In jeweils einer langen Einstellung von jeweils gut zehn Minuten werden neun Frauenfiguren porträtiert, die sich an einem entscheidenden, neuralgischen Punkt ihres Lebens befinden. Ein streng komponiertes formales Experiment, das seine Konstruiertheit zwar nicht ganz vergessen machen kann, aber durch die Qualität des Drehbuchs, die Konsequenz der Inszenierung und das Talent der furiosen Darstellerinnen-Riege doch außerordentlich fesselt. Gerade in ihrer sezierend-kühlen Beobachtung eröffnen sich berührende Einblicke in die Figuren.
- Ab 16.
Nine Lives
- | USA 2005 | 107 Minuten
Regie: Rodrigo García
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- NINE LIVES
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Mockingbird Pic.
- Regie
- Rodrigo García
- Buch
- Rodrigo García
- Kamera
- Xavier Pérez Grobet
- Musik
- Ed Shearmur
- Schnitt
- Andrea Folprecht
- Darsteller
- Kathy Baker (Camille) · Elpidia Carrillo (Sandra) · Amy Brenneman (Lorna) · Glenn Close (Maggie) · Lisa Gay Hamilton (Holly)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Ob die fahrigen Handbewegungen von Lisa Gay Hamilton, das Flackern in den Augen von Holly Hunter oder das mädchenhafte Kichern von Sissy Spacek: Ein kleiner Ausschnitt erzählt nicht nur viel über die Fähigkeiten eines Schauspielers bzw. hier passender einer Schauspielerin, darin lässt sich auch viel über den Seelenhaushalt einer Figur erfahren. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. All dies stellt Rodrigo García in „Nine Lives“ unter Beweis. Auftreten lässt er Sandra, Diana, Holly, Sonia, Samantha, Lorna, Ruth, Camille und Maggie: neun Frauen zwischen Teenager- und Rentenalter, jede bekommt dieselbe kompakte Zeitspanne von gut zehn Minuten und eine einzige lange Einstellung, in der die entsprechende Figur an einem entscheidenden, symptomatischen Moment ihres Lebens steht. Diana, hochschwanger, die ihre große Liebe nach zehn Jahren im Supermarkt wiedertrifft. Camille, die im Krankenhausbett auf ihre Brustkrebs-OP wartet. Sonia, die sich bei einem Treffen mit Freunden einen demütigenden Streit mit ihrem Geliebten liefert.
Der strenge Episodenfilm ist ein Experiment, und das Konstrukt dahinter vermag er nicht in jeder Minute vergessen zu machen. Doch sind Dialoge, Buch, Regie und Schauspiel von bestechender Präzision: Der klug geschriebene Satz, die stimmige Figur, das richtige Timing und das überzeugende Spiel machen aus einem Großteil der Episoden wahre Kleinode. Die thematische Palette umfasst „gefühlige“ Motive wie Liebe, Verletztheit, Angst, Sorge, Mitleid, Neugier oder Trauer, was nach dem Klischee eines „Frauenfilms“ klingen mag. Doch lässt García seine Schauspielerinnen diese Gefühle so genau und feinnervig sezieren, dass sie jeglichem melodramatischen Effekt den Garaus machen. García befasste bereits in seinem Debüt „Gefühle, die man sieht – Things You Can Tell“ (fd 35 893) mit den Emotionen mehrerer Frauenfiguren; hier nun gelingt das vermeintliche Paradoxon, auf eine kühl-distanzierte und doch sensible Art hoch aufwühlende Momente in Szene zu setzen. Dabei behilflich ist nicht zuletzt die formale Strenge des filmischen Experiments. Keinen Zweifel lässt García daran, dass es eben nur ein Leben ist, das der Mensch hat, dass es das Jetzt und Heute ist, das zählt – die „neun Leben“ bleiben den Katzen vorbehalten. Das ist, wie gesagt, meist mehr, manchmal weniger gelungen, bleibt aber immer interessant – und ist lohnenswert schon allein wegen der inspirierten Arbeit von Robin Wright Penn, Glenn Close, Amy Brenneman, Kathy Baker, Amanda Seyfried, Elpidia Carrillo sowie den bereits erwähnten Kolleginnen. Wieso der Film hierzulande keine Kinoauswertung erhielt, liegt auf der Hand: Die rigide Form, die oft fehlende Klimax, der gewissermaßen anti-zyklische Spannungsaufbau, kurz: die mangelnde Massentauglichkeit haben wahrscheinlich Verleihe abgeschreckt. Bedauerlich bleibt es trotzdem, wenn ein so außergewöhnlicher Film, der 2005 in Locarno einen „Goldenen Leoparden“ sowie einen „Bronzenen Leoparden“ für das Darstellerinnen-Kollektiv gewann, keinen Platz auf der Leinwand findet.
Kommentar verfassen