Der Autor und Journalist Kurt Tucholsky begibt sich mit seiner Geliebten sowie dem Auftrag, eine Liebesgeschichte zu schreiben, auf einen Sommerurlaub nach Schweden. Vor der Kulisse des idyllisch gelegenen Schlosses Gripsholm erlebt das Paar kleine Sommerabenteuer, die durch den Besuch zweier Freunde unterbrochen werden. Eine melancholisch-schwere Romanze, frei nach Motiven aus Tucholskys Roman "Schloss Gripsholm". Filmhandwerklich exzellent, kann der Film nicht die Widersprüche zwischen historischer Romanze und politisch-biografischer Skizze auflösen. Große Wirkung erzielt er vor allem in Einzelszenen, in denen Kamera und Filmmusik eine symbiotische Verbindung eingehen.
- Ab 14 möglich.
Gripsholm
- | Deutschland/Schweiz/Österreich 2000 | 104 Minuten
Regie: Xavier Koller
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Filmdaten
- Originaltitel
- GRIPSHOLM
- Produktionsland
- Deutschland/Schweiz/Österreich
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- Thomas Wilkening Filmgesellschaft/Kinowelt/Catpics/Dor Film
- Regie
- Xavier Koller
- Buch
- Stefan Kolditz
- Kamera
- Pio Corradi
- Musik
- Kol Simcha
- Schnitt
- Patricia Rommel
- Darsteller
- Ulrich Noethen (Kurt) · Heike Makatsch (Prinzessin) · Jasmin Tabatabai (Billie) · Marcus Thomas (Karlchen) · Sara Föttinger (Ada)
- Länge
- 104 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
„Schreiben sie eine Liebesgeschichte“, fleht der Verleger seinen Autor im Treppenhaus an. Kurt Tucholsky ist auf dem Weg nach Schweden, in den Urlaub mit „Prinzessin“, seiner Liebsten. „Eine Liebesgeschichte? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch?“, fragt er ironisch amüsiert zurück. „Dann eben eine Sommergeschichte, auf jeden Fall etwas Leichtes für das Publikum“, beharrt Ernst Rowohlt auf dem Treppenabsatz. Oben beugt sich der Verleger über das geschwungene Holzgeländer, während unten der Autor noch schnell den Rabatt für die honorarfreien Exemplare aushandelt und enteilt. Die Kamera bewegt sich unterdessen wie ein Wiesel über Stufen und Geländer, zeigt mal den Verleger mit Hemd und Hosenträgern von unten, mal den mit Hut und Mantel enteilenden Tucholsky schräg von oben. Schnell, hektisch und die Kamera nah dran, so reißt der Film in die Handlung. Xavier Koller hat nach Motiven aus Kurt Tucholskys Roman „Schloss Gripsholm“ sowie biografischen Versatzstücken aus dem Leben des „guten Deutschen“ (Zwerenz) eine historische Urlaubsromanze entworfen. Schnell und hektisch, so, als wäre Tucholsky schon auf der Flucht vor den Nazis, die ihn ins Exil treiben, inszeniert Koller den Aufbruch in den Urlaub. Die Kamera rückt den Protagonisten bedrohlich nahe, und erst in der Sommerfrische wahrt sie wieder mehr Distanz. Vom pulsierenden Großstadtleben der alten Republik ist sonst nur in den Berliner Varieté-Szenen etwas zu spüren, die die Handlung zwei, drei Mal unterbrechen, und in denen Jasmin Tabatabai als Billie ihre hinreißend melancholischen Lieder singt. Gripsholm, der Urlaubsort, verströmt indessen Grabesruhe. Zwar sieht man Ulrich Noethen als Tucholsky einmal mit der Reiseschreibmaschine, aber auch sie bleibt stumm - schreiben wird er im Film keine Zeile.Koller entkleidet die Romanvorlage bis auf die Figuren und füllt das so gewonnene Gerüst mit Verweisen auf Tucholskys ausweglose Situation Anfang der 30er-Jahre. Machte Tucholsky seinen Lesern mit dem der Geschichte vorangestellten fiktiven Briefwechsel zwischen Verleger und Autor - den Koller als Dialog in die Treppenhausszene verlegt - unmissverständlich deutlich, wie und warum er eine „leichte Sommergeschichte“ erfand, so bleibt im Dunkeln, warum Koller durch die Romanze des Romans hindurch das Leben des Autors zu ergründen versucht. Indem er das Biografische in den Vordergrund rückt, geht er gewissermaßen den umgekehrten Weg wie Tucholsky, der sich von einer realen Romanze inspirieren ließ. Aus einer leichten Sommergeschichte wird so im Handumdrehen ein Rührstück mit melancholischer Schwere, das mal vordergründig biografische, mal hintergründig politische Deutungen anstrebt. Koller verlegt die Handlung ins Jahr 1932, um das Urlaubserlebnis und Tucholskys Entschluss, im Exil zu bleiben, enger zu verknüpfen, und untermauert den Entschluss u.a. mit Anspielungen auf den Prozess der Reichswehr gegen Tucholsky wegen dessen Äußerung „Soldenten sind Mörder“. Den leichten Ton eines Sommerurlaubs, den Tucholsky im Buch so wirkungsvoll trifft, gibt der Film nur partiell wieder. Vielmehr wird der Kontrast zwischen der leicht gedrückten Stimmung des Autors und der unentwegt auf Kinder hoffenden „Prinzessin“ stilisiert. Karlchen, Billie, dezente Bettszenen und die Befreiung der kleinen Ada aus den Kinderheim und den Klauen der Adriani - alles kommt vor, wird mit biografischer Bedeutung aufgeladen und leinwandwirksam umgesetzt. Statt mit dem Zug einzutreffen, landet Karlchen mit dem Flugzeug, was sogleich ein Fliegerduell der hier politisch rivalisierenden Männer nach sich zieht. Nachdem die Freunde auf Deutschland angestoßen haben, auf „alles, was wir lieben und alles, was wir hassen“, und das Kind befreit ist, reisen die beiden Frauen, zuerst Billie, dann die „Prinzessin“, heulend ab, um einen ebenso aufgelösten Autor zurück zu lassen. Ein tränenreiches Ende, das Heike Makatschs warme Off-Stimme zum Schwenk über Schloss und Landschaft mit einem Tucholsky-Zitat beendet. „Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe“, heißt es da - mit dem Unterschied, dass der Satz im Roman eine Anspielung auf die Zeit ist, im Film jedoch eine auf die Liebe.Ulrich Noethen als Tucholsky, Jasmin Tabatabai als Billie und Heike Makatsch als „Prinzessin" treffen recht gut Tonfall und Sprachwitz, die den Roman auszeichnen. Wie Noethen mit dem Whisky-Glas in der einen, der Billardkugel in der anderen Hand und der Zigarette im Mundwinkel des Dichters trübe Stimmung pflegt, ist durchaus sehenswert. Kol Simchas zeitgenössische Klezmer-Musik verleiht der schwermütig schönen Sommergeschichte eine bezaubernde Wirkung, und einige Lieder sind dank einer lasziv-traurig vortragenden Jasmin Tabatabai ohrwurmverdächtig.
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