Dokumentarfilm | Deutschland 2003 | 97 Minuten

Regie: Uli Stelzner

Ein Porträt des lateinamerikanischen Anwalts und Linksaktivisten Alfonso Bauer, der sich auch im Alter von 84 Jahren noch für die Ideale des Sozialismus, eine gerechtere Gesellschaftsordnung und die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzt. Weit entfernt von linker Votiv-Malerei und revolutionärer Ikonen-Bildung, bietet der Dokumentarfilm eine faszinierende Lebensgeschichte, die die jüngere Geschichte Guatemalas und Lateinamerikas spiegelt. Eine eindrucksvolle Annäherung an einen engagierten Lebensweg, dem mitunter auch das Glück der eigenen Familie geopfert wurde. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
ISKA
Regie
Uli Stelzner · Thomas Walther
Buch
Uli Stelzner · Thomas Walther
Kamera
Thomas Walther
Musik
Tito Medina · Paulo Alvarado
Schnitt
Uli Stelzner · Thomas Walther
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Wahlkampf in Guatemala, die ersten freien Wahlen nach langen Jahren der Diktatur. Durch die Hauptstadt marschiert ein Demonstrationszug des neuen Linksbündnisses „Alianza Nueva Nación“. Mitten im Geschehen ein alter Mann, zäh und schlank: Alfonso Bauer ist Anwalt, 84 Jahre alt und immer noch vom Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen besessen. Der Sozialismus wurde für ihn in Jahrzehnten zum wichtigsten Lebensinhalt: „Ich glaube, er und andere Freunde haben den Marxismus romantisiert, aber der Marxismus erwartet von einem, dass man sich kritisch mit ihm auseinandersetzt“, charakterisiert ihn ein Weggefährte. „Testamento“ zeigt über die bewegte Biografie des Anwalts viel Unbekanntes oder in Vergessenheit Geratenes aus der turbulenten Geschichte des lateinamerikanischen Subkontinents; die Geschichte seiner Risse und seiner sozialen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1944, der Sturz der Diktatur in Guatemala, Revolution und Landreform, die Drohgebärden der US-amerikanischen „United Fruit Company“ und schließlich die bewaffnete Intervention der USA in Guatemala, die dem demokratischen und sozialen Aufbruch des kleinen mittelamerikanischen Staates ein Ende setzte und Alfonso Bauer in sein erstes Exil zwang – nach Mexiko, wo er den jungen argentinischen Arzt Ernesto Guevara kennenlernt. Später zwingt ihn ein neues Exil, Zuflucht im sozialistischen Kuba Guevaras und Castros zu suchen, dann im Chile Salvador Allendes und schließlich im Nicaragua der Sandinisten – eine Art fliegender Holländer auf der Suche nach gerechteren sozialen Verhältnissen auf dem ausgebeuteten Subkontinent. Etwa in seinem Engagement für die Rechte der indigenen Bevölkerung in Guatemala und anderswo, gegen die Apartheid der weißen Oberschicht, der er auch angehört; in seinem Traum von einem „multikulturellen Amerika“, das nicht mehr ausschließlich von den Erben der ehemaligen Kolonisatoren beherrscht wird.

„Testamento“ zeigt einen willensstarken und nachdenklichen alten Mann, der unermüdlich getrieben wird, immer in Bewegung Bewegung ist; politisch, geistig intellektuell, aber auch in der physischen Bewegung: die langen Bahnen im Schwimmbad, Dauerlauf, Spaziergänge. Er ist ein zorniger alter Mann, aber auch beharrlich; immer wieder wurde er von Militär und Todesschwadronen verfolgt, ist ein zäher Kämpfer, der häufig bereits errungen Geglaubtes wie ein Kartenhaus einstürzen sah. Ein Mann, der Verfolgung jeglicher Art erlebte, auf der Liste der „zum Abschuss“ freigegebenen Staatsfeinde stand und um ein Haar sein Leben bei einem Mordanschlag verlor. „Testamento“ zeigt kein demokratisch-parlamentarisches Happy End, sondern den fortwährenden Kampf eines Einzelnen gegen die ewige Wiederkehr der Ungerechtigkeit – wenn etwa aus den Wahlen in Guatemala der ehemalige Diktator als Staatschef hervorgeht, wird Alfonso Bauer als Abgeordneter weiterkämpfen, zornig und beharrlich. Der Film zeichnet ein vielschichtiges Bild des alten Aktivisten, zeigt aber auch den Freimaurer Alfonso Bauer, der die Welt des großen Baumeisters nicht als transzendentes Konstrukt, sondern als Aufforderung zum Handeln verstanden wissen will. Auch Privates wird thematisiert: Bauer im Freundes- und Familienkreis, der in seinen faltigen Händen mit einer roten Nelke spielt.

„Testamento“ ist weit entfernt von linker Votiv-Malerei und revolutionärer Ikonen-Bildung. Im Gespräch mit seinen Kindern wird immer wieder deutlich, dass dem kontinuierlichen und leidenschaftlichen Engagement des Vaters Bauer für eine bessere Welt teilweise die eigene Familie geopfert wurde. Er hat vier seiner Kinder überlebt, und sein Sohn kann sich nur an eine bewegte Kindheit zwischen Flucht und Angst erinnern, sah, wie sein Schwager auf offener Straße von Militärs ermordet wurde, erlebte den Selbstmord einer Schwester und den Krebstod der anderen. „Testamento“ ist keine abstrakte Geschichtsstunde, sondern vermittelt die jüngere Geschichte Guatemalas und Lateinamerikas eindrucksvoll durch die Nachzeichnung eines konkreten Lebensweges. Dabei gelingt durch eine Kamera, die nah bei den Protagonisten bleibt, ein dichtes Porträt der Personen. Über diesen persönlichen Bezug wird die absurde Gegenwart des zentralamerikanischen Landes einmal mehr deutlich: nach Jahren der Massaker an der indigenen Bevölkerung sitzen die Verantwortlichen heute im Parlament, regiert der ehemalige Militärdiktator Efraím Rios Montt als „demokratischer“ Präsident. „Testamento“ ist ein faszinierendes Mosaik dieser Widersprüche, Gegenwart und Vergangenheit sind aufs Engste miteinander verzahnt; ein Dokumentarfilm, der über die faszinierende Lebensgeschichte Bauers hinaus einen komplexen Ausschnitt lateinamerikanischer Geschichte vermittelt.

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