Steven Spielberg besitzt eine Schwäche für alles, was mit dem Fliegen zu tun hat. Deshalb sollte es nicht überraschen, dass er sich vom Schicksal des iranischen Exilanten Merhan Karimi Nasseri fasziniert zeigte, der seit 1988 auf einer Bank im Pariser Flughafen Charles De Gaulle sein Leben verbringt, weil er seine Ausweispapiere verloren hat. Doch es ist nicht die kafkaeske Absurdität der Situation, die Spielberg dazu veranlasst hat, diese Geschichte zu verfilmen; auch wenn es jüngst mehrfach den Anschein hatte, als ob er nun bereit sei, auch in Abgründe vorzudringen, denen er bisher geflissentlich auszuweichen pflegte, so offenbarten doch gerade „A.I.“
(fd 35 041) und „Minority Report“
(fd 35 602), dass er sich in philosophisch dichteren Gefilden nur tastend vorwärts bewegt. Je nach persönlicher Veranlagung und Gemütsverfassung mag man das bedauern oder begrüßen. Unverrückbare Tatsache bleibt jedenfalls, dass Spielberg weder seine Vorlieben noch seinen Hang zu simplifizierender Emotionalität abzulegen vermag. Als Zuschauer hat man die Wahl, Spielbergs jüngste Filme entweder als sentimentale Abwiegelungen der Realität zurückzuweisen oder es sich im Kinosessel bequem zu machen und sich unterhalten zu lassen. Obwohl es manchmal schwerfällt, Spielbergs Pathos ohne nachhaltiges Sodbrennen zu verdauen, gibt es in „The Terminal“ doch so viel schwerelose Spiellaune und inszenatorische Akrobatik zu bestaunen, dass die zweite Alternative als die eindeutig empfehlenswertere erscheint. Als Kritiker kann man es sich leider nicht so einfach machen.
Der Held und seine desolate Situation haben wenig mit den brennenden Themen unserer Zeit zu tun. Zwar gibt sich der Film zunächst den Anschein, als ob ihm die Anspielungen auf Bosnien, Irak-Krieg und George Bushs Homeland Security Office wichtig wären. Aber sie sind es nicht. Spielberg benutzt sie eher als Vorwand, um eine weitere Story vom Glauben an das unbesiegbar Gute im Menschen in Bewegung zu setzen. Viktor Navorski hat kein Glück beim Betreten des Gelobten Landes Amerika. Die Regierung seines Heimatstaates Krakozia ist von einem Putsch überwältigt worden, während er im Flugzeug saß. Es gibt keine diplomatischen Beziehungen mehr zwischen den USA und Krakozia. Das macht Victor zum Staatenlosen, der weder in die USA einreisen noch in seine Heimat zurückfliegen kann. Ein effizienter, aber herzloser Sicherheitsbeamter verweist ihn in die International Lounge, ohne ihm große Hoffnung zu machen, dass ihm Asyl gewährt werden könnte. Eine Bank auf dem Flughafen ist Viktors zukünftige Bleibe. Sich in der so gar nicht für einen längeren Aufenthalt gedachten Umgebung zurechtzufinden, fällt Viktor umso schwerer, als er bei seiner Ankunft nur ein paar Brocken Englisch versteht, die es ihm unmöglich machen, die Tragweite der Situation zu begreifen. Auf den Fernsehmonitoren der Wartehalle entdeckt er Nachrichtenfetzen vom politischen Putsch in seiner Heimat. Allmählich sinkt in sein Bewusstsein ein, dass er in ernstlichen Schwierigkeiten steckt. Doch wie die Helden von Charlie Chaplin und Jacques Tati beginnt er, sich mit Naivität und Schläue in seiner neuen Umgebung einzurichten. Die Essensgutscheine, die man ihm gegeben hat, gehen ihm schon bald verloren, und die Formulare, die man ihm in die Hand drückt, kann er nicht lesen; aber er findet heraus, wie man zu Geld kommt, indem man Gepäckwägelchen einsammelt, und wie man sich auch ohne Sprachkenntnisse im Emigranten-Eldorado eines Großflughafens Freunde machen kann. Für einen spielt er den Cupido, einen anderen beeindruckt er mit seiner Handwerkskunst, sogar eine Liebesgeschichte mit einer hübschen Stewardess scheint sich anzubahnen. Nur der auf seine eigene Beförderung wartende Sicherheitsoffizier kennt keine Gnade: Er entwickelt sich zu einer Art Nemesis, zu jeder Hinterlist bereit, um Victor das Leben schwer und das seine leichter zu machen.
Da ihm kein Flughafen erlauben wollte, den ohnehin schon hektischen Passagierbetrieb durch Filmaufnahmen in Unordnung zu bringen, ließ Spielberg die mehrstöckige Transit Lounge des JFK kurzerhand in einer ausrangierten Flugzeughalle detailgetreu nachbauen. Kameramann Janusz Kaminski entlockt der exotischen Lokalität Bilder von eiskalter Schönheit, aber auch von optischem Hintersinn, wie man sie im Kino nur selten antrifft. John Williams lässt all seine Neigung zu bombastischen Chor-Effekten fahren und vergnügt sich mit erstaunlicher Munterkeit an der musikalischen Illustration eines absurden, zunehmend komischeren Schicksals. Die Liste ließe sich fortsetzen, wie Spielberg wieder einmal der längst auf ihn eingeschworenen Mannschaft erstklassiger Mitarbeiter ihr Bestes abverlangt. Sogar Tom Hanks scheut sich nicht, auf seine lange zurückliegende Zeit als Komödiant Bezug zu nehmen. In seiner Interpretation ist Victor Navorski ebenso ein Nachfahre des über Nacht erwachsen gewordenen Zwölfjährigen aus „Big“ (fd 27 097) wie ein Seelenverwandter des modernen Robinson Crusoe aus „Cast Away“ (fd 34 654). Die Akteure mögen um der innewohnenden Komik willen einige Male zu oft auf dem frisch gewischten Boden der Lounge ausrutschen, doch die Eleganz, mit der sie es tun, kann ihnen niemand bestreiten.
Das größte Problem des Films stellt wieder einmal – wie oft bei Spielbergs Filmen – die Entwicklung der Story dar. Sie könnte Anlass für ein politisches Drama sein oder für eine Satire auf die Bürokratie, auf die Angst und Hysterie im Gefolge des 11. September. Sie besitzt aber auch das Zeug für eine psychologische Studie oder für ein Gesellschaftsdrama mit Beckettschen Qualitäten. Spielberg hat das sehr wohl wahrgenommen und offeriert ein bisschen von all dem – doch in der Form eines Ragouts, das weder dem einen noch dem anderen gerecht wird. Einen „exercise in Beckett lite“ hat ein amerikanischer Kritiker den Film genannt, aber auch das ist noch zu viel. Es ist eher ein „exercise in ‘A.I.’ lite“. Untergründig sind es nämlich dieselben Komplexe und Traumata, die beide Filme in Bewegung halten. Nur dass Spielberg diesmal darauf insistiert, alle Seelenkrämpfe beiseite zu drängen, um der Story von Verlorenheit und Ausgesetztsein einen heiteren Aspekt abzugewinnen. Letztlich erzählt er abermals die alte Spielberg-Fabel vom elternlosen Menschenkind, das nach einem Sinn und einer Heimat sucht und sich mühsam in einer fremden, feindseligen Welt zurechtfinden muss, um schließlich – wie im Märchen – am Ziel seiner Wünsche anzukommen. Wie immer ist denn auch in „Terminal“ das Ende das schwächste Glied in der Kette. Die Erdnussbüchse, die Victor wie ein wertvolles Kleinod hütet und die verraten könnte, was der Anlass für seine Reise nach New York gewesen ist, entpuppt sich als ein typisch Spielbergsches „Rosebud“.