Die ersten Bilder des Films rufen mittels kurzer Schnipsel den Terror des 11. September 2001 in Erinnerung und prägen dadurch den übrigen Verlauf der Geschichte. Eine Freundschaft ist zerbrochen, die zwischen einem Berliner Studenten und einem aus dem Jemen stammenden Kommilitonen. Rückblenden erzählen die Vorgeschichte: Chris hat Yunes bei sich einziehen lassen, weil er ein Zimmer übrig hatte, und die beiden haben sich auf Anhieb blendend verstanden. Dann hat sich Yunes mit einer „Islam-AG“ eingelassen, sich einen Bart und mittelalterliche Ansichten wachsen lassen, woraufhin die Freundschaft zu Chris deutlich abkühlte, und schließlich, kurz vor dem Tag, der die Welt veränderte, ist Yunes untergetaucht. Am Tag nach dem 11. September sah man auf Kölns Straßen traurige und verzweifelte Türken, die sich gegenseitig eine „Bild“-Zeitung mit dem ganzseitigen Foto von Mohammed Atta, dem Anführer der Selbstmordattentäter zeigten, über dem geschrieben stand: „Mohammed der Massenmörder“. Bekanntlich ist Mohammed nicht nur ein weltweit verbreiteter Vorname unter moslemischen Männern, sondern im Islam auch der Name des Propheten. Was „Bild“ wieder einmal nährte, waren dumpfe Pauschal- und Vorurteile gegen Andersdenkende und Minderheiten, vor allem aber gegen eine Religion, die man nun ungestraft ins Visier nehmen konnte – und die sich seither tatsächlich den Vorwurf einer angeblich immanenten Mordlust gefallen lassen muss. Zahllose auch nichtmoslemische Gutmenschen hielten in der Folge dagegen, aber das nutzte wenig. Regisseur Elmar Fischer und Drehbuchautor Tobias Kniebe (letzterer bekannt als Filmkritiker der „Süddeutschen Zeitung“) stimmten nicht ein in den Chor derjenigen, die, politisch korrekt, den Islam als Religion des Friedens preisen, sondern sie nahmen die sich ausbreitende Stimmung aus Vorbehalten und Angst ernst und übertrugen sie auf ein Alltagsszenario. Wie würde man in der Situation, in der sich Chris befindet, entscheiden? Rationale wie emotionale Gründe sprechen ebenso für Yunes wie gegen ihn: der fleißige Student, der sich zum Islamisten entwickelt und danach scheinbar wieder normal ist – genau so verhielten sich die Al-Kaida-Attentäter auch. Andererseits: Ist jeder Mann aus einem islamischen Land, der in seiner Jugend eine religiöse Phase durchmacht und dann von der Bildfläche verschwindet, automatisch ein eiskalter Terrorist und vieltausendfacher Mörder? Chris wehrt sich lange gegen die Argumente seiner Freundin Julia, die ihn erst nachdenklich machen, denn er will sie einfach nicht wahrhaben. Gerade diesen Prozess zwischen aufbrausender Ablehnung aller Verdächtigungen und stiller Zweifel, dieses zentrale Moment, das die Geschichte allgemeingültig macht, gelingt den Filmemachern auf brillante Weise.
Am Ende ist es nur der Glaube an das potenziell Gute, das Chris davon abhält, sich ganz auf die Seite der Vorverurteilenden zu stellen. Die Verwirrung der Gefühle schlägt sich auch auf die Erzählweise nieder und wird umgekehrt von dieser genährt. In einer raffiniert verschachtelten Struktur gerät der Zeitfluss zwischen Vergangenheit und Gegenwart aus den Fugen, wird die Zeit vor und nach dem schrecklichen, historischen Datum noch einmal in Epochen unterteilt, die immer beides in sich tragen: die menschlich anrührende Seite des schüchternen Freundes und die irritierenden, manchmal abstoßenden Momente des unbekannten Fremden. Einen großen Anteil daran haben die beiden Schauspieler Antonio Wannek und Navid Akhavan; besonders Akhavans Spannweite nimmt beachtliche Ausmaße an: Die Wandlungen von Yunes’ Persönlichkeit wirken sich bei dem aus dem Iran stammenden Schauspieler bis auf die Physis aus. So gelingt diesem kleinen Film, was dem groß angelegten Omnibus-Film zum Thema, „11’09“01 – September 11“ (fd 35 706), trotz großer Namen nur sehr bedingt gelungen ist: eine ebenso anrührende wie intellektuell reife Auseinandersetzung mit einem mit menschlichem Maß kaum zu bewältigenden Albtraum.