Der Dokumentarfilm setzt sich mit dem "Corporate Capitalism" auseinander, mit der Funktionsweise multinationaler Konzerne. Er unterzieht deren ausschließliche Orientierung an Profitmaximierung einer umfassenden Kritik, indem er deren zerstörerische Folgen für soziale und ökologische Strukturen offenlegt und politische Missstände anprangert. Dabei kämpfen die Filmemacher, ähnlich wie der Dokumentarfilmer Michael Moore, mit nicht immer subtiler Polemik. Der gelungene Agitationsfilm ist zwar nicht frei von einigen plakativen Bewertungen, verdient aber als leidenschaftliches Plädoyer für ein gerechteres Weltwirtschaftssystem Beachtung. (Originalfassung; DVD O.m.d.U.)
- Ab 16.
The Corporation
Dokumentarfilm | Kanada 2003 | 145 Minuten
Regie: Jennifer Abbott
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE CORPORATION
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Big Pictures Media Corp.
- Regie
- Jennifer Abbott · Mark Achbar
- Buch
- Mark Achbar · Joel Bakan · Harold Crooks
- Kamera
- Mark Achbar · Rolf Cutts · Jeff Koffman · Kirk Tougas
- Musik
- Leonard J. Paul
- Schnitt
- Jennifer Abbott
- Länge
- 145 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Ist es, so lautet eine Frage der Filmemacher, ethisch vertretbar, wenn man Kinder durch Hinzuziehung psychologischer Berater derart manipuliert, dass sie bereits in jungen Jahren zu willfährigen Konsumenten „erzogen“ werden? Da muss die junge Frau, die hier befragt wird, doch lachen, weil ihr Job nun gar nichts mit Ethik zu tun hat. Es gebe ein Produkt, das produziert wurde, und zwar für einen Markt, der das Produkt nachfragt. Alles, was sie zu tun habe, sei, die geeignete profitmaximierende Verbindung herzustellen. „The Corporation“ ist der Film zur aktuellen „Heuschrecken“-Debatte, der noch einmal alle zentralen Kritikpunkte am „Corporate Capitalism“, wie sie sich in den vergangenen 150 Jahren herauskristallisiert haben, materialreich ausbreitet. Was früher einmal die Kirche, die Monarchie oder die kommunistische Partei waren, sind heute die multinational oder global agierenden „business corporations“, nämlich die maßgeblichen, das Erwerbsleben und unseren Alltag bestimmenden übermächtigen Institution.
Für die nötige Fallhöhe der fast zweieinhalbstündigen Dokumentation sorgt George W. Bush, der einmal das geflügelte Wort von einer Handvoll fauler Äpfeln zur Beschreibung des gegenwärtigen Kapitalismus in die Runde geworfen hat, um die Gesundheit des gesamten Wirtschaftsystems zu behaupten. Weil die „Corporation“ vor dem Gesetz als „Person“ gilt, entwirft der Film gewissermaßen ein engagiertes, mal polemisches, mal bittereres Psychogramm multinationaler Konzerne und Aktiengesellschaften, deren Handlungsimpuls letztlich nur einer einzigen Maxime folgt: „Profit“. Es gehört zu den prinzipiellen Charakteristika einer „Corporation“, dass sie vom Gesetz sogar dazu verpflichtet ist, im Sinne der Profitinteressen der „Shareholder“ zu handeln. Kategorien wie Moral oder soziale Verantwortung spielen in dieser Konstruktion keine Rolle. Der Film untersucht nun – das Bild des Psychiaters wird explizit gewählt – die pathologischen Konsequenzen dieses ökonomischen Modells. Es gilt: Das pure Streben nach Reichtum und Wachstum wird unsere Existenz auf diesem Planeten mittelfristig zerstören, der Kampf um die Trinkwasserreserven hat längst begonnen.
An ausgewählten Beispielen werden bestimmte Verwerfungen rekonstruiert und diskutiert: Kinderarbeit, Umweltzerstörung, Tierversuche, billigende Inkaufnahme schwerer Krankheiten wie Krebs, Erpressung, Zensur, Unterdrückung und Gewalt gegen sich regenden Widerstand etwa in der Dritten Welt. Die Gesichter der „Wissenschaft von der Ausbeutung“ sind vielgestaltig. Der Film wählt zur ihrer Darstellung eine Mischung aus Rede- und Gegenrede – Interviews, dokumentarischem Fernsehmaterial, polemisch montierten Werbeclips, Ausschnitten aus Spielfilmen (etwa eine Laurel & Hardy-Tortenschlacht-Szenario zur Veranschaulichung des Terminus „Externality“, also die Wirkung von ökonomischen Transaktionen auf unbeteiligte Dritte), Off-Kommentaren und Grafiken. Einzelne Abschnitte behandeln anekdotisch Dinge wie „Undercover Marketing“, die Strategie der feindlichen Übernahme, die Wahrnehmung sozialer Verantwortung im lokalen Bereich als neue Marketingstrategie und auch die Medienpolitik, die gemäß dem Motto „Wir haben diesen Nachrichtensender gekauft, also bestimmen wir auch, was die Nachrichten sind, die wir senden“ mit hochdotierten Anwälten gegen aufklärerische Reportagen zensurierend eingreifen. „The Corporation“ erzählt von der alten Vorliebe der Global Players, mit Militärdiktaturen und unterdrückerischen Regimes zusammenzuarbeiten, die in ihrem Sinne die Drecksarbeit vor Ort erledigen.
Bei der historischen Dimension der aktuellen Entwicklung begegnen einem einerseits Hitler, Coca Cola und IBM, andererseits Gandhi, Martin Luther King, Greenpeace und das Massaker am „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking. Doch – und hier endet die leicht paranoide und verschwörungstheoretische, stets aber moralisch argumentierende Dimension des Films – auch der Widerstand wächst global. Episoden aus Bolivien und Mexiko verdeutlichen dies ebenso wie hellsichtige Auftritte von Michael Moore, Noam Chomsky und Naomi „No Logo“ Klein, die belegen, dass die Hirnwäsche der Konzerne noch nicht reibungslos funktioniert. Nicht zuletzt gibt es da auch all die Bilder, die gemacht wurden und die hier zur Gegeninformation montiert werden. Alle Informationen liegen auf dem Tisch, man muss sie nur zu nutzen verstehen, lautet eine der Botschaften von „The Corporation“, der in diesem Sinne auch ein Agitationsfilm ist. Der Widerstand argumentiert mit und vertraut auf die alten Werte der bürgerlichen Revolution: Tradition, Gesetze und öffentliche Kontrolle (was angesichts multinational operierender Konzerne, die selbst Ausdruck bürgerlichen Wirtschaftens sind, nicht ganz überzeugend ist). Die Widerstandsoption gründet auf heroischen Einzelaktionen, die aus der Graswurzelperspektive erfolgreich Nadelstiche gegen das System zu produzieren versteht. Man will dem System auf die Schliche kommen, indem man „the very roots of the legal form that created this beast“ ermittelt – wobei die Wortwahl an dieser Stelle ebenso bedenklich stimmt wie der schlichte Rekurs auf ältere politische Erklärungsmodelle wie die „Stamokap“- oder die Bonapartismus-Theorie zum Faschismus. Im Schlussplädoyer des ausdauernd insistierenden Films reflektiert ausgerechnet Michael Moore seine Rolle im globalen Kampf gegen die Corporations. Schließlich werden seine aufklärerischen Filme und auch seine Person von genau den Konzernen in Umlauf gebracht, die er so vehement zu kritisieren trachtet. Mit Foucault könnte man daran denken, dass Macht sich nur durch ein Gegenüber konstituiert, doch Moore greift lieber auf die alte Einsicht Lenins zurück, dass der Kapitalismus noch den Strick verkauft, an dem er aufgehängt wird. Und er, Moore, sei dieser Strick oder doch zumindest ein Teil davon, wenn sich von seinen Filmen oder seiner Person angeregt Menschen erheben und etwas tun, „to get the world back in our hands“. Doch: Wer war nochmal das „Wir“?
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