- | Tschechien 2001 | 98 Minuten

Regie: Bohdan Sláma

In einem Dorf im Norden Mährens plätschert der ereignislose Alltag zwischen Tristesse und Alkohol dahin. Selbst das Leben der jungen Generation steckt zwischen Hilflosigkeit und Langeweile fest. Das ändert sich, als ein junger Mann zum Feuerwehrball in die Siedlung zurückkehrt. Liebevoll beobachtete Milieustudie, die das Lebensgefühl der Nachwendezeit ebenso pointiert wie authentisch beschreibt und hinter der pittoresken Oberfläche poetische Qualitäten aufweist. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DIVOKÉ VCELY
Produktionsland
Tschechien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Cineart TV
Regie
Bohdan Sláma
Buch
Bohdan Sláma
Kamera
Divis Marek
Musik
Miroslav Simácek
Schnitt
Jan Danhel
Darsteller
Tatiana Vilhelmová (Bozka) · Zdenek Rauser (Kaja) · Pavel Liska (Lada) · Marek Daniel (Petr) · Vanda Hybnerová (Jana)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Die alte „Neue Welle“ ist tot. Gibt es eine neue „Neue Welle“? Oft wird das Schlagwort für die Generation der „Samtenen Revolution“ im tschechischen Kino in Anspruch genommen, was nahe liegt und nicht verkehrt ist. Denn die meisten Werke der 1990er-Jahre verraten thematisch und ästhetisch tatsächlich eine Nähe zu den subversiven Eckpfeilern der Väter- (und Mütter-)Generation. Ob in der Präzision ihrer Beobachtung, der Bemühung um eine authentische Wirklichkeitserfassung und einer detailgenauen Alltagsschilderung oder beim Blick auf die Absurdität des Normalen bis hin zum Fantastischen und Surrealen: Ihr von verschrobenem Witz und bodenständigem Humor geprägter Umgang mit aktuellen Lebensgeschichten und überkommenen Legenden des tschechoslowakischen Kinos lässt Jan Sverak, Sascha Gedeon, Jan Hrebejk, Petr Zelenka und jüngst auch Bohdan Sláma wie legitime Erben der „Neuen Welle“ erscheinen. Selbst wenn ihre Filme zwangsläufig nicht mehr die politische Brisanz ihrer Vorbilder erreichen, sind sie international nicht minder erfolgreich. Nach dem „Oscar“ für Sveraks „Kolya“ (fd 32 638) und der „Oscar“-Nominierung für Hrebejks „Wir müssen zusammenhalten“ (fd 35 320) räumten Sascha Gedeon mit „Die Rückkehr des Idioten“ (fd 34 351), Petr Zelenka mit „Knoflikari“ und Bohdan Sláma mit „Wilde Bienen“ Hauptpreise bei den Festivals in Rotterdam, Cottbus und San Francisco wichtige Preise ab. In ihrer Heimat avancierten ihre Filme durch das Beharren auf eigene Geschichten und die kulturelle Identität sogar zu Kassenhits. Was diese Filmemacher, allesamt zwischen Anfang und Mitte 30, im osteuropäischen Vergleich auszeichnet, ist die Fortentwicklung eigener Traditionen innerhalb einer privatisierten Filmlandschaft zu einem attraktiven Autorenkino mit wiedererkennbaren ironisch-poetischen Zügen, das vor allem von einem jungen Publikum goutiert wird. Für skurrilen Realismus in der Nachfolge von Milos Forman steht Bohdan Slámas bitter-komisches Sittenbild einer Dorfgemeinschaft. In einer gottverlassenen Gegend im Norden Mährens plätschert der Alltag dahin zwischen der Arbeit in einem Forstkollektiv und dem Gang in die Kneipe, wo die einen ihr Geld an einen einarmigen Banditen verlieren, während die anderen die Tristesse mit Hochprozentigem bekämpfen. Vierzig Jahre Kommunismus haben nur Hilflosigkeit und Langeweile hinterlassen, gegen die man mit Alkohol und derbem Humor anzukämpfen versucht. So lebt auch Kaja, der Sohn des selbsternannten Dorfphilosophen, sehr zum Unmut seines Vaters ziellos in den Tag hinein. Der junge, schüchterne Feldarbeiter hat ein Auge auf die lebenshungrige Bozka geworfen, die in einem Kiosk arbeitet. Da ihre Mutter für Geld mit verheirateten Männern ins Bett steigt, trifft sie der Zorn der Bigotten im Ort. Außerdem hat Bozka einen Verehrer, den Michael-Jackson-Imitator Lada, der gerade ein Haus baut und, wenn es nach ihrer Mutter ginge, die beste Partie weit und breit abgeben würde. Ladas hinterwäldlerische Identifikation mit dem amerikanischen Idol geht soweit, dass er Bozka eines Tages zwingt, Pepsi statt Bier zu trinken. Als Kajas Bruder Petr unerwartet in die Siedlung zurückkehrt, spitzen sich die Ereignisse beim alljährlichen Feuerwehrball zu. Liebevoll beobachtet, grotesk und berührend zugleich erzählt Sláma – wie sein großes Vorbild Forman – von einfachen Menschen und ihren verborgenen Sehnsüchten, wobei er den banalen Dorfalltag und die profanen Beziehungen in den Mittelpunkt rückt. Schräge Typen, witzige Dialoge und das unverbrauchte Spiel der Akteure verdichten sich in Nebensträngen und über mehrere Generationen hinweg zu einer exemplarischen Milieustudie, die in der Durchschnittlichkeit geschilderter Ereignisse beinahe dokumentarischen Charakter gewinnt und an Formans „Der schwarze Peter“ (fd 13 500) oder Ivan Passers „Intime Beleuchtung“ (fd 15 292) denken lässt. Der Intimrealismus der „Neuen Welle“ feiert seine Wiedergeburt, ohne dass die Treffsicherheit in der Zeichnung der kleinbürgerlichen Verhältnisse etwas eingebüßt hätte. Selten ist das Lebensgefühl der Nachwendezeit in der von der urbanen Geschäftigkeit abgeschnittenen Provinz echter und unspektakulärer beschrieben worden. Sláma nutzt den pointierten Alltagsrealismus aber nicht nur methodisch, um die Wirklichkeit unter die Lupe zu nehmen. Er lässt es nicht bei einer Hommage an Milos Formans Gesellschaftssatire „Der Feuerwehrball“ (fd 16 817) bewenden, als sich bei Tanz und Tombola die aufgestauten Emotionen Bahn brechen und die Beziehungen der Protagonisten zueinander ändern. Hinter der pittoresken Oberfläche weist sein Debütfilm vielmehr auch poetische Qualitäten auf. Denn seine Helden wissen um die Gegebenheiten ihrer Umwelt, aus deren Enge ihnen für gewisse Stunden ein emotionaler Ausbruch gelingt.
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