Der Titel „American Beauty“ ist Programm. In seiner ironischen Applikation auf Personen, Örtlichkeiten und Ereignisse lässt er die Geisteshaltung eines Filmemachers ahnen, der auch einer gnadenlos sezierten Umwelt und bis auf die Seele enthüllten Figuren nicht ohne Sympathie begegnen kann. Die Schönheit, die er während seines gleichermaßen komischen wie nachdenklichen Demontageprozesses entdeckt, hat freilich mit dem glamourösen Schein amerikanischer Film-Realität wenig zu tun. Vielleicht bedurfte es eines Autors wie Alan Ball, der sich jahrelang an Fernsehserien geübt hat, und eines Regisseurs wie Sam Mendes, der als Engländer eine andere Perspektive einbringt, um die von Hollywood am Fließband reproduzierten Fassaden abzubauen, ohne damit gleichzeitig die Menschen aufzugeben, die dahinter zu Tage kommen.Die Welt des Lester Burnham ist auf Kleinstadt-Amerikas Sonnenseite angesiedelt. Das Haus, das er mit seiner Frau Carolyn und seiner Tochter im High-School-Alter bewohnt, könnte in „Schoner Wohnen“ als Musterexemplar bürgerlicher Wohnkultur durchgehen. Pedantisch arrangierter Luxus vom kerzenbeleuchteten Esstisch bis zum importierten italienischen Sofa werden ausgestellt als Symbole des persönlichen Erfolgs. Doch hinter der äußeren Eleganz knistert es, Lesters Ehe ist nur noch eine Wohngemeinschaft, seine Tochter Jane findet kein Gehör mit ihren Problemen, und an seinem Beruf hat er längst das Interesse verloren. Aus dem Off kommt Lesters Stimme: „Ich bin 42 Jahre alt. In weniger als einem Jahr werde ich tot sein. Natürlich weiß ich das jetzt noch nicht. Aber irgendwie bin ich jetzt schon tot.“ Seine Familie und sein Arbeitgeber sehen Lester als typischen Versager. Er kann ihnen nicht widersprechen. Eines Tages aber erwacht Lester Burnham zu neuem Leben. Er nimmt die Dinge wieder in die Hand. Doch während er am häuslichen Tisch plötzlich den Mund auftut, seinen Arbeitgeber zu einer saftigen Abfindung erpresst, seine Begierde für die Schulfreundin seiner Tochter nicht länger unterdrückt und seinen erschlafften Körper durch Gewichtheben in Form zu bringen versucht, bricht um ihn herum langsam, aber sicher alles zusammen - seine wirkliche ebenso wie seine imaginierte Welt.Scheint diese Story allein schon für einen Film auszureichen, so bringt „American Beauty“ eine zweite Perspektive ein, die den Zuschauer aus veränderter Position mit anderen Augen auf dieselben Ereignisse schauen lässt. Ins Nachbarhaus zieht ein neofaschistischer Colonel ein - „Colonel Fitts, U.S. Marine Corps“, wie er sich vorstellt - samt seiner in langen Ehejahren verstummten Frau und einem gar nicht nach dem Vater geratenen Sohn. Dieser junge Ricky Fitts, ein Außenseiter mit weichem Herzen, aber harter Überlebenstaktik, vom Vater der Homosexualität verdächtigt, unter paramilitärische Quarantäne gestellt, aber listig sein Geld mit Drogenhandel verdienend, dieser unwahrscheinlichste und subversivste aller jugendlichen Helden gewinnt das Herz von Lesters selbstunsicherer Tochter Jane. Zuerst hat sie ein Problem damit, dass Ricky alles in seiner Umgebung mit einer Digitalkamera aufnimmt und auf hohen Regalen in seinem Zimmer speichert; doch als sie ihn näher kennen lernt, fühlt sie sich angezogen von Rickys Andersartigkeit und Sensibilität.Hinter Ricky und seiner Kamera verschanzt sich gleichzeitig auch der Filmemacher Sam Mendes. Der alte Trick der Brechung einer Story durch eine andere, konfrontierende Fokussierung wird von ihm ganz unaufdringlich, aber mit wachsender Intensität zu neuem Leben erweckt. Obwohl Lester seine Geschichte gleichsam aus dem Jenseits selbst erzählt, erhält das Publikum die Chance, wie ein Voyeur von außen in die Geschehnisse herein zu sehen und zu erkennen, wie mehrdeutig scheinbar klare Begebenheiten sein können, wie relativ jede Perspektive notwendigerweise sein muss, je nachdem aus welcher Position man sie bezieht. Ricky und seine Kamera besitzen noch eine weitere Funktion. Sie gestatten dem Regisseur nämlich, auch einen zweiten, komplementären Stil einzuführen. Während Lesters Story sich als eine Art sarkastisch akzentuiertes Melodrama abspielt, wird sie aus Rickys Sicht mit neugieriger Sensibilität, ja oft sogar mit einer gewissen Zärtlichkeit eingefangen. Der durch die Umstände zu einer pragmatisch realistischen Lebenshaltung gezwungene Junge entpuppt sich in intimen Augenblicken als dünnhäutiger Poet, der Schönheit auch dort noch zu entdecken vermag, wo andere nichts als Zufälligkeit und Chaos ausmachen.„American Beauty“ würde nicht funktionieren ohne seine Darsteller. Allen voran Kevin Spacey, dessen fulminante Ausdrucksskala und Identifikationsbereitschaft erst Mendes’ Absicht ermöglichen, diesen moralisch unangefochtenen Versager zum Helden eines Films zu machen. Sein zwischen zynischer Selbstbemitleidung und reuevoller Verlorenheit angesiedelter Lester Burnham versetzt das Publikum in ein beständiges Wechselbad der Gefühle. Annette Bening ist ihm eine adäquate Partnerin als die überdrüssige, enttäuschte Carolyn, deren nicht ganz unverschuldete Hysterie der Ruhe und Gelassenheit, mit der Spacey seine Rolle anlegt, das notwendige Gegengewicht verleiht. Mendes, dessen erster Film dies ist, war auch gut beraten, sich den inzwischen 73-jährigen Kamera-Veteranen Conrad Hall („Kaltblütig“, „Der Tag der Heuschrecke“) und den unkonventionellen Komponisten Thomas Newman, Sohn des berühmten Alfred Newman, zu holen. Der eine hat ihm ausgeklügelt kadrierte Bilder von kühl distanzierter Klarheit, der andere eine exotische, die Story auf ihre Weise ironisch kommentierende Musik geliefert. Mendes’ Film ließe sich als sarkastischer Kommentar zur Unangemessenheit des von Hollywood mitgeschaffenen amerikanischen Gesellschaftsporträts verstehen, stünde der Ausschließlichkeit dieser Interpretation nicht eine durchgehende Komponente im Wege, die zu Anfang noch als bloßer stilistischer Effekt erscheinen mag, im Verlauf des Films jedoch immer tragendere Bedeutung annimmt. Aus der komischen Anspielung auf Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ (fd 1149) mit dem Off-Text des bereits verstorbenen Lester Burnham entwickelt sich allmählich ein durchaus ernst gemeintes Seitenthema, das die Todesthematik leitmotivisch fortsetzt. Nicht nur durch immer wieder aufgegriffene Kommentare „aus dem Jenseits“ wird der Zuschauer auf die Vergänglichkeit allen Lebens hingewiesen, sondern auch durch optische Zeichen wie den Blick auf einen toten Vogel oder einen vorbeifahrenden Leichenzug. Konsequent endet „American Beauty“ nicht mit dem vorausgeahnten Tod des unglückseligen Helden, sondern mit einer in ihrer poetischen Schönheit einzigartigen Sequenz. Das blutüberströmte Gesicht des Toten strahlt endlich Frieden aus, und das Lächeln, das bei seinem Anblick Rickys Miene streift, ist alles andere als Genugtuung. Es leitet über zu der Erinnerung Lester Burnhams an die unendliche Sekunde jenes Augenblicks vor dem Sterben, in der sein Leben noch einmal an ihm vorbeizieht, in der er sich aber an nichts von dem erinnert, was ihm so wichtig erschien, als er noch lebendig war. Es sind vielmehr Momente wie der, als er sich einst in jugendlichem Alter in die Unendlichkeit des Sternenhimmels verlor oder als er die schönen, verwitterten Hände seiner Großmutter betrachtete. Mit Lester Burnham kehrt die Kamera in die Wolken zurück, aus denen sie zu Anfang des Films neugierig in die Straßen der kleinen amerikanischen Stadt eingedrungen ist. Aus der ungewöhnlichen Perspektive, die sich nun panoramahaft in die Weite öffnet, sehen die Dinge für Lester anders aus.