Jugendfilm | Deutschland/Schweiz 2000 | 98 Minuten

Regie: Ulla Wagner

Deutschland im Jahr 1961: Eine alleinerziehende Mutter, die den Vater ihrer beiden Kinder für tot erklärt, verfällt in ihrer verzweifelten Suche nach Liebe immer mehr dem Alkohol. Ihre elfjährige Tochter, die selbst gerade erste Liebesgefühle entdeckt, kümmert sich um den Haushalt und macht sich nach dem Tod der Mutter auf die Suche nach ihrem Vater. Präzise entwickelte und einfühlsam inszenierte Geschichte über die Sehnsucht nach Glück, die durch das grandiose Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen überzeugt und fern jeder nostalgischen Verklärung einen stimmungsvollen Blick in die 60er-Jahre wirft. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ANNA WUNDER
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Pandora/WDR/arte
Regie
Ulla Wagner
Buch
Ulla Wagner
Kamera
Jolanta Dylewska
Musik
Thomas Osterhoff
Schnitt
Lilo Gerber
Darsteller
Alice Deekeling (Anna) · Renée Soutendijk (Sophie) · Stephan Dellgrün (Rolli) · Filip Peeters (Fritz) · Götz Schubert (Franz)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Jugendfilm | Drama
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IMDb | TMDB

Diskussion
Auf den Hofer Filmtagen 2000 entdeckt, zu vielen Festivals eingeladen und in Vancouver 2001 mit dem Preis der Jugend-Jury ausgezeichnet, hat das Spielfilmdebüt von Ulla Wagner nun doch einen Weg in die Kinos gefunden. Leicht wird es „Annas Wunder“ in der Konkurrenz mit trendigen Teenie- Komödien à la „Mädchen, Mädchen“ (fd 34 779) und aktuellen Jugenddramen wie „Fickende Fische“ (fd 35 542) nicht haben, verlangt der Film, der zu Beginn der 60er-Jahre spielt, doch ein gewisses Abstraktionsvermögen und die Bereitschaft, sich auf diese Zeit einzulassen. Während im Fernsehen Konrad Adenauer vor der sozialistischen Planwirtschaft warnt und aus der Musik-Box „Am Tag, als der Regen kam“ trällert, macht sich die vom Wirtschaftswunder vergessene Sophie wieder einmal zum Gespött der Kneipengäste. Zu Hause führt längst ihre 11-jährige Tochter Anna das Kommando, die sich um ihre alkoholsüchtige Mutter und den kleinen Bruder Rolli kümmert. Sophie zerbricht langsam an ihrer unerfüllten Liebe zu Annas Vater Fritz, den sie ihren Kindern gegenüber für tot erklärt hat. Ihr Nachbar Franz, Fritzs Bruder, wirbt heftig um Sophie, die ihn jedoch immer wieder zurückweist. Als sich die Situation zuspitzt und die Familie von der Zwangsräumung bedroht ist, bittet Anna Franz um Hilfe. Doch Sophie lehnt ab und zieht mit ihrer Familie lieber in eine Sozialwohnung am Stadtrand. Kurz bevor sie ganz den Boden unter den Füßen verliert und in die Psychiatrie eingeliefert wird, gesteht sie Anna, dass ihr Vater lebt – irgendwo in Frankreich. Nach dem Entzug hegt sie noch einmal Hoffnung, doch eine Karte von Fritz zerstört alle Illusionen: er wird endgültig nicht zurückkommen. Sophie verliert daraufhin alle Kraft zum Leben. Nach ihrem Tod wird Rolli bei Pflegeeltern untergebracht, während Anna beim ungeliebten Onkel einziehen soll. Statt dessen aber macht sich das Mädchen auf die Suche nach ihrem Vater, findet ihn auch und wird mit einer überraschenden Wahrheit konfrontiert.

Es sind zwei Gesichter, die den Film von den ersten Einstellungen an bestimmen: das nach Innen hineinhörende, melancholisch- fragende Antlitz der Newcomerin Alice Deekeling und das von Verzweiflung und Sinnlichkeit geradezu berstende der grandiosen Renée Soutendijk. Sie geben den Rhythmus der Geschichte vor: die hysterische Unberechenbarkeit der Alkoholikerin gegen die Gelassenheit eines viel zu früh mit Verantwortung überlasteten Kindes. Beide verzehren sich vor Sehnsucht: die eine nach Glück, die andere nach dem Vater, und beide verbindet eine Hass-Liebe zu Franz. Doch während der einen das Leben aus den Händen gleitet, packt die andere zu und erfüllt sich ihren Traum. Ulla Wagner erzählt diese Geschichte in vielen kleinen, prägnant entwickelten Szenen, die nicht ausgewalzt werden, sondern vom Zuschauer selbst gefüllt werden müssen. Das macht diese Reise in die Innenwelt der Personen und in die Außenwelt der jungen Republik so spannend. Dabei achtet die Inszenierung umsichtig darauf, dass beide, Mutter und Tochter, nicht gegeneinander ausgespielt werden: Beider Schicksale gehen auf unsentimantale Weise nahe. Man erleidet Sophies Verzweiflung mit, wenn sie wider besseren Wissens verspricht, mit dem Trinken aufzuhören; man spürt Annas unbeholfene Zärtlichkeit der erwachenden Sexualität, wenn ihr jugendlicher Verehrer Mickey ihr den ersten Kuss raubt. Die Liebe zum Detail spiegelt sich in der sorgfältigen Ausstattung, dem stimmungsvollen Soundtrack und der kunstfertigen Lichtund Farbdramaturgie von Yolanta Dylewska, die „Anna Wunder“ eine beeindruckende Geschlossenheit verleiht, womit das bescheidene Produktionsbudget geschickt kaschiert wird. So geht es Ulla Wagner letztlich wie ihrer kleinen Protagonistin: Not und Sehnsucht (auch nach dem Kino) verleihen gelegentlich auch Flügel.
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