TRIP - Remix your Experience

- | Deutschland 2005 | 78 Minuten

Regie: Frank Otto

Der Film lädt zu einer experimentellen Reise durch Bild- und Klanglandschaften ein, bei denen der Zuschauer selbst zum Regisseur avanciert. Im Splitscreen-Verfahren laufen verschiedene, zum Teil psychedelisch angehauchte Filmsequenzen gleichzeitig ab, flankiert von einer 74-minütigen Sinfonie aus Progressive Rock, Free Jazz und Ethno-Musik. Ein faszinierendes Experiment, das bei Nicht-Initiierten Ermüdungserscheinungen hervorrufen dürfte, dank seiner konsequenten Umsetzung gleichwohl angenehm erfrischend wirkt und im Gefolge avantgardistischer Experimente der 1960er- und 1970er-Jahre durchaus zu neuen Wahrnehmungsformen im Kino animiert. (1. "seamusic"; 2. "track 2"; 3. "playing planet"; 4. "artwork")
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
ferryhouse productions
Regie
Frank Otto · Bernt Köhler-Adams · Frank Schweikert · Denis Bivour · Holger Lang
Musik
Frank Otto · Bernt Köhler-Adams
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
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Diskussion
Der Film zelebriert den Schlüssel des Kinos: das Eintauchen in eine (Kunst-) Welt durch Klang und Bild. Traditionell stehen beide Medienelemente in engem Sinnzusammenhang. Geräusche entsprechen dabei bestimmten Geschehnissen der Bildsequenzen; der Filmmusik fällt im Mainstream-Kino die Aufgabe zu, die in Handlung, Dialog oder Bildkomposition evozierte Gefühlsstimmung zu intensivieren. „TRIP“ stellt solche Rezeptionsmuster in Frage und ruft zu neuen Wahrnehmungsformen auf. Die Tonspur besteht aus einem 74-minütigen Konzeptalbum, das an die progressive Rock-Musik der 1970er-Jahre anknüpft. Im Stil von ausufernden psychedelischen Klangeskapaden à la Pink Floyd oder dem barock-ornamentierten Pathos der Gruppe Yes transportieren die Komponisten Bernt Köhler-Adams und Frank Otto diesen Sound mit orientalischen Vokalisen, Instrumenten der Ethno-Musik und Anleihen beim Free Jazz ins 21. Jahrhundert. Den Endpunkt bildet eine Reverenz an die bombastische Spätromantik, wenn die Instrumentalisten Maurice Ravels „Bolero“ mit den Mitteln der elektronischen Musik als Groteske interpretieren. Die klanggewaltige Reise offenbart sich im Kinoraum als dreidimensionales Erlebnis, das die Möglichkeiten des digitalen Surround-Sounds ausschöpft. Das visuelle Pendant gleicht zunächst einem Overkill an Bildern. Im Zentrum laufen vier 74-minütige Experimentalfilme als Splitscreen gleichzeitig ab. Es handelt sich im einzelnen um „seamusic“ von Frank Schweikert. Hier thematisieren die Sequenzen Ozeane und die Unterwasserwelt. „track 2“ ist ein Kaleidoskop aus 30 Tagträumen, die als Miniaturen das rege Leben in der Berliner U-Bahn einfangen. In „playing planet“ von Eliane Koller und Arian Bethusy-Huc wechseln sich Aufnahmen von brasilianischen Voodoo-Sessions mit Bildern eines Fallschirmsprungs und politischen Aufständen ab. „artwork“ zeigt, wie der österreichische Maler und Musiker Dragan Reiser in einem traumwandlerischen Tanz mit seinen Farbrollen ein riesiges von Frank Otto gemaltes fantastisches Bodengemälde über H.C. Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau freilegt. Diese vier zentralen Bildelemente ergänzen rechts und links jeweils sechs vertikal angeordnete kleinere Videofenster, um die Entstehung der vier Hauptfilme zu dokumentieren. Der Untertitel „Remix your Experience“ deutet darauf hin, dass „TRIP“ einen starken Angebotscharakter für sich in Anspruch nimmt. Es obliegt dem Zuschauer, sich auf eine der Geschichten zu konzentrieren oder die Aufmerksamkeit breit zu streuen, um sich von der Musik zu einem eigenen Film im Kopf inspirieren zu lassen. Die Gleichzeitigkeit der heterogenen Elemente wirkt zunächst überwältigend; doch auch die Kapitulation und das Schließen der Augen ist als Option des „Remixens“ im Programm der Produzenten eingeplant. Die audiovisuelle Massierung entstand ursprünglich als Installation: „TRIP“ feierte im Rahmen der Expo 2005 in Aichi/Japan seine Weltpremiere und wurde im Deutschen Pavillon auf vier separaten Leinwänden aufgeführt. Wie bei einem Happening konnten sich die Besucher frei bewegen, um sich auch räumlich auf die einzelnen Filme einzulassen. Die neu erstellte 35mm-Splitscreen-Version bildet sozusagen die Königsdisziplin der Beschäftigung mit den verschiedenen Versionen. Für Nicht-Initiierte dürfte sie Ermüdungserscheinungen hervorrufen, da es fast unmöglich ist, sich bei den 16 zumeist schnell geschnittenen Filmangeboten auf eine Geschichte einzulassen. Eine zukünftige DVD-Version soll die einzelnen Elemente wieder auseinander dividieren. So kann auch der Zugang auf die audiovisuelle Bündelung erleichtert werden. „TRIP“ nimmt in der derzeitigen Kinofilmlandschaft eine Sonderstellung ein. Da der Film keine visuelle Dramaturgie vorgibt, setzt er auf die Imaginationskraft der Zuschauer. Der Bruch mit traditionellen Seh- und Hörgewohnheiten geschieht keineswegs behutsam, sondern überschreitet geradezu brutal die Grenzen sinnlicher Aufnahmekapazitäten. Die Produzenten knüpfen nach eigenen Angaben an die MTV-Ästhetik der Pioniere an, als in den 1980er-Jahren Pop-Ikonen und Avantgardisten den Videoclip als Medium einer neuen Ausdrucksform entdeckten. Die Kinoversion von „TRIP“ erschließt angesichts avantgardistischer Vorstöße im Dadaismus, Fluxus oder der Popart nur bedingt kinematografisches Neuland. Die gleichsam mutige wie konsequente Umsetzung wirkt im derzeitigen Filmangebot insgesamt angenehm erfrischend.
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