botschaft und der marokkanischen Regierung hinausgezögerte Rettung der verletzten Amerikanerin, deren Mann keine Spur Geduld mit den Menschen und Lebensumständen der Region aufbringt, sollen Hinweis sein auf die im Zeitalter des Terrorismus gestörte Kommunikation zweier sich misstrauender Staaten und der von diesem Misstrauen geprägten Angehörigen unterschiedlicher Kulturkreise. Die fast zum Tod der ihr anvertrauten Kinder führenden Reaktionen der mexikanischen Haushälterin und der Umgang amerikanischer Grenzpolizisten mit ihr spielen unverhohlen auf die Immigrationsprobleme in den USA und die Diskussion über die Behandlung illegaler Einwanderer an. Hintergründe wie diese könnten dem Film eine über die zwischenmenschlichen Kommunikationsschwierigkeiten hinausgehende Bedeutung verleihen. Aber daran ist Guillermo Arriago, Iñárritus Autor für die gesamte Trilogie, offenbar nicht sehr interessiert. So müssen denn Iñárritus Kunstfertigkeit in der Inszenierung der Ereignisse und die ästhetische Eindrücklichkeit seiner Bilder die Schwächen eines Drehbuchs überdecken, das letztlich mehr Allgemeinplätze anbietet als konkrete Ursächlichkeiten in unserem gesellschaftlichen Gefüge. Emotionen – Angst, Zorn, Schmerz, Verlustgefühl – tragen mehr zur Definition der Figuren und zum Fortgang der Handlung bei als die nur oberflächliche Verankerung in der politischen Realität.
Nun zum dritten Mal von Iñárritu benutzt und allmählich mehr zur Marotte werdend als zur hilfreichen filmischen Struktur, lässt auch die Parallelmontage von mehreren Geschichten Fragen über ihre Angemessenheit aufkommen. Nachdem „LA Crash“ (fd 37 166) sich derselben Technik bedient und damit sogar bei den Akademiepreisen Erfolg hatte, rutscht die Methode eher zum modischen Attribut ambitionierter Filmemacher ab. Neuerlich hat sie sich sogar in amerikanischen Fernsehserien etabliert („Six Degrees“, „The Nine“). Ihre Nützlichkeit ist vor allem dann zu bezweifeln, wenn die Verbindungsstücke so schwach und oberflächlich ausfallen wie in „Babel“: Die beiden Touristen in Marokko sind die Eltern der in Kalifornien zurückgelassenen Kinder, und der Vater der japanischen Schülerin hat während einer Jagdpartie das Gewehr, mit dem die Amerikanerin angeschossen wird, einem Marokkaner geschenkt. Die meisten Filme sind nicht vollkommen; dieser ist es auch nicht. Aber das bedeutet keineswegs, dass es sich nicht lohnen würde, sich seiner Radikalität auszusetzen, sei es auch nur, um hinterher noch tagelang über deren Stärken und Schwächen nachzudenken.