Der Anfang ist eine schöne doppelbödige Pointe: Einige Berliner Studenten jobben in der Telefonzentrale eines Meinungsforschungsinstituts und müssen ihren Gesprächspartnern demoskopisch auswertbare Informationen entlocken. Als ein junger Mann gefeuert wird, weil er private Telefongespräche führt, erklärt sich sein Freund solidarisch mit ihm, und für einen kurzen Moment kommt so etwas wie Rebellion, Widerstand und Solidarität auf – freilich nur als Pose, als Reminiszenz an eine frühere, politisch aktivere Studenten-Ära. Dazu passt der Titel von Martin Gypkens bemerkenswertem Erstlingswerk, einem ambitionierten Ensemblefilm, der ähnlich pointiert auf einen Widerspruch hinweist: Denn von einem Wir-Gefühl kann bei den jungen Frauen und Männern Mitte 20, die sich mal spielerisch-naiv, mal verbissen-verzweifelt zwischen Leben und Lieben nach Perspektiven umsehen, überhaupt nicht die Rede sein. Immer wieder setzt Gypkens (geb. 1969) auf solche erhellenden Kontraste, während er den Betrachter in einer weiten spiralförmigen Bewegung in seinen filmischen Reigen hineinzieht und gleich mit einer ganzen Truppe höchst individualistischer junger Menschen vertraut macht. Sein Blick hat dabei nichts trocken „Demoskopisches“ – Gypkens hält sich an die Devise der unbekümmerten Studentin Anke, die keine Ahnung hat, was „soziologisches Argumentieren“ sein könnte, weshalb sie den Studiengang wechselt, um dann auch nicht zu wissen, was sie mit Psychologie anfangen soll, und so bei der Theater- und Filmwissenschaft landet. Das soll nicht heißen, das Gypkens’ Haltung unverbindlich und konturarm sei, ganz im Gegenteil. Sie verweist aber auf die unverkrampfte Art, mit der sich hier ein junger Filmemacher an ein bestechendes Coming-of-Age-Porträt heranmacht und erzählerisch souverän Gefühle, Stimmungen und Atmosphären auslotet. Es ist das Patchwork eines Sommers in Berlin: Die Wege von zehn jungen Leute kreuzen sich, gehen ein Stück gemeinsam, mal enger, mal verbindlicher, mal höchst intensiv. Zu Beginn stößt der naive, enthusiastische Florian aus Aachen neu dazu, weil er ein Architekturstudium beginnt und mit Glück ein Zimmer in der Wohngemeinschaft von Anke und Judith ergattert. Während Ankes Leben von einigen Seminaren, vielen Partys und entsprechend hohem Schlafbedarf diktiert wird, leidet Judith höllisch an ihrer Beziehung zum unzuverlässigen Carsten, der sich lieber auf unverbindliche „Quickies“ mit beiderlei Geschlecht einlässt, als sich fester an Judith zu binden. Ausgerechnet Pit, Florians ehemaliger Kumpel aus Schülertagen, verliebt sich in Carsten und macht ihm mit Geschenken und sexueller Hingabe den Hof. Auf einer der Partys lernt Florian den Filmstudenten Till und dessen attraktive Freundin Petronella kennen, die in einer heruntergekommenen Lagerhalle im Osten Berlins eine Künstlerwerkstatt für Metallskulpturen betreibt. Dass die beiden die einzige feste und heile Beziehung unter allen zu führen scheinen, hindert Florian nicht daran, sich in Petronella zu verlieben. Diese geht sogar darauf ein und beginnt eine heimliche Affäre mit ihm, während Till und sein Drehbuchautor Andreas vor der heiklen Aufgabe stehen, endlich ein Filmprojekt auf Förderung einzureichen. Zwischen Liebe und Betrug, Einsamkeit und Sehnsucht, Halt- und Orientierungslosigkeit dreht sich das Karussell immer schneller. Entscheidungen fallen, man redet und diskutiert, sucht und testet, schlägt neue Wege ein, um mit den Sorgen, den fehlenden Perspektiven und dem Liebeskummer fertig zu werden. Allmählich aber gerät dieses fragile Gefüge aus der Balance – die Dinge spitzen sich zu, es kommt zu einer Katastrophe.
Andreas, der überforderte Drehbuchautor, bringt in einem lichten Moment die Wahrheit auf den Punkt: Er brauche einfach mehr Zeit, Zeit für sich und seine Entwicklung, um sich klar zu werden, was er denn wirklich will und sich zutraut. Dieses Zeitproblem nagt an allen Beteiligten dieses stilsicher eingefangenen Generationenporträts, in dem so viele kreative, lebensfrohe und Energie geladene junge Menschen an ihren Unsicherheiten und Ängsten zu zerbrechen drohen. In einer Zeit, die ihnen alle Freiheiten zu eigenen Entscheidungen lässt, verpuffen diese in immer hohler werdenden Aufbruchsfantasien, die Gypkens mit Charme und Witz, aber auch mit deutlicher Melancholie nachzeichnet. Viel Partystimmung erweist sich als pure Attitüde: „Nimm mich mit – auf das Abenteuer Leben“, heißt es in einem Song, doch es dies ist ein existenzielles Abenteuer, auf das die zunehmend Ernüchterten nicht annähernd vorbereitet waren. Einfühlsam und präzise, ernsthaft, aber nie dogmatisch oder rechthaberisch „schmiegt“ sich Gypkens regelrecht an seine Figuren, bringt ihnen viel Sympathie und Verständnis, aber auch eine gewisse Härte und Strenge entgegen. Mit Scope-Bildern, die ebenso urbane Weite wie stimmige Intimität atmen, schafft er ihnen Platz und Freiräume, in denen sie sich ausdrücken und auszuleben können, wobei es ein kleines Wunder ist, wie souverän die jungen Darsteller dies für glaubwürdige Porträts zu nutzen wissen, die fesseln und anrühren. Gerade dieses Wechselbad der Emotionen, der „drastischen“ Alltagserfassung wie der poetischen Überhöhung gelingt eindrucksvoll – als intensives Destillat einer im Kern ungebrochenen Lust am Leben, das trotz allem stets ein höchst lohnenswertes Abenteuer bleibt.