Öffne meine Augen

Drama | Spanien 2003 | 107 Minuten

Regie: Icíar Bollaín

Der Leidensweg einer jungen Frau, die trotz andauernder Misshandlung durch ihren Ehemann immer wieder zu ihm zurückkehrt. Der engagierte Film vermeidet eine allzu offensichtliche Identifizierung mit dem Opfer und beschreibt ein komplexes Geflecht aus Hass und Liebe sowie eine Ausweglosigkeit, die durch das hilflose soziale Umfelde noch gesteigert wird. Die hervorragenden Hauptdarsteller sensibilisieren für die ergreifend hoffnungslose Liebesgeschichte über eine fatale Mischung aus Zärtlichkeit, Aggression und Minderwertigkeitsgefühlen, die in unerträgliche Einsamkeit mündet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TE DOY MIS OJOS
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Alta Producción/Producciones La Iguana
Regie
Icíar Bollaín
Buch
Icíar Bollaín · Alicia Luna
Kamera
Carles Gusi
Musik
Alberto Iglesias
Schnitt
Ángel Hernández Zoido
Darsteller
Laia Marull (Pilar) · Luis Tosar (Antonio) · Candela Peña (Ana) · Rosa Maria Sardà (Aurora) · Kiti Manver (Rosa)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Pilar, eine nervöse junge Frau, wirft panisch und ohne große Überlegung ihre Sachen in eine Reisetasche. Dann nimmt sie hektisch ihren Sohn an der Hand, eilt durch die nächtlichen dunklen Gassen Toledos und kommt völlig durcheinander im Haus ihrer Schwester an. Erst hier löst sich ihre Spannung; und sie schluchzt, dass sie, als wäre es das Schlimmste, in Pantoffeln gekommen sei. Pilar hat wieder einmal die Flucht gewagt – und wird wieder scheitern, denn schon steht ihr Ehemann Antonio an der Tür und bittet sie halb schmeichelnd, halb verzweifelt um Verzeihung und darum, noch einmal einen Neuanfang zu wagen. Bereits in dieser ersten Sequenz des Films wird deutlich, dass auch der dritte Spielfilm der 38-jährigen spanischen Schauspielerin („Land and Freedom“, fd 31 553) und Regisseurin („Blumen aus einer anderen Welt“, fd 34 692) Iciar Bollaín in ganz besonderem Maße von der Leistung der Hauptdarsteller lebt. Pilar ist seit zehn Jahren verheiratet, doch obwohl ihr Mann Antonio sie in pathologischer Eifersucht und jähzorniger Panik, sie zu verlieren, regelmäßig misshandelt, kehrt sie immer wieder zu ihm zurück. Ein bedrückendes, für die spanische Gesellschaft bedrückend alltägliches Drama, denn jährlich sterben Dutzende von Frauen durch die Gewalt ihrer Geliebten und Ehemänner. Iciar Bollaín hat sich mit dem Thema seit längerer Zeit auseinander gesetzt; schon in ihrem Kurzfilm „Amores que matan“ („Liebe, die tötet“, 2000) ging es ihr um die Psychologie des Täters und die psychologische Lähmung des Opfers: Was geht im Kopf des Misshandelnden vor? Wie kommt es dazu, dass ein Mann seine Partnerin misshandelt, schlägt, gar tötet? So ist auch „Öffne meine Augen“ vom ersten Moment an weit vom simplen feministisch-soziologischen Traktat entfernt. Iciar Bollaín schildert ein komplexes Geflecht aus Hass und Liebe, vermeidet die direkte, allzu offensichtliche Identifizierung mit dem Opfer und zeigt die emotionale Ausweglosigkeit einer Frau, die jahrelang die Aggressionen und Misshandlungen ihres Mannes in einem Fegefeuer dauernder Unsicherheit erträgt. Sie zeigt auch die Unfähigkeit des sozialen Umfeldes, wirklich zu verstehen und zu helfen. Zwischen dem dogmatischen Pragmatismus der Schwester, die zu Trennung und Strafanzeige drängt, und der konservativen Weltsicht der Mutter bleibt Pilar allein und kehrt, immer wieder von neuen Hoffnungen erfüllt, zu ihrer „Liebe“ zurück – zurück in das fatale Wechselspiel von Gewalt und Abhängigkeit. Ganz deutlich wird das in der ersten gemeinsamen Szene der beiden: Zwischen Antonio, der Pilar zur Rückkehr bewegen will, und Pilar, die endlich entflohen ist, steht die verschlossene Tür - ein Bilder tiefer Ratlosigkeit. Man spürt instinktiv, dass Pilar in ihr Verderben rennen wird, und wünscht ihr doch aus tiefstem Herzen Glück. Die Stärke des Films liegt in der Vielschichtigkeit der beiden Hauptfiguren. Bereits der Filmtitel spielt mit der gegenseitigen psychischen Abhängigkeit, ist eine zärtliche Formel zwischen Pilar und Antonio. Antonio kann durchaus liebevoll und zärtlich sein, besucht freiwillig in eine Therapiegruppe, in der er gemeinsam mit anderen gewalttätigen Ehemännern versucht, unter Anleitung eines Therapeuten den Wurzeln seiner Gewalt auf die Spur zu kommen. „Öffne meine Augen“ hat sogar humorvolle Momente, etwa die Kumpanei in der Männergruppe, auch wenn angesichts der Vorurteile gegenüber Frauen und der vorgetragenen Selbstgerechtigkeit das Lachen schwer fällt. Antonio ist anders, aber am Ende reicht seine langsam wachsende Einsicht nicht aus, weshalb das eintritt, was er am meisten fürchtet. Auch Pilar wird nicht als das „heilige“ Opfer aufgebaut, obwohl die Sympathien von Anfang an klar auf sie ausgerichtet sind; der Film zeigt sie in ihrer Zerrissenheit, ihrer verhängnisvoll kindlich-romantischen Vorstellung von Liebe, die sie immer wieder zurückkehren lässt. Skizziert wird ihre langsame Entwicklung zu Selbstbewusstsein und neuer Selbständigkeit, wobei Iciar Bollaín auch hier jede Schwarz-Weiß-Malerei vermeidet. So beobachtet Antonio seine Frau aus der Distanz im Museum mit einer Gruppe von Touristen und ist fasziniert von ihren ihm unbekannten Facetten, wobei Pilars neues Selbstbewusstsein der Anfang vom endgültigen Ende ihrer emotionalen Abhängigkeit ist. Iciar Bollaín vermeidet jede voyeuristische Gewaltdarstellung. Ihr Film beeindruckt durch die kontinuierliche Spannung, die über das faszinierende Zusammenspiel der Hauptdarsteller entsteht. „Öffne meine Augen“ ist eine grausame und ergreifend hoffnungslose Liebesgeschichte über eine fatale Mischung aus Zärtlichkeit, Aggression und Minderwertigkeitsgefühlen, und über die Einsamkeit, die die häusliche Gewalt noch unerträglicher macht.
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