Einen Fotografen und seine Freundin, ein Model, verschlägt es in den kalifornischen Joshua Tree Nationalpark in der Mojave Wüste. In der nahezu menschenleeren Landschaft durchlebt das Paar, zwischen dem beunruhigende Sprachlosigkeit herrscht und das auch in der wild zelebrierten Sexualität nicht zu wirklicher Nähe findet, ein Abgleiten in eine existenzielle Einsamkeit - bis die "Zivilisation" gewaltsam über sie hereinbricht. Karge, pessimistisch-kühle Betrachtung der conditio humana, deren Regisseur es dem Zuschauer überlässt, die Leerstellen des Films philosophisch zu füllen. (O.m.d.U.)
Twentynine Palms
- | Frankreich/Deutschland 2003 | 119 Minuten
Regie: Bruno Dumont
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Filmdaten
- Originaltitel
- TWENTYNINE PALMS
- Produktionsland
- Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- 3B Prod./The 7thFloor/Thoke Moebius Film
- Regie
- Bruno Dumont
- Buch
- Bruno Dumont
- Kamera
- Georges Lechaptois
- Musik
- Takashi Hirayasu · Bob Brozman
- Schnitt
- Dominique Petrot
- Darsteller
- Katia Golubeva (Katia) · David Wissak (David)
- Länge
- 119 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 18 (DVD)
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Cinema, hat man einst formuliert, das sei „a girl and a gun“. Im Falle von „Twentynine Palms“ könnte dies – nur etwas komplizierter – bedeuten: Ein Mann, eine Frau, Sex, ein vager Auftrag, die Wüste, ein „Hummer“-Geländewagen – und am Schluss ein Baseballschläger, ein Messer und dann wieder die Wüste. Bruno Dumont, dem das Kino Sozialdramen wie „La vie de Jésus“ (fd 33 347) oder „L’Humanité“ (fd 34 181) verdankt, deren Titel professionell und durchaus überzeugend suggerierten, hierin gehe es um um Verallgemeinerbares, um Weiterungen ins Soziale oder Religiöse, hat sich mit „Twentynine Palms“ in die kalifornische Wüste begeben, um dort (s)eine dunkle Version der Liebesutopie von Antonionis „Zabriskie Point“ (fd 16 960) zu drehen. „Twentynine Palms“ begleitet ein junges Paar auf den Stationen einer tödlichen Drift. Der Amerikaner David ist Fotograf und offenbar als „location scout“ unterwegs. Er wird von seiner Geliebten Katia begleitet, die französisch mit russischem Akzent spricht. Es wäre eine Untertreibung, die Beziehung des Paares gewöhnungsbedürftig zu nennen. Man spricht nicht nur verschiedene Sprachen, sondern hat sich außerdem nichts zu sagen. Wenn Katia mitunter so etwas wie einen privilegierten Zugang zur Psyche des Partners einfordert, wenn sie etwa fragt, was ihr Gegenüber denn gerade so denke, beschwört sie lediglich eine schroffe Abfuhr herauf. Weil sich das Paar am Rande der Zivilisation bewegt, dürfen dafür andere Entäußerungen gerne „elementar“ ausfallen. Wenn David sagt, er würde Katia gerne mal beim Urinieren zusehen, dann übernimmt die Kamera diese Arbeit für den Zuschauer. Sieht „super“ aus, hat Wim Wenders aber in „Paris, Texas“ (fd 24 765) durchaus radikaler gezeigt. Auch der ausgiebig zelebrierte Sex gibt sich gern wild und leidenschaftlich, wobei Davids Gebrüll beim Orgasmus im Kinosaal für gute Laune sorgt. Hier wird also Banalstes mit der großen Geste der Provokation zelebriert, wobei es dem Zuschauer überlassen bleibt, dem Film eine metaphysische Lesart unterzuschieben. Man ist Zeuge der Regression eines Paares, das sein Heil in der Sexualität sucht, weshalb dem Film in dieser Hinsicht tatsächlich Momente eines quälenden Horrorfilms eigen sind. Glücklicherweise eröffnet „Twentynine Palms“ auch monumentale Blicke auf die Wüstenlandschaft. Und siehe da: Die Natur stehet da und schweiget. Andererseits gibt es auch die menschlichen Siedlungen am Rande der Wüste: Motels, Shopping-Center, Swimming-Pools – diese Ansichten tragen Züge der Pop-Art der 1960er-Jahre, erinnert an Bilder von David Hockney oder an Antonionis „Zabriskie Point“, der im Gegensatz zu „Twentynine Palms“ die bessere Musik hatte. Doch es geht hier nicht um die Utopie eines psychedelischen „Love-Ins“ im Death Valley, sondern eher um ein forciertes Ennui in Echtzeit. Man ahnt, dass die umfassende Reduktion von „Twentynine Palms“ auf einen wohlmeinenden Betrachter setzt, der die Leerstellen des Films mit kulturkritischen Reflexionen wahlweise über Amerika, die Sexualität oder gar die menschliche Existenz füllt. Um eine solche Arbeit zu initiieren, lässt Dumont in der letzten Viertelstunde des Films den Knüppel aus dem Sack, insofern sich die dumpf-brütende Aggressivität der Paarbeziehung gesellschaftlich verallgemeinert. In einer erzählerischen Volte greift die Zivilisation auf das Paar zu, sortiert die Geschlechterrollen neu und mündet in eine Folge von Gewaltakten von fast kathartischer Wirkung. Was den 2003 entstandenen Film in eine Reihe mit anderen Grenzgängern wie „Irreversible“ (fd 36 120) oder „Trouble Every Day“ zu stellen schien, sich aus der zeitlichen Distanz aber wie ein fataler Irrtum ausnimmt. „Twentynine Palms“ ist auf jeder Ebene – der Darstellung von Sexualität und Gewalt und der Vortäuschung philosophischen Gehalts – bloß spekulativ. Was bleibt, ist wenig mehr als die Wüste.
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