Ausgehend von Virginia Woolfs Roman "Mrs. Dalloway", werden die Geschichten dreier Frauen entfaltet, die zwar zu verschiedenen Zeiten leben, deren Schicksale aber durch das Buch, das einen Tag im Leben einer Frau beschreibt, miteinander verwoben sind. Ein äußerst kunstvoll gestalteter und von überzeugenden Darstellerinnen getragener Film, der weibliche Pflichterfüllung und -verweigerung sowie das Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern thematisiert. Dabei wird keine Episode schablonenhaft behandelt, vielmehr wird die grundlegende Problematik bis in die Nebenfiguren durchbuchstabiert.
- Sehenswert ab 16.
The Hours - Von Ewigkeit zu Ewigkeit
- | USA 2002 | 115 Minuten
Regie: Stephen Daldry
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE HOURS
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Miramax/Paramount
- Regie
- Stephen Daldry
- Buch
- David Hare
- Kamera
- Seamus McGarvey
- Musik
- Philip Glass
- Schnitt
- Peter Boyle
- Darsteller
- Meryl Streep (Clarissa Vaughan) · Nicole Kidman (Virginia Woolf) · Julianne Moore (Laura Brown) · Stephen Dillane (Leonard Wollf) · Miranda Richardson (Vanessa Bell)
- Länge
- 115 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
London, 1921: Kettenrauchend kämpft Virginia Woolf mit den schwierigen ersten Sätzen ihres neuen Romans „Mrs. Dalloway“ – und mit ihren Depressionen. Ihr Mann Leonhard unterstützt sie bei beidem mit sorgender Strenge, kann aber doch nicht verhindern, dass sie sich eines Tages aus Angst vor neuerlichen Krankheitsschüben das Leben nimmt. 30 Jahre später: Laura, Ehefrau und Mutter im Florida der 50er-Jahre, wandelt wie betäubt durch ihr eintöniges Leben und entscheidet sich nach der Lektüre von „Mrs. Dalloway“, aus eben diesem Leben zu verschwinden. Ein zweiter Zeitsprung ins moderne New York der Jahrtausendwende: Clarissa hat die Aufgabe übernommen, ein Essen für ihren AIDS-kranken Freund Richard zu geben, der gerade einen wichtigen Literaturpreis erhalten hat. Sie versucht, ihrer so oft erprobten Gastgeberrolle zu entsprechen und gleichzeitig Richards versiegenden Lebenswillen zu retten. Sein Kosename für sie: „Mrs. Dalloway“.
Die drei Frauen aus drei Zeiten an drei Orten sind durch Virginia Woolfs Roman aufs engste miteinander verflochten. Dieser war zuletzt 1997 mit Vanessa Redgrave verfilmt worden (fd 32 715) und erzählt von einer Frau in mittleren Jahren, die innerhalb eines einzigen Tages ihr Leben Revue passieren lässt und es auf Lügen und Fehlentscheidungen hinterfragt. Weit davon entfernt, simple Parallelfälle von Frauenschicksalen zu erzählen, variiert „The Hours“ erfindungsreich die literarische Gestalt der Mrs. Dalloway. Virginia Woolf und ihre Autorenschaft spielen einen aktiven Part in diesem filmischen Tryptichon, dessen Autor David Hare hochdekoriert ist und selbst schon Regie geführt hat („Wetherby“, fd 25 397). Der Film wurde bereits mit Preisen überschüttet („Silberner Bär“ für die Schauspielerinnen; „Golden Globes“), „Oscars“ werden vermutlich folgen. Die als unverfilmbar geltende Romanvorlage von Michael Cunningham gewann den Pulitzerpreis.
Jede der Geschichten beginnt mit einem Frühstück, gefolgt von komplizierten Dinner- oder Geburtstagsvorbereitungen, einem Innehalten im Ritual und einem Ausbruchsversuch; dann endet der Tag mit traurigen Erkenntnissen, dass erst Zerstörung und Tod einen Menschen wieder aufwecken können. Die Frau in der Rolle der Gastgeberin und Haushälterin – Clarissa perfektioniert sie, Laura versagt darin, Virginia verweigert sich ihr – zieht sich durch den Film. Auch fühlt sich jede Person an die nächste gebunden – Leonhard an Virginia, Clarissa an den Ex-Geliebten Richard. Es ist ein einsamer und trister Kampf um „das Beste für den anderen“, der „The Hours“ zu einem Planspiel macht – über die Krisenzone zwischen Liebe, Fürsorge und erdrückender Pflicht. Für Laura mag das besonders schlimm sein: Sie ist für Mann und Kind da, weil sie muss. Und sie tut es wie aufgezogen, gänzlich ohne Liebe. Eine depressive Pflichterfüllerin, die nicht einmal einen Kuchen backen kann und weniger souverän erscheint als ihr kleiner Sohn. In dieser leisen Verschiebung der Dominanz tut sich ein Bruch auf, der sich fortsetzt: Keine der Episoden lässt sich als Schablone auf die andere legen, da gleiche Rollen zwischen den Geschlechtern und den Milieus einfach umverteilt werden. Leonhards diktatorisches Verständnis für seine kranke Frau ähnelt Clarissas schwungvoller Gängelung Richards. Das reicht wie in Endlosperspektive bis in die Nebenfiguren, wie in einem Spiegelkabinett der Schicksale, die sich gegenseitig reflektieren; ab und an steht auch ein Bild auf dem Kopf. Dass sich in drei Zeitaltern seit Virginia Woolf der persönliche Freiraum der Frauen enorm verändert hat, spielt keine Rolle, denn die Verstrickung in Schuld und Pflicht wird immer dieselbe bleiben. Bis in die kleinste Geste, die flüchtigste Szene fixiert der atemberaubende Schnitt gerade zu Beginn des Films die Verbindungen – um sie später überraschend wieder zu verwischen. Die Spannung erhält sich bis zum Schluss; und das Geheimnis seiner Geschichten behält der Film glücklicherweise sehr lange für sich.
Es kann kaum jemand unberührt lassen, wie kunstvoll dieser Film gestrickt ist, der eigentlich nur von Erkenntnis handelt – und von den drei Wegen, damit umzugehen. Trotz der wunderbaren Schauspielerinnen lässt es die Bewunderung für dieses Konstrukt manchmal allerdings an Gefühl für die Figuren fehlen, und man wünscht sich, Julianne Moore hätte das Spiel einer seelischen Erstarrung nicht ganz so wörtlich genommen. Zum Schluss steht ein Kuss zwischen Clarissa und ihrer Lebensgefährtin, wie zuvor schon zwischen Laura und ihrer Nachbarin, Virginia und ihrer Schwester. Weniger eine Referenz an Woolfs Bisexualität als vielmehr die Sehnsucht nach Kraft und Energie liegt in diesen Frauenküssen, eine Wiederbelebung und die Flucht nach vorn.
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