Faites vos Jeux

- | Deutschland 2002 | Ca. 90 Minuten

Regie: Boris Zaweah Frentzel-Beyme

Experimentelles, auf audiovisuelle Wirkung angelegtes Video, das found footage, Nachrichten-, Privatfilm-, Kinofilm-, Werbespot-, Fernsehserien- und Spielshow-Schnipsel zu einem anspielungsreichen Bilderrätsel verarbeitet. Durch konsequente Nachbearbeitung auf dem Schichtträger hinterlässt die Filmgestaltung einen geschlossenen Eindruck. Trotz der wirren, kaum nachvollziehbaren Rahmenhandlung gelingt es dem mit vielen Spielfilmzitaten bestückten Film über die gesamte Dauer zu unterhalten und mit den Erinnerungsbildern aus rund 30 Jahren Fernsehgeschichte die mediale Selbstreflexion in Gang zu halten.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Filmgruppe Chaos
Regie
Boris Zaweah Frentzel-Beyme · Karsten Weber · Lepke B. · Martina Stache · Reinhard Bräuer
Länge
Ca. 90 Minuten
Kinostart
-

Diskussion
In Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ (fd 17 806) starrt Alex (Malcolm McDowell) in der sogenannten Ludovico-Therapie mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Kamera. Kopf und Körper sind auf einem Kinostuhl festgeschnallt; die Lider werden von Zangen aufgehalten, sodass er die Augen nicht schließen kann. Einer Art Sehzwang fühlt sich auch der Zuschauer in „Faites vos Jeux“ ausgesetzt, der diese Szene mit schnellen, im vorwärts treibendem Rhythmus vielschichtig über einander gelegten Bildern zitiert. Abgefilmte Leinwände und Bildschirme fliegen durch den Raum. Medienwirksam multiplizierte Filmanfänge, Credits und Firmenlogos. „Faites vos Jeux“ spielt mit fiktionalen und authentischen Filmelementen. Es beginnt mit Privatvideos – ein kleines Kind sitzt in einem alten Kinderwagen – und endet mit Schreckensbildern von sich erschießenden Männern – wie Christopher Penn in Abel Ferraras „Das Begräbnis“ (fd 32 174). Zwischen Wiege und Bahre entwirft die Kieler Filmgruppe Chaos ein Panoptikum des experimentellen Films. Split Screens, die wie fliegende Teppiche über die Leinwand jagen, Versatzstücke aus Nachrichten, Privatfilmen, Werbespots, Fernsehserien und Spielshows:; nichts ist den Machern dieses „found footage“- Bilderrätsels heilig. Eine im Filmbild verhackstückte und mit audio-visuellen Effekten überzogene Welt, zusammengefügt nicht in einer abstrakten Sinfonie, sondern in einer abendfüllenden Galerie mit Bildwitz und gesellschaftskritischen Anspielungen. Fast 20 Musiker haben an diesem Musikvideo in Spielfilmlänge mitgewirkt. Eine „neue Form des Unterhaltungsfilms“ haben die Kieler Gruppe, die AKAS-Crew („Alles könnte anders sein“) aus Bremen und die Copyright Violation Squad kompiliert. Natürlich digital via Internetverbindungen quer über den Globus zwischen Kiel und Australien. „Die gemeinsame Begeisterung, das herrschende Copyright anzugreifen, in den Medien zu wildern, und all das experimentell zusammenzufrickeln, brachte die unterschiedlichen Beteiligten zur unbezahlten Zusammenarbeit“, lässt das Kollektiv verlauten. Da schlagen sich die Gäste in einer amerikanischen Talkshow und reißen sich büschelweise die Haare aus. Showmaster Rudi Carrell defiliert auf einem Fließband, in einer Disco zucken Leiber in filmisch animiertem Wiederholungszwang. Nachrichtenbilder von Demonstranten und prügelnden Polizisten, die RAF im Gerichtssaal, Bomber, Armeen, die in den Krieg ziehen, dazwischen Ausschnitte aus Cronenbergs „Crash“. King Kong macht sich neben den Bildern von der Freiheitsstatue und den rauchenden Twin Towers an einem Hochhaus zu schaffen, während George Bushs „Either you were with us or with the terrorists“ John Wayne in den Mund gelegt wird. Nachrichtenbilder überblenden wechselweise mit Szenen aus Fritz Langs „Metropolis“. „Ich lebe in einer Welt voll Scheiße“, kommentiert eine Off-Stimme diese Mixtur aus Politik und Unterhaltung. Das gibt alles keinen festgelegten Sinn, zeugt aber von einem subversiv anspielungsreichen Gestaltungswillen, der dem Zuschauer einiges zumutet. „Faites vos jeux“ gehört zum Genre der Montage-Filme und handelt von einer Baustelle mit Material aus 30 Jahren Film- und Fernsehgeschichte. Schockierend wirkt beispielsweise der Vergleich von Filmszenen von sich erschießenden Männern mit authentischen Fernsehbildern von einem Autor, der sich nach einer Lesung tatsächlich erschoss. Erinnerungsbilder dringen ins Bewusstsein; die ‚Rahmenhandlung‘eines jungen Poeten, der sich am Ende erschießt, geht indes im Bildgeflacker unter. Der „überdimensionale Videoclip“ entstand nach den Prinzipien des Trash. Mit billigster Soft- und Freeware geschnitten, wurde das Ganze auf 16-mm aufgeblasen; beim Film-Scratching rückten die Macher dem Schichtträger mit Messern, Skalpell, Chemikalien und Filzstiften auf den Leib. Der Ton wurde, wie beim Stummfilm mit Musik, aufs Bild komponiert, nicht umgekehrt – die Bilder auf den Ton – wie beim Videoclip. Fazit: Das ist zwar alles nicht neu, aber politisch fundiert, so als wollten die Film-Chaoten sich Walter Benjamins Diktum vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ zu eigen machen. Demnach wird „das reproduzierte Kunstwerk in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegtes Kunstwerkes.“ Mit den Filmzitaten ist hier sicher so verfahren worden. Experimentell, künstlerisch, witzig und bis in den Abspann zynisch kommentiert. Da erscheint das Copyright © auf einem kleinen, gemalten Bombensymbol und zerplatzt in der Filmanimation vor dem Hintergrund der roten Roben der bundesrepbulikanischen Verfassungsrichter.
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