African Blues - Je chanterai pour toi

- | Mali 2001 | 80 Minuten

Regie: Jacques Sarasin

Filmisches Porträt des schwarzafrikanischen Musikers Boubacar "KarKar" Traoré, den der Regisseur auf seine Reise quer durch Mali begleitet. Aus Ansichten eines früheren Lebens, aus der Musik und den Berichten von Freunden, die in der Rückschau die Lebensgeschichte des Musikers erzählen, entstand eine brillant gefilmte und montierte Mischung aus Road Movie und Künstlerporträt. Dem Land, dem Blues und ein Stück weit dem Wesen des Künstlers auf der Spur, vergibt der Film trotz einfühlsamer Intentionen allerdings die Chance, Traoré selbst zu Wort kommen zu lassen, und liefert ein vor allem retrospektiv anrührendes Porträt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AFRICAN BLUES - JE CHANTERAI POUR TOI
Produktionsland
Mali
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Les Productions Faire Bleu
Regie
Jacques Sarasin · Jacques Sarasin
Buch
Jacques Sarasin
Kamera
Stéphan Oriach
Musik
Boubacar Traoré
Schnitt
Bernard Josse
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Diskussion
Das diesjährige Filmfestival in Locarno widmete dem Jazz-Film eine Retrospektive; mit Ungeduld wird Wim Wenders’ in Cannes außer Konkurrenz vorgestelltes Bluesporträt „The Soul of a Man“ erwartet, und auch Venedig steht ganz im Zeichen des Blues; dort soll die Fortsetzung der von Martin Scorsese produzierten Blues- Reihe unter anderem mit Mike Figgis’ „Red, White and Blues“ präsentiert werden. Vier Jahre nach „Buena Vista Social Club“ (fd 33 721) haben Musikerfilme scheinbar weltweit Konjunktur. Deshalb liegt wohl Jacques Sarasins Arbeit im Trend, wenngleich ihr Interesse dem Blues und dem Bilderkosmos Afrikas gilt.

Boubacar ‚KarKar’ Traoré sitzt auf dem Bett; die Gitarre auf den Schenkeln hält er umschlungen wie eine Geliebte. Sein altersloses Gesicht liegt auf dem Rand des Instruments. Fast sieht es aus, als würde er schlafen, aber er singt. Die Kamera hat derweil Zeit, die alten Fotos und Plakate an der Wand zu inspizieren, die einen hochgewachsenen Schwarzen mit karierter Mütze zeigen. Warm und weich klingt seine Stimme, und sanft fließen die Melodien, die KarKar mit zwei Fingern auf der Akustikgitarre zupft: Mali Blues. In ihrem Buch „Mali Blues. Ein afrikanisches Tagebuch“ hat die belgische Journalistin Lieve Jovis die Lebensgeschichte des heute 63- jährigen Musikers populär gemacht. Inspiriert von Traorés Musik und Jovis Reisebericht, stellt Jacques Sarasin in seinem ersten langen Dokumentarfilm die afrikanische Musiklegende jetzt vor.

Wie Lieve Jovis Mitte der 1990er- Jahre folgt Sarasin Traoré quer durch Mali, von Kayes im Norden bis zur Hauptstadt Bamako, von Mopti am Niger bis hinauf nach Timbuktu. Die Musik ist ständig präsent, dängt sich aber nie in den Vordergrund. Landschaftsbilder, alte Fotos und Berichte von Freunden bilden ein variantenreiches Patchwork, für das ein begeisterter Jonathan Demme, der den Film 2002 auf dem New Yorker Filmfestival vorstellte, die Patenschaft übernommen hat. Die Kamera bewegt sich langsam und fließend wie Traorés Musik. Sorgenvoll blicken beispielsweise die Emigranten, die Sarasin in einer französischen Herberge aufspürt, in die Kamera. Abgeklärte Gesichter und Impressionen von der Arbeit, die der Mali-Blues zum Sprechen bringt. Im vollbesetzten Zugabteil, am Straßenrand oder auf dem Schiff auf dem Niger sitzt Traoré umringt von seinen Landsleuten und singt. Immer wieder schweift die Kamera ab, schwenkt auf Gesichter, Landschaften, Straßenszenen oder Frauen, die Hirse stampfen. Vom Rocker, vom Schneider, vom einfachen Markthändler und vom Bauarbeiter in der französischen Emigration erzählt Traoré, von den Stationen seiner wechselvollen Lebensgeschichte andere. Sarasin lässt Boubacars Freunde von Erfolgen und Rückschlägen und wie er damit fertig wurde berichten. Von der Halbtotalen nähert sich Stéphan Oriachs Kamera den Erzählenden bis zum close up, was manchmal fast an eine Götzenverehrung erinnert, vor allem dann, wenn die Kamera die Erzähler aus der Untersicht aufnimmt und damit der Legende visuell zu viel Pathos verpasst. Wenn Traoré und sein Kollege Ali Farka Touré im traditionellen Männergewand, dem Boubou, singend und mit den Gitarren in den Händen auf die Kamera zu gehen, weicht Oriachs Optik ehrfurchtsvoll zurück. Und weil die Szene so gut gelingt, können sich die beiden Gefilmten ein Lachen nicht verkneifen.

Der Fotograf Malik Sidibé hat den Jugendkult Malis kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Anfang der 1960er-Jahre in Bildern festgehalten. Seine Fotos bilden einen Kontrast zur alles durchdringenden Melancholie des übrigen Films. Die zerschlissenen Fotos zeigen das Leben in den Grins, den damals populären Clubs. Als eine Art afrikanischer Elvis machte Traoré seinerzeit im Radio mit dem „Mali Twist“ Furore, in dem er Malis Jugend zum Aufbau des Landes aufrief. Ruhig und ernst fließt Sarasins Film, fließen die Berichte vom Rocker der 1960er-Jahre, fließen die Bilder und der Niger dahin. Genauso ernst und ruhig wie die Lieder, in denen vom Verlust des Bruders und der geliebten Frau, Pierrette, die Rede ist. Auf dem Friedhof inszeniert Sarasin Traorés Trauer mit einer Geste. Mit beiden Händen weit geöffnet, sitzt er am Grab und vergräbt schließlich sein Gesicht in den Händen. Ob sich so die Persönlichkeit des Musikers ergründen lässt? Mit solchen Posen kommt „African Blues“ über die von Lieve Jovis beschriebene Legende nur schwerlich hinaus. Trotz seiner Melancholie wirkt Boubacar Traoré präsent und angenehm zurückhaltend zugleich. Die Musik und die Bilder rühren gleichermaßen an, aber man hätte gern etwas mehr über den Mann hinter der Legende und den KarKar von heute erfahren.

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