Eine Frau schreibt einen Roman, womöglich einen Kriminalroman. Punkt. Das ist bereits die ganze Geschichte von „Swimming Pool“, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Für einen spannenden Kinofilm im Prinzip eine absolut aussichtslose Grundlage: die stets ungesicherte Annahme eines Ereignisses, einer Begegnung, eines Verbrechens. Nichts ist sicher, alles nur erzählt, ein permanentes Fabulieren über eine Idee. Gerade deshalb kommt es darauf an, wie diese Idee umgesetzt wird, mit welcher Intensität und mit welcher Raffinesse daraus eine (filmische) Erzählung wird, das Resultat einer (be-)zwingenden Fantasie. Ozon wirft einen Kieselstein ins Wasser und beobachtet die Ringe, die entstehen. So beginnt er zu fabulieren: Er schafft eine Gestalt, die er – stellvertretend für sich selbst – ihrerseits fabulieren lässt. Zu Beginn fällt sein Blick – wieder einmal – aufs Wasser, das sich als ein Fluss erweist: die Themse. Ausgangsort ist London, eine Stadt, mit der man UBahn, Trenchcoat, Regen, Pubs – und erfolgreiche Kriminalliteratur verbindet. So begegnet man – fast zwangsläufig – der Erfolgsautorin Sarah Morton in der Subway, als sie von einem Fan erkannt und angesprochen wird. Abweisend reagiert sie mit der programmatischen Replik: „Ich bin nicht die, für die Sie mich halten!“ Offensichtlich peinlich berührt von solch öffentlicher „Enttarnung“, flüchtet Sarah in einen Pub und bestellt Whisky. Übergibt ihr Ozon hier bereits den Staffelstab? Sitzt Sarah ab jetzt eigentlich nur noch in diesem Pub und ersinnt das Folgende allein in ihrem Kopf?
Oder ergreift ihre literarische Fantasie erst dann die Kontrolle, als ihr ihr Verleger Charles Dance sein französisches Landhaus offeriert, damit sie dort ungestört ihren überfälligen, heiß ersehnten neuen Roman schreibt? Dann bliebe Sarah womöglich daheim bei ihrem alten Vater, wo die Geschichte mit Blick auf den Londoner Regen Gestalt annimmt. Oder wechselt die Perspektive vielleicht doch erst im warmen Süden, als Sarah unter dem Eindruck der stillen, einsamen Idylle neue Glücksgefühle fern der heimatlichen Erfolgs- und Lebenszwänge empfindet und demonstrativ den Bildschirm ihres Laptops hochklappt? Dort dringt die junge, ebenso attraktive wie dubiose Tochter des Verlegers, Julie, in Sarahs mediterranen Elfenbeinturm und sorgt für permanente Unruhe. Doch: Ist Julie „echt“? Oder vielleicht „nur“ der Gestalt gewordene literarische Katalysator, an dem sich Sarah ab nun permanent reibt, im Ringen um schöpferische Kraft und Inspiration? Die beiden in Alter, Habitus und Lebenseinstellung grundverschiedenen Frauen umkreisen sich, ziehen sich an, stoßen sich ab, stören sich, entdecken sich und die andere, werden Teil eines symbiotischen Systems. Schließlich legt Sarah erneut ihre Finger auf die Computertastatur und „kreiert“ einen neuen Ordner: „Julie“.
Julie führt fortan ein Eigenleben, das jedoch nur in dem Maße „funktioniert“, wie Sarah sich ihrer eigenen Gedankenund Gefühlswelt öffnet – es entwickelt sich ein (Traum-)Spiel um Begehrlichkeiten, um Erotik, Sinnesfreuden, um leibliche wie seelische Genüsse: Essen, Trinken, Sex. Dabei geht es auch um ein Herantasten an Grenzen, um das Überschreiten von Moralvorstellungen, das Ausloten mancher Spielarten zwischen verklemmter Prüderie und ziellosem Hedonismus. Sarah betreibt ein kokettes Spiel mit dem Tabubruch, bis zum (literarischen) „Skandal“ – und bis zum Mord an einem Mann. „Warum hast du ihn umgebracht?“, fragt Sarah, und Julie antwortet: „Für Dich. Für das Buch.“ Eine Antwort, die nur auf einer „höheren“ Ebene Sinn macht – nämlich dann, wenn Julie weiß, dass sie eine literarische Fantasiegestalt ist. Doch kann dies sein? Oder ist nicht alles ganz anders? Denn auch Julie schreibt immer wieder etwas auf, und einmal zeigt sie Ozon so, als sei sie es, die alle filmischen wie erzählerischen Mittel „dirigieren“ würde: Julie schreibt, sie bestimmt das Einsetzen der Filmmusik – und schaltet sie ab, indem sie den Lichtschalter betätigt und dem Film seine Essenz nimmt: das Licht.
Nichts ist sicher, und daraus erwächst die große innere Spannung dieses Films, der in seiner Fabulierfreude ebenso inspiriert wie in seiner sinnlich- intimen Hinwendung zu Lebenshaltungen und -einstellungen. Ozon fesselt zudem einmal mehr als versierter Frauenregisseur“, der seine eindrucksvolle Studie „Unter dem Sand“
(fd 35 132) um ein weiteres abgründiges Vexierspiel (erneut mit Charlotte Rampling) ergänzt: weniger ernsthaft, dafür aber zirzensischer und in der Konsequenz nicht minder tiefgründig, um existenzielle Fragen, um Daseinsansprüche und Lebensbedürfnisse, vor allem auch um Ängste und Krisen kreisend. „8 Frauen“
(fd 35 480) mit seinem lustvoll-kriminalistischen Hintergrund (inklusive des spekulierten Mords) lässt ebenfalls grüßen. Dabei vollzieht Ozon deutlich einen Paradigmenwechsel: weg von seiner Bezugnahme auf Agatha Christie und deren „Das Böse unter der Sonne“, hin zu Patricia Highsmith und „Nur die Sonne war Zeuge“; weg vom dekorativ-ornamentalen „Whodunit“-Plot hin zum seelisch abgründigen Spiel um Hypothesen und Vorstellungen, die bereits Hitchcock an Highsmiths „Der Fremde im Zug“ faszinierten. In ihrem erzählerischen Kosmos ist womöglich alles nur Betrug, doch man kennt im Voraus nie die Konsequenzen, die aus den Illusionen und dem plötzlichen Wirklichkeitsverlust erwachsen.
Bei Highsmith wie bei Ozon kann der Ton dabei beides sein: spöttisch und nachdenklich, doppelbödig ist er in jedem Fall. Einmal bekennt Sarah gegenüber Julie: „Wenn jemand einen wichtigen Teil seines Lebens für sich behält, ist das faszinierend – und beängstigend.“ Ein Satz, der ebenso gut in einem von Highsmiths Tom-Ripley- Romanen stehen könnte – vor allem in „Der Junge, der Ripley folgte“, der Ozon deutlich als Inspirationsquelle diente, auch wenn er die Männer- in Frauenrollen umwandelt und daraus eine ganz eigene Spannung bezieht. Das souveräne Jonglieren mit kleinen und kleinsten Spannungsbögen, den Sinn für Konkretes, Details und Schauplätze als Sinnbilder für tiefenpsychologische Schichten: all das teilen Ozon und Highsmith. Allein wie er den titelgebenden Pool als handlungstragendes und sinnstiftendes Element einbezieht, wäre eine Geschichte für sich. Zunächst, bei Sarahs Ankunft: eine abgedeckte Fläche. Ein „Tümpel voller Bakterien“, den Sarah nicht mag, weil er voller Blätter ist. Dann das Eintauchen von Julie, der rätselhaften Schönheit, unter den Blättern hinweg. Schließlich wird der Pool – auch gedanklich – gereinigt, sodass Sarah selbst eintaucht, die Dinge quasi in ihre Hände nimmt. Plötzlich ist der Pool teilweise wieder abgedeckt, unter der Plane eine Erhebung – eine Leiche? Nein, vielmehr taucht ein weiteres Symbol auf: eine rote Luftmatratze. So könnte man weiter fabulieren, fantasieren, spintisieren: „Swimming Pool“ ist ebenso anregend wie delikat, ein Genuss für Augen und Intellekt.