Die Spielwütigen
Dokumentarfilm | Deutschland 1996-2004 | 108 Minuten
Regie: Andres Veiel
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1996-2004
- Produktionsfirma
- Journal Film
- Regie
- Andres Veiel
- Buch
- Andres Veiel
- Kamera
- Hans Rombach · Lutz Reitemeier · Johann Feindt · Jörg Jeshel · Rainer Hoffmann
- Musik
- Jan Tilman Schade
- Schnitt
- Inge Schneider
- Darsteller
- Constanze Becker · Karina Plachetka · Stephanie Stremler · Prodromos Antoniadis
- Länge
- 108 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Sieben Jahre lang hat Andres Veiel („Black Box BRD“, fd 34 861) die vier Protagonisten begleitet, sie an bestimmten Wegmarken ihrer beruflichen Entwicklung beobachtet und – stets getrennt voneinander – befragt. Nach dem Prolog folgen die Fahrt nach Berlin, die Nerven aufreibende Aufnahmeprüfung (bei der Stephanie durchfällt, sodass sie erst ein Jahr später bei einem nochmaligen Versuch reüssiert), der Umzug als äußeres Zeichen der Abnabelung, dann vier Jahre der knochenharten Ausbildung. Jeder der vier sehr unterschiedlichen und doch in ihrer tiefen Ernsthaftigkeit unsichtbar miteinander verbundenen jungen Menschen reagiert anders auf den immensen Druck, und doch zeigen sich Parallelen: im ungläubigen Staunen, zu der kleinen „Elite“ zu gehören, die es aus 1000 Bewerbern geschafft hat; in der anfänglichen Unruhe, sich wortwörtlich fallen lassen zu müssen, um die Ausbildung anzunehmen und zu verinnerlichen; in den sich häufenden Enttäuschungen und Rückschlägen, die zu Selbstzweifel, aber auch zu Wut auf die Lehrer sowie zu Renitenz und Gegenwehr führen. Es ist ein permanenter Kampf ums Geben und Nehmen: Was nehme ich an? Was gebe ich preis und, vor allem, was gebe ich von mir auf?
Andres Veiels so genannte Langzeitdokumentation hat wohltuender Weise nichts mit der modischen Sendeform des „Reality TV“ gemein. Aus dem „natürlichen“ Zwang der Verdichtung des Materials über vier Persönlichkeiten aus sieben Jahren auf Kinofilmlänge entwickelt der Regisseur vielmehr eine sehr persönliche Aufbereitungsform, die deutlich mit der Organisation eines narrativen Spielfilms verwandt ist – in der Tat „inszeniert“ Veiel Initiationsgeschichten, er erzählt, pointiert und dramatisiert, schafft Emotionen und Spannung vor allem mit Hilfe der virtuosen Montage und geht gelegentlich sogar so weit0, die dokumentarischen Sequenzen durch deutlich nachgestellte Szenen zu rhythmisieren. So löst er beispielsweise die anstrengenden Probearbeiten in schnelle Schnitt- Gegenschnitt-Folgen auf, die einerseits den anonymen Kontrollraum, besetzt mit strengen Theaterlehrern, registrieren, andererseits den auf der Bühne „ausgelieferten“ Eleven ganz nahe rücken: ihrem Gesicht, ihren Augen oder ihren Händen, die von Erschöpfung und stiller Verzweiflung, manchmal auch von Ratlosigkeit und drohender Resignation sprechen. Dabei ist es vor allem der behutsamen und sensiblen Inszenierungskunst Veiels zu verdanken, dass man den vier „Spielwütigen“ über Details, Indizien und Spuren nahekommt, ihre jeweilige Befindlichkeit immer auch „modellhaft“ liest, nie aber akademisch und theoretisch. Ganz im Gegenteil: Kaum könnte ein Krimi spannender sein, kaum könnte ein Melodram tiefer berühren als Veiels Beobachtungen der vier jungen Menschen, denen man schon bald ebenso viel Respekt wie Zuneigung entgegenbringt.
Ganz am Ende, wenn die Schule beendet ist und die ersten Engagements angenommen werden (oder auch nicht, wie am Fall von Prodomos, der sich mit neuem, schwer erarbeitetem Selbstbewusstsein auf den Weg nach New York macht), erlaubt sich Veiel ein kurzes Flashback zurück ins Jahr 1997 und bringt Anfang und (vorläufiges) Ziel zusammen. Verblüfft und beeindruckt registriert man die äußeren Veränderungen der „Spielwütigen“, ihre neue Reife. Ob sie glücklich sind? Ja, irgendwie schon, doch die Zeit zum Innezuhalten, ja, zum Leben überhaupt, die steht wohl noch aus. Viele Träume wurden verwirklicht, manche Wunden werden bleiben. Unvergesslich etwa Stephanies ganz kurzer Blick des „Absturzes“, als sie inmitten des Glücks ihrer Hochzeit in Israel das komplette Unverständnis ihrer Eltern erkennt – das Leben als höchst spannendes Drama.