Davids wundersame Welt

Drama | Großbritannien 2003 | 105 Minuten

Regie: Paul Morrison

Ein elfjähriger Cricket-begeisterter Junge, der mit seinen jüdischen Eltern in einer von Rassismus geprägten Londoner Arbeitersiedlung des Jahres 1960 lebt, schließt Freundschaft mit einem schwarzen Emigranten-Mädchen. Durch das gemeinsame Cricket-Training mit dessen Vater erfüllt sich der Junge seinen Traum vom Einsatz in der Schulmannschaft, gewinnt Selbstbewusstsein und findet den Mut, zu seinen diskriminierten Freunden zu stehen. Die sorgfältig ausgestattete, präzise und stimmungsvoll inszenierte und fotografierte Geschichte eines Heranwachsenden, die ebenso mitreißend humorvoll wie ernsthaft und glaubwürdig an Toleranz, Zivilcourage und Freundschaft appelliert, ohne in Larmoyanz oder Sentimentalität zu verfallen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
WONDROUS OBLIVION
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
N 1/APT Films
Regie
Paul Morrison
Buch
Paul Morrison
Kamera
Nina Kellgren
Musik
Ilona Sekacz
Schnitt
David Freeman
Darsteller
Sam Smith (David Wiseman) · Emily Woof (Ruth Wiseman) · Stanley Townsend (Victor Wiseman) · Delroy Lindo (Dennis Samuels) · Leonie Elliott (Judy Samuels)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (1:2.35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Die formalen wie thematischen Innovationen, die einst den italienischen Neorealismus, die französische Nouvelle Vague oder auch den „Neuen Deutschen Film“ prägten, sind längst Filmgeschichte und blitzen nur noch selten in den Werken heutiger Filmemacher auf. Die Nachkommen des englischen „Free Cinema“ indes haben die Traditionen nahezu ungebrochen fortgesetzt: Ken Loach und Mike Leigh etwa wurden zu würdigen Vertretern des Kinos von Tony Richardson, Karel Reisz oder Lindsay Anderson, und selbst wenn sich Regisseure wie Mark Herman („Brassed Off“, fd 32 785), Peter Cattaneo („Ganz oder gar nicht“, fd 32 818) oder Stephen Daldry („Billy Elliot“, fd 34 566) mehr einem breiteren Publikum zuwenden, verraten sie nie ihr soziales Anliegen an die plakativen Kommerzstrukturen des Mainstream-Kinos. Auch der bislang mit anspruchsvollen (Fernseh-)Dramen, Dokumentationen sowie einem für den „Oscar“ nominierten Spielfilm („Salomon & Gaenor“, 1999) bekannt gewordene Paul Morrison reiht sich mit seinem zweiten Kinofilm nahtlos in diese Tradition ein. Dabei greift „Davids wundersame Welt“ neben dem Kleine-Leute-Milieu ein weiteres typisch britisches Motiv auf: das seit Josef Loseys „Der Mittler“ (1971, fd 17 504) im Kino eher selten präsente Cricket-Spiel.

Dieses Sujet führt Morrison gleich im Titelvorspann spielerisch ein: Der elfjährige David Wiseman träumt von einer „Karriere“ in der Schulmannschaft, darf aber meistens nur die Anzeigetafel bedienen. David ist ein leidenschaftlicher Sammler von Cricket-Star- Bildern, und die erwachen im wahren Sinne des Wortes zum Leben, wenn er mit ihnen imaginäre Mannschaftsaufstellungen und Spielverläufe nachstellt. Sobald David seine Fantasiewelt verlässt, holt ihn indes der bittere Alltag ein: Er und seine aus Polen und Deutschland stammenden jüdischen Eltern Victor und Ruth sind ungelittene Fremde in der Arbeiter-Vorort-Siedlung im Süden Londons, denen man auch schon einmal einen Drohbrief unter der Tür durchschiebt. Man schreibt das Jahr 1960. Das Land hat eben erst eine mächtige Immigrationswelle aus den westindischen (Ex-)Kolonien hinter sich und musste die berüchtigten Rassenunruhen von Notting Hill verarbeiten. Als der afro-karibische Dennis Samuels mit seiner aus Jamaika nachgeholten Familie ins Nachbarhaus zieht, werden sie an Stelle der Wisemans zur Zielscheibe des täglichen Rassismus. Mit Staunen registriert David, dass Dennis seiner Tochter Judith im Garten einen CricketÜbungsplatz einrichtet. Fasziniert von Dennis’ sachkundigem Unterricht, setzt er sich über das Fraternisierungsverbot seiner Eltern („Du grüßt sie. Wenn du gefragt wirst, antwortest du. Wir haben nichts gegen sie, aber wir verkehren nicht mit ihnen“) hinweg, freundet sich mit dem etwa gleichaltrigen Mädchen an und lässt sich von Dennis trainieren. Davids Spielkünste und Selbstvertrauen machen langsam Fortschritte und sichern ihm tatsächlich einen Platz in der Schulmannschaft. Auch Ruth erliegt dem Charme des neuen Nachbarn, während Victor nur zögernd seine Vorurteile abstreift. Auf Davids Geburtstagsfeier kommt es zum Eklat, als er seine (weißen) Schulkameraden ein-, Judith aber auslädt. Fortan bleibt ihm die Tür zum Nachbarhaus verschlossen – für David bricht eine Welt zusammen. Erst nachdem ein Brandanschlag auf das Haus der Samuels verübt wird und sich Victor schützend vor die Einwanderer und gegen den rassistischen Brandstifter- Enkel einer Nachbarin stellt, findet auch David den Mut, sich zu entschuldigen. Die Versöhnung bei einem multikulturellen (Cricket-)Picknick – für das David sogar das Schul-Endspiel sausen lässt – wird zugleich zum Abschied: Die Wisemans haben beschlossen, in ein jüdisches Viertel zu ziehen, wo sie mehr Akzeptanz erwartet.

Obwohl „Davids wunderbare Welt“ zum größten Teil in den engen Zimmern und Hinterhöfen der ärmlichen Vorort-Reihenhäuser spielt, haben Paul Morrison und seine Kamerafrau Nina Kellgren ein visuelles Konzept entwickelt, das vor allem durch den Einsatz des CinemaScope-Formats die Räume öffnet und eine für ein Kammerspiel ungewöhnliche Dynamik entwickelt. Die ausgeklügelte Farb- und Lichtdramaturgie entspricht adäquat der Stimmungslage, mit der das Innenleben der Protagonisten eingefangen wird: gedeckte Farben in bedrückender häuslicher Atmosphäre, die mit Davids steigendem Selbstbewusstsein und „Erwachsenwerden“ immer heller werden und in den Cricket-Spielszenen, wenn sich sein Traum vom akzeptierten Mitspieler erfüllt, zu strahlen scheinen. Auch die Musik nimmt ebenso subtil wie mitreißend die Veränderungen der Zeit auf, wechselt von Calypso zu Ska und Rock, paraphrasiert sogar das Charles-Mingus-Thema „Meditations on Integration“. Die auffälligste Qualität des bis ins kleinste Detail stimmungsvoll und liebevoll ausgestatteten Films ist, dass es Paul Morrison versteht, das auf den ersten Blick problemüberladen erscheinende Drehbuch durch die straffe Inszenierung und die ökonomische Bildauflösung in jeder Sequenz auf den Punkt zu bringen. Alle Themen des Films – die Rolle der Emigranten, das Weitergeben sozialen Drucks innerhalb gesellschaftlicher Randgruppen, Freundschaft, Liebe, Verstehen, Toleranz, Akzeptanz, Zivilcourage und auch der Mut, zu seinen Fehlern zu stehen – werden sinnfällig in den ruhigen Erzählrhythmus integriert. Mit am deutlichsten zeigt sich dies in jener eindrucksvollen Szene, als Ruth Dennis ihre aus sexueller Frustration geborene Zuneigung mit einigen Gesten und Blicken zeigt, wobei Emily Woof wunderbar subtil die Balance von Verlangen und Zärtlichkeit wahrt. Auch Sam Smith spielt glaubwürdig den an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend wandelnden David. Seine „Natürlichkeit“ überträgt sich auf alle anderen Darsteller, die, gleich ob sympathisch oder unsympathisch gezeichnet, nie glorifiziert oder denunziert werden.

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