Davids wundersame Welt
Drama | Großbritannien 2003 | 105 Minuten
Regie: Paul Morrison
Filmdaten
- Originaltitel
- WONDROUS OBLIVION
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- N 1/APT Films
- Regie
- Paul Morrison
- Buch
- Paul Morrison
- Kamera
- Nina Kellgren
- Musik
- Ilona Sekacz
- Schnitt
- David Freeman
- Darsteller
- Sam Smith (David Wiseman) · Emily Woof (Ruth Wiseman) · Stanley Townsend (Victor Wiseman) · Delroy Lindo (Dennis Samuels) · Leonie Elliott (Judy Samuels)
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 10.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Dieses Sujet führt Morrison gleich im Titelvorspann spielerisch ein: Der elfjährige David Wiseman träumt von einer „Karriere“ in der Schulmannschaft, darf aber meistens nur die Anzeigetafel bedienen. David ist ein leidenschaftlicher Sammler von Cricket-Star- Bildern, und die erwachen im wahren Sinne des Wortes zum Leben, wenn er mit ihnen imaginäre Mannschaftsaufstellungen und Spielverläufe nachstellt. Sobald David seine Fantasiewelt verlässt, holt ihn indes der bittere Alltag ein: Er und seine aus Polen und Deutschland stammenden jüdischen Eltern Victor und Ruth sind ungelittene Fremde in der Arbeiter-Vorort-Siedlung im Süden Londons, denen man auch schon einmal einen Drohbrief unter der Tür durchschiebt. Man schreibt das Jahr 1960. Das Land hat eben erst eine mächtige Immigrationswelle aus den westindischen (Ex-)Kolonien hinter sich und musste die berüchtigten Rassenunruhen von Notting Hill verarbeiten. Als der afro-karibische Dennis Samuels mit seiner aus Jamaika nachgeholten Familie ins Nachbarhaus zieht, werden sie an Stelle der Wisemans zur Zielscheibe des täglichen Rassismus. Mit Staunen registriert David, dass Dennis seiner Tochter Judith im Garten einen CricketÜbungsplatz einrichtet. Fasziniert von Dennis’ sachkundigem Unterricht, setzt er sich über das Fraternisierungsverbot seiner Eltern („Du grüßt sie. Wenn du gefragt wirst, antwortest du. Wir haben nichts gegen sie, aber wir verkehren nicht mit ihnen“) hinweg, freundet sich mit dem etwa gleichaltrigen Mädchen an und lässt sich von Dennis trainieren. Davids Spielkünste und Selbstvertrauen machen langsam Fortschritte und sichern ihm tatsächlich einen Platz in der Schulmannschaft. Auch Ruth erliegt dem Charme des neuen Nachbarn, während Victor nur zögernd seine Vorurteile abstreift. Auf Davids Geburtstagsfeier kommt es zum Eklat, als er seine (weißen) Schulkameraden ein-, Judith aber auslädt. Fortan bleibt ihm die Tür zum Nachbarhaus verschlossen – für David bricht eine Welt zusammen. Erst nachdem ein Brandanschlag auf das Haus der Samuels verübt wird und sich Victor schützend vor die Einwanderer und gegen den rassistischen Brandstifter- Enkel einer Nachbarin stellt, findet auch David den Mut, sich zu entschuldigen. Die Versöhnung bei einem multikulturellen (Cricket-)Picknick – für das David sogar das Schul-Endspiel sausen lässt – wird zugleich zum Abschied: Die Wisemans haben beschlossen, in ein jüdisches Viertel zu ziehen, wo sie mehr Akzeptanz erwartet.
Obwohl „Davids wunderbare Welt“ zum größten Teil in den engen Zimmern und Hinterhöfen der ärmlichen Vorort-Reihenhäuser spielt, haben Paul Morrison und seine Kamerafrau Nina Kellgren ein visuelles Konzept entwickelt, das vor allem durch den Einsatz des CinemaScope-Formats die Räume öffnet und eine für ein Kammerspiel ungewöhnliche Dynamik entwickelt. Die ausgeklügelte Farb- und Lichtdramaturgie entspricht adäquat der Stimmungslage, mit der das Innenleben der Protagonisten eingefangen wird: gedeckte Farben in bedrückender häuslicher Atmosphäre, die mit Davids steigendem Selbstbewusstsein und „Erwachsenwerden“ immer heller werden und in den Cricket-Spielszenen, wenn sich sein Traum vom akzeptierten Mitspieler erfüllt, zu strahlen scheinen. Auch die Musik nimmt ebenso subtil wie mitreißend die Veränderungen der Zeit auf, wechselt von Calypso zu Ska und Rock, paraphrasiert sogar das Charles-Mingus-Thema „Meditations on Integration“. Die auffälligste Qualität des bis ins kleinste Detail stimmungsvoll und liebevoll ausgestatteten Films ist, dass es Paul Morrison versteht, das auf den ersten Blick problemüberladen erscheinende Drehbuch durch die straffe Inszenierung und die ökonomische Bildauflösung in jeder Sequenz auf den Punkt zu bringen. Alle Themen des Films – die Rolle der Emigranten, das Weitergeben sozialen Drucks innerhalb gesellschaftlicher Randgruppen, Freundschaft, Liebe, Verstehen, Toleranz, Akzeptanz, Zivilcourage und auch der Mut, zu seinen Fehlern zu stehen – werden sinnfällig in den ruhigen Erzählrhythmus integriert. Mit am deutlichsten zeigt sich dies in jener eindrucksvollen Szene, als Ruth Dennis ihre aus sexueller Frustration geborene Zuneigung mit einigen Gesten und Blicken zeigt, wobei Emily Woof wunderbar subtil die Balance von Verlangen und Zärtlichkeit wahrt. Auch Sam Smith spielt glaubwürdig den an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend wandelnden David. Seine „Natürlichkeit“ überträgt sich auf alle anderen Darsteller, die, gleich ob sympathisch oder unsympathisch gezeichnet, nie glorifiziert oder denunziert werden.