Ein Ehepaar, das sich in den 70er-Jahren zum bewaffneten Kampf gegen den deutschen Staat entschloss, lebt mit seiner Tochter seit 15 Jahren im Untergrund. Als die Umstände sie zwingen, aus Portugal nach Deutschland zurückzukehren, eskalieren die Ereignisse, da von alten (Kampf-)Gefährten kaum Hilfe zu erwarten ist und die heranwachsende Tochter das "Versteckspiel" ohne Aussicht auf persönliche Verwirklichung nicht mehr erträgt. Hervorragend gespielter und inszenierter Film, der ein Thema jüngster Geschichtsbewältigung sehr persönlich aufgreift und Menschen zeigt, die sich in der Ausweglosigkeit eingerichtet haben, nun aber plötzlich mit der Angst vor dem Scheitern konfrontiert werden. Eine beeindruckende Studie, die mannigfaltige Rückschlüsse auf Mentalitäten zulässt.
- Sehenswert ab 16.
Die innere Sicherheit
Drama | Deutschland 2000 | 106 Minuten
Regie: Christian Petzold
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- Schramm Film/HR/arte
- Regie
- Christian Petzold
- Buch
- Harun Farocki · Christian Petzold
- Kamera
- Hans Fromm
- Musik
- Stefan Will
- Schnitt
- Bettina Böhler
- Darsteller
- Barbara Auer (Clara) · Richy Müller (Hans) · Julia Hummer (Jeanne) · Bilge Bingül (Heinrich) · Günther Maria Halmer (Klaus)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Der Anfang ist fast idyllisch. Die portugisische Steilküste, Sandbuchten, blauer Himmel, Windsurfer. Ein junges Mädchen zündet sich unbeholfen eine Zigarette an und kommt ins Gespräch mit einem deutschen Jugendlichen, doch fast panisch beendet sie die Unterhaltung. Jeanne ist keine normale Jugendliche. Sie lebt immer auf der Flucht. Ihre Eltern Hans und Clara werden steckbrieflich als Terroristen gesucht - Jeannes Heimat ist der Untergrund. Sie hat nie eine Schule besucht, niemals das streng abgezirkelte Dreieck Vater-Mutter-Kind verlassen. Diese Enge einer lebenslangen Zwangsgemeinschaft vermitteln die drei Schauspieler auf faszinierend beklemmende Weise: In den an RAF-Kader-Diskussionen erinnernden Familiengesprächen, im Widerwillen, der sich im Gesicht der Tochter spiegelt, wenn sie am Knarren und Ächzen hört, das sich die Eltern nach heftigem Streit wieder dem Geschlechtsverkehr hingeben. Der Titel des Films ist doppeldeutig: Zum einen meint er die innere Sicherheit eines Staates, den die ehemaligen Terroristen in den 70er-Jahren durch Gewalt in die Knie zwingen wollten, und der Jahre danach immer noch versucht, die Terroristen von einst im Untergrund aufzuspüren; zum anderen aber auch die zerbrechliche und klaustrophobische innere Sicherheit der drei Protagonisten, die immer fragwürdiger wird, je stärker sich Jeanne vom Kind zur jungen Frau entwickelt. Die drei müssen Portugal verlassen, denn die Polizei ist ihnen auf der Spur. Da auch kein Geld mehr von ehemaligen Sympathisanten kommt, entscheiden sie sich Jahrzehnte nach der Flucht, wieder nach Deutschland zurückzukehren, um Geld aufzutreiben und sich dann in Brasilien endgültig eine neue Existenz aufzubauen. Doch die alten Freunde wollen von den ehemaligen Untergrundkämpfern nichts mehr wissen. Es gibt kein Geld und keine legalen Perspektiven; Misstrauen und Paranoia wachsen, und als Jeanne zufällig den jungen Mann aus Portugal wieder trifft, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.
Christian Petzold zeigt ein kaltes Deutschland: Die Grenze am Rhein erinnert an Heines Wintermärchen - Deutschland, bedrohlich und fremd, eine bleierne, erstarrte Gesellschaft, die der Film facettenartig in den Begegnungen der ehemaligen Terroristen mit ihren damaligen Freunden inszeniert: dem arrivierten Rechtsanwalt oder einem alkoholkranken linksliberalen Verleger - von der Protestgeneration ist nur noch wenig geblieben - eine große Verlorenheit herrscht vor. Ein Film ohne Hoffnung. Für Jeanne sind die Gleichaltrigen fremd. Eine der beeindruckendsten Szenen zeigt sie, wie sie sich heimlich in einen Schulraum schleicht. Die gelangweilten Schülern sehen die Schluss-Sequenz von Resnais „Nacht und Nebel“ (fd 5 548) und ein cholerischer Lehrer reklamiert brüllend die Abwesenheit seiner Schüler. „Die innere Sicherheit“ erzählt die Geschichte von Untoten: Clara und Hans leben in einem Schattenreich, leben nur noch dafür, einem Polizeiapparat auszuweichen, der da zuschlägt, wo er ohnehin nichts mehr zu gewinnen hat. Dieses Schattenreich inszeniert der Film brillant über die distanzierte Kamera von Hans Fromm, über die Distanz zur Aktion - wenn etwa der Hubschraubereinsatz der Polizei aus dem weit entfernten Waldweg gezeigt wird oder der Banküberfall nur über die starre Perspektive der Videoüberwachungskamera. Petzolds Film ist einer der konsequentesten und bedrückendsten Filme zum Thema deutscher Terrorismus, lyrisch-kalt, aber gerade in seiner Distanziertheit mitreißend. Der dffb-Absolvent Petzold gehört zu der Generation, die mir der Hysterie des deutschen Herbstes, mit Steckbriefen und Fahndungsaufrufen groß geworden ist; Co-Autor Harun Farocki studierte an der dffb mit RAF-Gründungsmitglied Holger Meins, der später an den Folgen eines Hungerstreiks starb. Sicherlich hat diese biografische Erfahrung zweier unterschiedlicher Generationen auch zur beeindruckenden Dichte des Films beigetragen.
Ein Ehepaar, das sich in den 70er-Jahren zum bewaffneten Kampf gegen den deutschen Staat entschloss, lebt mit seiner Tochter seit 15 Jahren im Untergrund. Als die Umstände die Drei zwingen, aus Portugal nach Deutschland zurückzukehren, eskalieren die Ereignisse, da von alten (Kampf-)Gefährten kaum Hilfe zu erwarten ist und die heranwachsende Tochter das „Versteckspiel“ ohne Aussicht auf persönliche Verwirklichung nicht mehr erträgt. Hervorragend gespielter Film, der ein Thema jüngster Geschichtsbewältigung sehr persönlich aufgreift und Menschen zeigt, die sich in der Ausweglosigkeit eingerichtet haben, nun aber plötzlich mit der Angst vor dem Scheitern konfrontiert werden. Eine beeindruckende Studie, die mannigfaltige Rückschlüsse auf Mentalitäten zulässt. - Sehenswert ab 16.
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